LXXIII. Brief. Röschen an F. von G****

[147] Rosenthal, den 6ten November.


Theuerster Herr! – –


Nehmen Sie es mir doch nicht übel, daß ich an Sie schreibe, ich muß es aus Liebe zu meiner guten Frau thun. – O warum haben Sie ihr doch alles geschrieben was Ihr ungerechter Bruder über die gute Frau argwöhnt? – Ich bitte Sie herzlich, schreiben Sie ihr nichts solches wieder, sonst bringen Sie sie um! – Sie kennen ja doch ihre Heftigkeit, Sie wißen, wie schröklich sie jede Kleinigkeit zu Herzen nimmt, und schonen sie doch nicht! –

Da liegt sie nun wieder, die arme Frau, wie dazumalen in B..., wo wir alle auf ihr Ende warteten. – Ich bin die ganze Nacht durch nicht von ihrer Seite gekommen, und ich wollte, daß ihr böser Bruder weis Gott wo wäre, weil er so eine brave Frau niederträchtig glaubt und sie bis in den Tod betrübte. – Mein Gott die gute Frau ist ja so unschuldig wie ein Kind und so tugendhaft, als es ein jeder Christ nur von ihr fodern kann. –

Wahrhaftig, und wenn sie jedermann verläßt und verfolgt, so will doch ich, auch in der äußersten Noth, nicht von[147] ihrer Seite weichen, weil ich sie mehr als meine eigne Schwester liebe. – O glauben Sie mir, Sie werden von ihr äußerst geliebt, hören Sie doch auf kein Geschwäz. – Ich bitte Sie, machen Sie, daß wir bald von hier fortkommen, ich stehe für nichts, meine Gebieterinn führt gräßliche Entschlüße in ihrem Sinne! – Sie läuft mir immer davon, ich kann sie gar nicht mehr aufhalten, und doch mag ich nicht, daß die Wirthsleute etwas von ihrem Kummer wißen sollen. – –

Gestern ist sie mir mitten in der Nacht davongesprungen, ich habe die größte Angst ausgestanden bis ich sie wieder fand! – Mit aller Gewalt habe ich sie kaum wieder auf unser Zimmer gebracht, wo sie dann bis in der Frühe ganz sinnlos gelegen ist. – Die gute liebe Frau, ich möchte mich todt weinen, sie hat beinahe ihren Verstand verloren, und nichts hat sie mehr gekränkt als das Wort Heuchlerinn, sie hat es in der Fieberhizze wohl tausendmal wiederholt. – Gott gebe, daß es mit ihr beßer werde. Seyen Sie indessen ohne Sorge, es soll ihr nichts abgehen, denn ich liebe sie um ihres guten Herzenswillen zu sehr, als daß ich nicht Tag und Nacht ihr beistehen sollte. –

Lieber Herr, ich bitte Sie um Gotteswillen, schonen Sie doch in Zukunft meine Gebieterinn mit traurigen Nachrichten, Sie wißen ja, sie ist gar zu empfindlich. – Sollte es mit ihr schlimmer werden, so erhalten Sie eiligst einen Boten, bis dorthin suchen Sie sich zu beruhigen. – Ich bin übrigens mit aller Hochachtung

Dero

Ergebenste Dienerinn

Rosine ......[148]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 147-149.
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