XXVI. Brief

[53] Nachts um halb 12 Uhr.


Schon so spät, und doch würde ich mich haßen, wenn ich, ohne Dir einen Kuß aufzudrükken zu Bette gehen könnte. Izt sollst Du auch hören, was ich heute diesen schröklich langen Tag alles machte. –

Ungefähr um vier Uhr gieng ich zu meiner lieben Freundinn Sch...! Daß sie mich mit Freuden empfieng, weist Du ohnehin. – – Ich traf, wenn ich mich nicht irre, im Dahingehen Deine Schwester, wenigstens war es ein Mädchen mit großen schwarzen Augen, gerade so wie die Deinigen.

Um sieben Uhr mußte ich wieder zu Hause, weil ich Schark versprochen hatte, mit ihm spazieren zu gehen. Aber vorher drang die Freundinn Sch... schon in mich, mit ihm zurük zukehren, und bei ihr zu speisen. –

Mit welcher Laune ich spazieren gieng, wirst Du leicht errathen, Ja und Nein, war alles, was Schark aus meinem Mund hörte. – Und während dieser eintönigen Unterhaltung kehrten wir wieder zur Freundinn zurük. Beim Nachtessen unterhielt ich mich recht artig. Schark brummte im Zuhausegehen nach seiner gewöhnlichen Art, weil es dem verzärtelten Grobian zu saur wurde, mich nach Hause zu begleiten. Du lieber Himmel nur bald rette mich von diesem Geschöpf! – –

Aber nun Liebchen, schläfst Du vielleicht recht sanft, träumst von mir, und bist zufrieden, selig! – O ich kenne Dich aller Welt Schwärmer, ich kenne Dich, warte nur Du Erzküßer! – Warte nur! – Ich möchte izt in dieser Stimmung recht gerne zu Dir eilen. Aber es ist ohnmöglich,[53] es ist ohnmöglich! – O könnte Dich mein klopfender Busen aufwekken, könnte Dir mein vor Liebe wallendes Herz beweisen, wie feurig ich Dich liebe! –

Alles ist so feierlich still, kein Neid würde mich izt belauschen; wenn ich doch allmächtig wäre, und nur auf wenige Minuten zu Dir hinschleichen könnte! – Nu, das heiß ich träumen, das heiß ich umsonst fantasieren! – –

Auch habe ich heute wieder den halben Tag durch, doch ohne Dich zu nennen, bei der Sch... von Dir gesprochen. – Was das liebe Weib Dir gut ist! – Die Geister harmonieren, schrie sie voll Entzükken über meine Schilderung von Deinem Karakter. – O was das wieder meiner Leidenschaft schmeichelte! – Und doch war meine Schilderung nur ein Schatten gegen der Liebe meines besten Frizens. –

Nun kömmt der Schlaf bei mir angestiegen, ich muß ihm wohl nachgeben. –

Ruhe sanft, theurer, beßter Gatte, ruhe sanft, mit dem Andenken Deiner besten

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 53-54.
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