Elegie

[162] Jüngst schaute von Tages Lasten

Ich müd in den Abend hinein,

Die glühenden Strahlen verblaßten

In milden Mondenschein;

Und hoch am Himmelsbogen,

Aus Dämmrung tauchend empor,

Kam friedlich angezogen

Der Sterne goldner Chor.


Mit sittigem Schlummerhaupte

Schließt sich die Blume zu,

Der Baum der duftig belaubte

Die Blätter senkt zur Ruh;

Des Abends liebliche Stimmen

Umspielen der Haine Grün,

Die fernen Berge verschwimmen

In sanftes Dunkel hin.


Des Sommers Herrlichkeiten

Noch sprüheten in die Natur,

Des Lebens Sterne bestreuten

Mit Segen die stille Flur –

Und jetzt, da ich trete wieder

Ans traute Fenster her,

Und schaue zur Erde nieder,

Liegt sie verwaist und leer.
[163]

Des Herbstes Güter prangen

Nicht mehr am reichen Ast;

Festklammernd, kahle Stangen

Vorm Sturme die Reb umfaßt –

So will der Mensch sich halten

Am armen Menschenkind,

Wenn wilde Geschicke schalten

Und nicht zu wenden sind.


Der Tod ist kalt und eisig,

Er kommt in des Winters Kleid –

Der Lorbeer wird zum Reisig,

Der für die Unsterblichkeit.

Die Kränze für dein Streiten

Wie schmückten sie dich schön!

In ewge Vergessenheiten

Entblättert im Tod sie gehn.


Was willst du müde Seele

Und ringst nach Lieb und Licht?

O Menschenseele quäle

Dich um Verlornes nicht!

Du greifst darnach mit Händen,

Freust dich am Lebensroth –

Bald wird es dich verblenden

Und du bist blind und todt.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 162-164.
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