VI. Brief

[15] Nachts um Zehn Uhr.


Holder, lieber Friz! – Mich martert Angst über Dein Schiksal! Man sagte mir, als ich zu Hause kam, Dein Bedienter seye hier gewesen. Diese Nachricht hat mich zu Boden gedonnert! Herr Gott im Himmel! Was magst Du gewollt haben? Bist Du etwa wieder in die Enge getrieben worden? – Hat man wieder neue Seelen-Marter für uns zubereitet? Sind wir vielleicht aufs neue unglüklich? – So ist es denn ewig wahr, daß mich jeder Gedanke der Freude haßt! – Gräßlich niedergebeugt; schlaflos werde ich mich bis morgen frühe nach der Zehner Stunde sehnen! – O, mein Friz! – Wenn Dir doch meine Leiden in Dein Herz flögen, daß Du izt kämst mich zu trösten! – Um Gottes willen, was ist denn vorgefallen? Bin ich unglüklich, bin ich verloren? – Sag, bin ich es? – Fürchterlich rollt izt der Donner am Himmel! – Hell leuchten die Blizze; schaudernd plazt der Regen herab! Finster ist der Himmel! Das ganze Donnerwetter scheint mir deutlich zu sagen; Weib die Natur haßt dich! Trostlos, schwermüthig sizze ich hier, seufze nach Nachricht von Dir, und Ungewißheit foltert meine Seele! Sag Friz! warum hab ich denn noch kein ganzes Zutrauen in Dich? O vergieb, Herzens-Junge, vergieb der wankenden Seele eines schwachen Weibs, deren Leben aus gränzenlosem Elende zusammen gewebt war! Verzeihe der Armen, an deren Herz ein hartnäkkiger Wurm der Traurigkeit nagt! Die Glokken läuten gräßlich! – Es dünkt mich, als ob ihr Ton mich zum Grabe rief, es dünkt mich, als ob Du mich aus dem Sarg zurükhaschen wolltest, es dünkt mich, als ob Du vor mir stündest, und zitternd meinen kalten Körper anstauntest! –[15] Ha, Friz! mein Herz ist tief angefreßen, ich bin hingeschleudert in die Leiden einer Unendlichkeit! Schwerlich wirst Du Dich, muntrer Junge, mehr Deiner Nina freuen! – Sie ist gebeugt, sie leidet an Seelenkrankheit, die Dir dein Leben verbittern wird! – Alle ihre Leidenschaften zielen zügellos auf ihre Ruhe, trüben schröklich ihr Gemüth, und das alles um Dich, um Deine Liebe! O Jüngling! Du bist zu beneiden, denn Dich haßt das Leben nicht so wie mich. Ich komme heute Abend aus einer Gesellschaft Adelicher. – Mit Unwillen, mit Ekkel, ob man mir gleichwohl herzlich begegnete. Die Weiber küßten mich, und die Männer überhäuften mich mit Lobsprüchen, wegen einem Bischen Vernunft. Gott! Gott! – Wie ich da saß, als wie eine leibhafte Verbrecherinn: Ich wollte mich um fünf Uhr losreißen; denn mir ahndete etwas von Dir! Aber Frau von N.... schnitt mir den Weg ab, ich mußte bleiben, und trug Kummer im Herzen, tiefen, tödtlichen Kummer! – Ha, könnte ich doch diesem Kummer Luft machen, der mich beynahe erstikt! – Montag ist wieder Punschpartie, und die Zudringenden zwangen mir mein Jawort dazu ab! – Der Wille dieser Freunde ist gut, aber mein Herz leidet unendlich dabei, weil ich Dich immer vermiße! – Politik habe ich ohnehin wenig, und wie könnte ich sie haben, wenn Liebe im Herzen herrscht? Du bist doch nicht böse, daß Du heute noch keine Zeilen von mir erhieltst? Gestern gieng mir Schark spät nicht vom Halse, und heute wollte ich Deinen Bedienten nicht warten lassen, als er mir Dein Briefchen brachte, Gott! Wenn ich nur geschwind wüßte, ob du wohl bist, ob du mich noch liebst? – Ich bin unglüklich, das sage ich Dir, ich bin unglüklich! Denn ich kann kaum mehr die Trennung von einigen Stunden ertragen! Es bringt mich um, wenn es so fort dauert, so wahr als diese Thränen auf dies Papier rollen .... ich weiß nicht .... aber ich zittere für meinen Verstand. Wenn Du ein fühlend[16] Herz im Busen trägst, so eile ohne Verzug morgen frühe zu mir! Dieser Brief mag Dir sagen, wie es um Deine Nina aussieht!

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 15-17.
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