Narrheiten

[22] Wornach steht mir der Sinn?

Zerrüttet ist mein Denken,

All meine Träume lenken

Auf einen Punkt nur hin,

Auf ihren Mund, den süßen,

Und den zu küssen!
[22]

Entweiche, Phantasie!

Du stolze, tiefbeschämte!

Ein schönes Mädchen lähmte

Die Schwinge dir, denn nie

Erschufst du Reiz, so süßen,

Ha! sie zu küssen!


Seit ich ihr Antlitz sah,

Das wonnige, das liebe,

Das unaussprechlich liebe,

Steht mir der Wahnsinn nah –

O Antlitz, mit dem süßen,

Dem Mund zum küssen.


So schwebt mir dort und hier

Der Zaubermund vor Augen,

Will Hirn und Herz mir saugen

Und alles Blut aus mir:

O Raserei, den süßen

Mund nicht zu küssen!


Treff ichs nicht bald einmal

Die Lippen rasch zu kosten,

So soll mein Wille rosten

Wie ein entehrter Stahl.

Ich stürbe gern, den süßen

Den Mund zu küssen!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 22-23.
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