[822] Nacht. Auf der Burgzinne von Rehden. Weinkrug und Becher stehn auf der Mauer. Georg von Wirsberg geht unruhig auf und nieder.
WIRSBERG über die Mauer blickend.
Vom Tage blieb ein blut'ger Streif in Westen,
Der nicht verlöschen will. Horch da! war das
Ein Ruf nicht fern im Walde? Nein, die Nacht nur
Gibt schläfrig Antwort mit verworrnem Rauschen.
Jetzt steigt der Mond verzaubernd durch die Wipfel
Es rascheln Tritte heimlich in dem Laub,
Rasch blitzt der Dolch, ein Schrei und alles still,
Und niemand nannt dabei den Namen Wirsberg
Wer rief mich da?!
Lachend.
Narr! Narr, dem vor dem Schatten
Der eigenen Gedanken sich das Haar sträubt!
Er ergreift heftig einen Becher und trinkt.
Horch schlägt da nicht die Turmuhr fern? Wie hell
Das herklingt durch die stille Luft. Neun zehn
Tief aufatmend.
So ist's vorüber schon! Das war die Stunde,
Wo sie auf Rehden sich versammeln wollten.
Er trinkt wieder.
Es trieft die Stirn vom Schweiß was friert mich denn?
Ich lache dein, du lächerliches Grauen,
Das vor dem Hahnenruf in nichts zerrinnt!
Ringst mich nicht nieder in der Einsamkeit.
Den Becher ergreifend.
Laß sehn! Ich trink dir zu, wer du auch bist!
Stern ja auf Stern in unermeßner Pracht
Blitzt auf mich nieder und entgürtet ist
Die Zauberschönheit der phantast'schen Nacht!
Da unten tief, wie in prophet'schen Träumen,
Rausch zu, geheimnisvoll mit allen Bäumen!
Ich komm! Des zagen Nippens ist genug!
Den Becher über die Zinne schleudernd.
Gib einen vollen, frischen tiefen Zug!
Sturmgeläute.
Was ist das! Läuten sie dem Toten schon?
DIETRICH hereinstürzend.
Um Gottes willen, Herr!
WIRSBERG.
Was krächzt du, Rabe?[823]
DIETRICH.
O eilt! Der Unsern einer, der am Walle
Die Wache hatt, sprengt' atemlos herein
Und hinter ihm vom Wald her fremde Reiter.
Wie er im Fliehn zurück sich wandt, erkannt er
Entsetzt zwei Ritter aus Marienburg.
WIRSBERG.
Das lügt der Hund! das lügst du!
DIETRICH.
Horcht, da rasselt's
Im Burghof schon.
WIRSBERG.
Nun so verschling die Hölle
Hof, Burg, und mich und alles was drin atmet!
Er eilt, sein Schwert ziehend, mit Dietrich fort.
Draußen Waffenlärm, währendes kommen Zwei Reisige von der andern Seite.
ERSTER.
Dorthin! Ich sag's dir, 's ist der Meister selbst!
Ich kenne seine Stimme durchs Visier.
ZWEITER.
Da wie das Schrein und Läuten ineinander
Durch alle Gänge zieht.
ERSTER.
Fort, fort! sonst wirbelt
Der Sturm uns mit hinab hier in den Abgrund!
Beide ab.
WIRSBERG bleich, fliehend, mit bloßem Schwerte zurückkommend.
Wer ist der Schreckliche, der hinter mir
Entsetzlich dort von Hall zu Halle dringt?
Zeig dein Gesicht und funkle nicht so gräßlich
Aus deinen dunklen Eisenstäben her!
Ich will dein Antlitz sehn und wenn mich's tötet!
Er stürzt sich zurück nach der Pforte.
ROMINTA in ihrer Ritterkleidung mit niedergelaßnem Visier ihm entgegentretend.
Zurück da, Wahnsinn! sollst ihn nicht versehren!
WIRSBERG.
Dich meint ich nicht! Laß mich! es ist gefährlich,
Mir heut zu nahn!
ROMINTA.
So helf mir Gott!
Sie fechten.
WIRSBERG.
Platz da!
Er ersticht sie.
ROMINTA im Sinken den Helm verlierend.
Wo bist du Heinrich? Weh wie einsam da!
Die Erde sinkt und sinkt nun bin ich dein!
Sie stirbt.
WIRSBERG sie erstaunt ansehend.
Wie ist mir denn? Da ringelt sich die Nacht[824]
Der Locken wieder wildes Traumgesicht!
O wer mir sagt', das sei ein Traum, meine Seele
Gäb ich ihm drum! Fort! Schlangen sind dein Haar
Und jede hat ein Stück von mir vergiftet:
Treu, Ehr den Rest werf ich dir nach, mich graut
Vor mir und dir. Laß los! da naht er wieder!
Nach der Pforte gewendet.
Es ist nicht wahr! Das lügenhafte Zwielicht
Verwirrt nur Sinn und Auge mir und spiegelt
Verfluchte Doppelgänger in die Nacht
Wer bist du? sprich!
PLAUEN tritt ein und schlägt sein Visier auf.
WIRSBERG plötzlich sein Schwert fallen lassend.
Furchtbarer Gott im Himmel!
Er stürzt sich über die Zinne in den Abgrund.
GÜNTHER VON SCHWARZBURG auftretend.
Herr! das Gerücht, daß du im Schloß erschienen,
Geht wie ein Sturmwind durch den Wald, und hauptlos
Zerstreun sich die erschrocknen Meuterscharen.
Doch, wo ist Wirsberg? Was geschah?
PLAUEN.
Er hat
Sich selbst gerichtet, und mein Rächeramt
Leg ich in höhre Hand. Gott sei ihm gnädig!
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