XLI. Brief

[77] Endlich wieder einen Tag ohne Dich durchgegrämt! – Blos Dein Andenken, holder Sohn der gütigen Natur, hat mir Muth gegeben, die Gesellschaft eines Menschen zu ertragen, der mich so unendlich unglüklich macht, so lange ich ihn noch um mich dulden muß. –

Ich war heute mit Schark auf dem hohen Kirchthurm, noch hatte ich den Weg nicht halb zurükgelegt, als mir schon der Kopf schwindelte, ich mußte umkehren, ohne seine Höhe erreicht zu haben. Dann schleppte er mich längst einem trüben Teich spazieren, von da giengs zu einer Flasche Wein, und das alles wurde von mir so mechanisch gethan, daß es mich an seiner Stelle schaudern würde, wenn ich[77] ein solches kaltes Mädchen an meiner Seite dulden müßte! – Aber was helfen solche Eindrükke bei einem Karakter, der alles nur augenbliklich fühlt? – Zu meinem Glükke war er heute ein wenig milder, ohne kleine Zänkereien lief es zwar unter uns nicht ab, aber ich lies es doch nicht zur Heftigkeit kommen, gewiß lieber Friz, ich hatte eine beschwerliche Rolle zu spielen. – Du kennst mein Herz, Du weißt, wie niederträchtig er mich hintergieng, und doch muß ich dulden und schweigen, muß auf zudringliche Reden mit stotternder Lüge antworten, die mir denn immer zum vor aus auf der Zunge stirbt. –

Ich habe heute in der Kirche, als er einstweilen auf's Kaffehaus gieng, vor dem Allmächtigen auf den Knieen gelegen und ihn für meine baldige Rettung und um Belohnung für deine Liebe angefleht! – Friz! – Wenn Du mich gesehen hättest, Dein Herz wäre geschmolzen aus Wehmuth für Deine arme traurige Nina, die so da lag vor ihrem Schöpfer; alles vergaß, nur Einen nicht, den Einzigen, den Einzigen vergas sie nicht, eben so wenig, als sie von ihm vergeßen wird! – – Herr Jesus! – Meine Seele war wieder durch und durch erschüttert! – Nein dies Gefühl kann nicht leicht eine Liebende besizzen, es ist beinahe unmöglich! –

Ich war den ganzen Nachmittag so traurig, so freudenlos, dachte nur an Dich, nur an Deine Liebe, und was mein Busen dabei arbeitete, was er sich empörte.... Ich fühle izt gräßliche Nervenspannungen und muß aufhören zu schreiben. – Friz, sey nicht böse, ich bin Dir ja herzlich gut, ich liebe Dich ja so innig, bis der Tod mir diese Wonne versagt, schlafe ruhig, Beßter, Theuerster, schlafe ruhiger als Deine

Nina.[78]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 77-79.
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