Haidefürst

[283] Es saß im Gothenlager

An einen Fels geschweißt,

Ein Held, ein Goldhaarfager,

Der nimmer Ketten reißt.
[283]

Sie hatten ihn gefangen

Nach heißem Schlachtentag,

Als mit erblaßten Wangen

Er wund zu Boden lag.


Am kahlen Felsenblocke

Ihn angeschmiedet dann;

Nun saust im Wind die Locke

Dem freundverlassnen Mann.


Im wilden Gottesfreien

Weilt er bei Tag und Nacht,

Der Tod muß ihn befreien –

Der Mitleid hat und Macht.


Da brechen auf die Sieger

Und lassen ihn zurück;

Lebwohl, du stolzer Krieger!

Sie lachen ihm: gut Glück!


Der Stolze blickt Verachtung,

Kein Fluch entweiht den Mund,

Und seines Geists Umnachtung

Wird keinem Spötter kund.


Am kahlen Felsenblocke

Einsam trauert der Held,

Im Sturmwind bleicht die Locke,

Die Hünenkraft zerfällt.
[284]

Der Sonnenschein und Regen

Geht seiner Qual vorbei,

Nur unter Donnerschlägen

Träumt er sich heil und frei.


Er träumt von Sieg und Rossen.

Pfeilschnell der Sturmgott ritt,

Kam ihm vorbeigeschossen,

Nahm seine Seele mit.


Wenn um das Morgengrauen

Die Winde sind befreit,

Könnt ihr den Fürsten schauen –

Um ihn die stille Haid.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 283-285.
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