XXI. Brief

[43] Theurer Friz! – So kränklich und schwach ich auch noch immer bin, so sollst Du doch die erste Zeile nach meiner Krankheit erhalten. – Du guter, lieber, biedrer Junge! – Wie Du heute meine Schwermuth so nach und[43] nach weg zu plaudern wußtest, wie Du Dich täglich mehr in meine abscheulichen Launen zu schikken weist, verdient nicht dies allein Vergebung für Deine samstägige Laune? – Und dann Dein herrliches unserer Lage angemeßenes Betragen, als Schark hereintrat, o Gott! – Du mußt mich wohl recht sehr lieben um eines solchen Zwangs fähig zu seyn! –

Wie ich die drei übrigen Stunden mit ihm zubrachte, als Du fort warst, kannst Du leicht denken; zu gefühlvoll, um ganz gelaßen zu seyn, und zu klug um mich zu verrathen, fühlte ich Langeweile und Schwermuth. –

Endlich sah ich Deinen Freund vorbeigehen und gab meinem Mädchen geschwind einen Wink, daß sie ihm nacheilen sollte, um Nachrichten von Dir einzuholen.

O wenn die Kalte, doch nur geschwind wieder zurükkehrte, dachte ich, doch lies ich mein Gefühl dabei nicht in's Empfindelnde fallen, wie's der spöttische Mann in dem Tagebuch eines neuen Ehemanns sagt. –

Was will denn dieser Grillenfänger? – Der sich selbst Widersprechende? Er gesteht ja doch ein, daß Liebe im Gefühl liegt, und doch nennt er Zärtlichkeit Empfindeln? Zwischen Romanen-Liebe und zwischen wahrer auf Vernunft gegründeter Liebe herrscht ein großer Unterschied. – Die erste ist blos eine Seuche, die ein Augenblik in einer erhizten Einbildungskraft erzeugt hat, und die lezte wohnt in der Ueberlegung, im Herzen und in der feinsten Zärtlichkeit. –

So eine Liebe ist in gegenseitiger Gefälligkeit unersättlich, und kann bei all ihrer glüklichen Trunkenheit nie müde werden. Meinetwegen können tausend Siegwarte und seines gleichen nur in Büchern wohnen, ich habe selbst Ziel und Maß und weis recht gut, was mein Gefühl ertragen kann, um nicht stumpf zu werden. – Ich verkenne[44] den Menschen auch in meinem Liebhaber nicht, weis ihn zu ertragen, und fodere nicht, daß er einen irrdischen Engel vorstelle. Wenn mir aber nach einer genauen Untersuchung ein Friz begegnet, der so ganz mein Wiederhall ist, o dann greife ich mit beiden Händen zu, und schaffe mir herrliche Tage der Zukunft in meinen Gedanken! Freilich nicht ohne Erdenkummer, nicht ohne Trübseligkeit, aber erleichtert durch das gute Herz eines Gatten, durch die Vernunft eines Freundes, durch die Sanftmuth eines Bruders, ist mir dann in den Armen meines Mannes selbst der Tod leichter. – So viel sagt mir meine Ueberzeugung ohne Empfindelei!

Ich werde zwar von meinem Gatten nicht bis in's achtzigste Jahr kindische Tändeleien fodern, aber sein Herz, wenn es gut ist, bürgt mir ewig für jede kleine Gefälligkeit, die er meiner Dankbarkeit schuldig ist. – –

Wahr ist es, die Neuheit hört auf, aber die gegenseitige Gutherzigkeit kann nicht aufhören, wenn man unter Harmonie des Karakters sich verband. – Der erste Taumel hört auf, aber das ruhigere standhaftere Gefühl bleibt, und die Kunst sich einander die Stunden zu Minuten zu machen, kann bei uns auch nicht aufhören, weil es uns beiden nicht an der Einbildungskraft fehlt, auch im Alter neue Verdienste in uns zu entdekken. –

Nimm auf diese selige Zukunft hin den feurigsten Kuß von Deiner kranken .... nicht doch ... von

Deiner liebenden Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 43-45.
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