XLIX. Brief

[89] Herzens-Mann! – Du warst zwar heute fast den ganzen Tag um mich, aber glaubst Du denn, daß ich darum satt bin? – Gränzenlos ist meine Liebe, gränzenlos mein Sehnen nach deinem Busen, und gränzenlos sind meine Wünsche, nie, nie von Dir getrennt zu seyn! – Sage Trauter, warum behagst Du denn meinem Herzen so ausgezeichnet vor allen Andern, – – die mir ehedessen auch von Liebe vorsagen wollten? – Warum bist Du so ganz mein Wiederhall? – Warum sind wir uns allein zwischen vier Mauern so genug? – Ja, so genug, daß auch nicht der kleinste Wunsch nach rauschendem Vergnügen weder in Dir, noch in mir aufsteigt, o Friz, das sind Vorbothen unserer künftigen Glükseligkeit, die in vollem Maas auf uns herab strömen wird, wenn kein Zwang uns mehr schrökken kann. –

Liebe fodert Freiheit, Zwang stärkt zwar die eigensinnige Liebe auch, aber sanfte innige Liebe, wie die unsrige, will sich ergießen können, sie will entfernt seyn von der Verläumdung, von der Mißgunst. – Der vernünftige Umgang erhöht die Liebe und giebt ihr den wahren Werth einer ewigen Dauer, entfernt sie von der bloßen Sinnlichkeit. – – Angestekte Romanen-Helden fühlen meistens nur die sinnliche Neuheit der Liebe, aber denkende Geschöpfe fühlen ihre moralische[89] Wonne und wißen sie durch gegenseitiges Verständniß des Kopfes und Herzens zur Unsterblichkeit zu bringen. – Sage mir doch, lieber Philosoph, könnte wohl eine Liebe, wie die unsrige, jemals aufhören? –

Wenn wir uns auch dem Aeußern nach einmal nicht mehr neu sind, so liegt doch eine Unendlichkeit von neuen Reizen in unseren Köpfen und Herzen, die uns ewig vor Ekkel schüzzen wird. – –

Wenn dieser Saz nicht Wahrheit enthielte, unleugbare Wahrheit, wenn ich ihn nicht mit Ueberzeugung tief fühlte, so wollte ich mir lieber heute noch mit einer Steknadel den Puls an der Stirne durchboren! – – Merke Dir diesen Saz, merke Dir ihn! – Beim heiligen Gott beschwöre ich Dich, merke Dir ihn! – Es ist der feurigste, den ich je schrieb, seitdem ich lebe. –

Noch eins: Schark machte es heute Abend wieder so toll, daß ich ihm geradezu meine baldige Abreise eingestand, zum Glük für meine Uebereilung war er zu hochmüthig um es zu glauben. – Ist das nicht ein erbärmliches, schwaches Geschöpf? Eine viertel Stunde nach dem Streit wußte er von allen Bitterkeiten nichts mehr, die ich ihm gesagt hatte. – Wie oft verbot ich ihm schon das Zimmer, und doch drang er sich durch meine Base wieder ein; nein, da hilft nichts, als meine Entfernung. – –

Gottlob, daß Deine Eltern nun auch wieder etwas ruhiger sind. – Es war doch immer gut, daß wir in der ganzen Sache gelaßen und behutsam handelten; daß ich meine angewöhnte Offenherzigkeit ablegte, daß ich meine Liebe zu Dir nirgends verrieth. –

Immer war mir sonst der Grundsaz eigen, Liebe nur für Einen Mann ohne Eigennuz sey Tugend, von der man öffentlich sprechen dürfe, aber die Verläumdungssucht hieß mich diese Tugend für mich im Stillen genießen und sie[90] nicht den Schandmäulern und dem Vorurtheil blos geben. – Gute Nacht beßter Gatte! – Gute Nacht! – – –

Deine Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 89-91.
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