LXI. Brief

[107] Liebster, Beßter! – Wie hast Du geschlafen? – Das war doch brav, daß Du mich gestern Abend nicht mit blutendem Herzen zu Bette gehen ließest. – Lieber Friz, wenn ich Dir theuer bin, laufe mir nur nicht wieder davon, wenn wir uns ein Bischen zanken, denn das Davonlaufen ist mir unerträglich! –

Leicht, wie eine glükliche Braut, gieng ich gestern Abend nach unserer Aussöhnung zu Bette, aber ein Schrekken, der mir durch alle Glieder fuhr, wekte mich wieder plözlich auf! – Daß doch bei jedem Zufall Du mein erster Gedanke bist. – Gott! – Ist das etwa mein Friz! – Schrie ich laut, sprang an's Fenster und hörte die ächzende Stimme eines Sterbenden, den man mit einer Wunde vorbei trug. – Sein Röcheln machte mein Blut erstarren, Du lagst mir noch im Sinne, ich horchte aufmerksam um den Ton der Stimme zu entscheiden, zum Glükke aber war sie mir fremd diese Stimme, und Mitleiden mit dem Sterbenden trat jezt an die Stelle der Verzweiflung. – –

Demungeachtet folterte mich Ungewißheit, ich brach in lautes Wehklagen aus, meine erhizte Einbildung zeigte mir fürchterliche Dinge, ich sah Dich in Deinem Blute schwimmen. – Röschen hatte wieder die halbe Nacht durch an mir zu trösten. – Schreibe Dir diese Ahndung fest in's Herz, wenn Dir etwa einmal Schark aufstoßen sollte. – – Erinnere Dich meines Jammer-Geschreis bei so einem Auftritte, und schwöre mir beim heiligen Gott Deine Selbst-Erhaltung in jedem Falle! – Meine Furcht mag Dir jezt, da es noch Zeit ist, Bilder vormalen, sie mag Dir sagen, daß, wenn Du Dich je in einen Streit einließest, ich[107] dann, wie eine Rasende, meinen lezten Hauch mit dem Deinigen vereinigen würde! – –

Lebe wohl Theuerster! – Ich schreibe dieses Briefchen unter Furcht und Angst überfallen zu werden, bin aber demungeachtet ewig, ewig Dein trautes

Weib.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 107-108.
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