LXXIV. Brief

[149] Rosenthal, den 8ten November.


Lieber Gatte! – Die Natur hat sich noch einmal meiner erbarmt, und ich bin wieder aus dem Bette. Wie stark meine Krankheit war, weis ich nicht, denn ich war die wenigste Zeit bei Vernunft, aber so viel weis ich doch, daß mir das Wort Heuchlerinn, das ich von Deinem Bruder dulden mußte, öfter in's Gedächtniß kam. – Laß mich nichts mehr von ihm hören, ich verzeihe ihm, ob er aber für meine Seele nicht einst Rechenschaft geben muß, ist eine andere Frage. –

Bedenke nur, wie schändlich er Dein Weib beleidigte! – Oder reizen Dich seine großen Versprechungen die er Dir vorspiegelte? – Ist Dir Deines Bruders Liebe mehr werth, weil Du ihre feindseligen Ausbrüche, die alle mich trafen, so entschuldigst? – – Kannst Du Deine Eigenliebe, bei der er Dich um Deiner Talentewillen küzzelt, nicht unterdrükken, um meine Liebe desto feuriger zu fühlen? – Und wenn ich jezt auch von seinem moralischen Karakter beßer überzeugt würde, so kann ich ihn doch nicht mehr als einen wohldenkenden Mann achten, er war doch immer ein heimlicher Verläumder; ob er nun seine Nebenmenschen durch Dummheit, oder Vorurtheil zu Boden schlägt, gleich viel, es bleibt immer Verläumdung, zu der Niemand ohne Ueberzeugung ein Recht hat. – Wenn er aus Liebe zu Dir für Dein Wohl sorgen will, so muß er dabei Dein Herz und Deine Delikateße schonen, muß das gute Urtheil über mich eben so leicht annehmen, als das böse. –

Du solltest von mir zur Probe eine große Summe Gelds fodern! – O der Niederträchtige, der Dich[149] zu einer solchen schmuzzigen Prüfung anstiften wollte! – Kennt er denn meine Armuth nicht, die gewis keiner Lasterhaften so leicht eigen ist? – Und gesezt ich wäre reich, wäre es mir nicht Pflicht Alles mit Dir zu theilen? – O Menschengrausamkeit, wie groß sind deine Gränzen! –

Siehst Du, wie dieser Gedanke meinen Kopf angreift? – Siehst Du, wie er im Herzen liegt der Stein, den dieser Hartherzige hineingeworfen hat? – – Siehst Du, wie mein gallsüchtiges Temperament schröklich, schröklich in Gährung ist? – – O bei dieser feurigen Thräne fühl doch mit und sey nicht so schwach, Dich von jeder Scheintugend Deines Bruders täuschen zu laßen. –

Giebst Du mir nicht nach ... dann gehe hin und sage, daß es ihm gelang mich elend zu machen! – Sag ihm, daß es ihm gelang dich zur Dankbarkeit zu reizen und mich dadurch auf ewig unglüklich zu machen!!! – Noch scheint es mir unmöglich, daß Du mich von ihm beschimpfen laßen kannst! – Mich, Dein Weib, Deinen Stolz, Deine Liebe, Deine arme verfolgte Gattin! – Gott! – Gott! – –

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 149-150.
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