Vorwort

[61] Gesegnetes Schwabenland, voll Obst und Wein, Weizen, Schwaben und berühmten Männern! Da ist kein Gau zu klein, er liefert der ersteren viele und der letzteren einige. Auch ihr, freundliche Hügel Knittlingens, wo ein Faust das Licht der Welt erblickte, seid gesegnet, denn ihr saht den vortrefflichen Biedermaier aus eurem Schooße erstehen. Faust und Biedermaier, welche Gegensätze! Der übergeniale Ikarus; der genügsame Biedermaier, dem seine kleine Stube, sein enger Garten, sein unansehnlicher Flecken und das dürftige Loos eines verachteten Dorfschulmeisters zu irdischer Glückseligkeit verhelfen. Man könnte sich darüber streiten, ob Biedermaier auch wirklich eine äußere Geschichte erlebt habe. Bei einer kärglichen Besoldung[61] findet dieser würdige Mann in dem tiefen Schachte seines einfachen, redlichen und heiteren Schwabengemüthes die köstliche Quelle, welche ihm die Sorgen des Familienlebens verscheuchen und die Lasten des Berufes tragen hilft, den goldenen Zauber, der ihm die eintönige Prosa seiner dörfischen Umgebung paradiesisch verschönt, und das unschätzbare Elixir, welches ihn geliebt und verehrt von seinen Landsleuten das hohe Alter von achtzig Jahren erreichen läßt, ohne auch nur ein einziges Mal wirklich krank gewesen zu sein, oder mit seinem Gott und König gegrollt zu haben. Bibel und Gesangbuch sind seine geistige Nahrung; Volkslied und Kirchenlied lehrten ihn den gelenkigen Versbau, ja mitunter gerieth ihm ein altes Bändchen Schiller oder Göthe in die Hand, er verschlingt es, ohne rechtes Verständniß sich zuzutrauen, und bringt es dem Herrn Pfarrer bald wieder zurück, unheimlich heimlich berührt. Aber die Biographie beider Heroen, wie er sie im Pfennigmagazin gelesen, bringt er hurtig in gewählte Reime. Sein Vetter dagegen, der unfern wohnende Buchbinder Horatius Treuherz, hat, wie wir sehen werden, köstliche Bildung aus allen Büchern geschöpft, die ihm unter die konservirende Hand kamen; dieser liest auch Zeitungen. Nur Eines muß Biedermaier betrüben. Das Verhängniß scheint den Untergang des Geschlechtes der Biedermaier unabwendbar beschlossen zu haben. Mit ihm scheidet zugleich der letzte jener Ehrenmänner, welche unsre Väter Schulmeister genannt haben. An ihre Stelle tritt der moderne Schullehrer, der mit den Lederhosen, den Schnallenschuhen und dem Namen des alten Schulmeisters auch dessen Gemüthlichkeit abgestreift hat, eine Brille trägt und – George Sand liest. Gleichwohl erfreut sich das literarische Biedermaierthum, vielleicht für alle Zeit, einer erschrecklichen Verbreitung. Wir wollen aber berühmte Dichter nicht denunziren, weil sie vielmals einen oder den anderen[62] unsrer ehrenwerthesten Gemeinplätze in ursprünglicher Wahrheit und Frische wieder durchempfunden haben.

Großer Leser, etliche dieser Lieder, deren auserlesenste wir hiemit gesammelt dem Drucke übergeben, werden Dir schon bekannt sein. Insbesondere leben »das alte Dorfschulmeisterlein« und das »Kartoffellied« im Munde des deutschen Volkes. Wir konnten daher deren Einführung in diese Sammlung nimmermehr entbehren.1 Von andern klang Dir vielleicht ein Vers oder doch ein köstlicher Reim schon oftmals vor den Ohren, ohne daß Du Dir hast klar machen können, wo Du ihn früher vernommen, wie eine lustige Melodie aus dem Rausch vergangener Jugendtage noch manchmal in einsamen Stunden an unsrer Erinnerung vorübersummt. Gemüthliche Biederkeit ist der Grundton, der durch diese Lieder zieht, eine naive Beachtung der einfachsten Verhältnisse des Lebens, welche der raffinirte moderne Weltmensch gar nicht mehr zu erkennen vermag, eine Verehrung der Autorität und Ordnung, wie sie uns in den Wirrsalen der letzten Jahre ganz abhanden gekommen ist. Schade, daß nicht schon unser großer Schiller seinen wackeren Landsmann gekannt hat, er hätte gewiß nicht vergessen, in seiner Abhandlung über das Naive auch das Verhältniß der Biederkeit zur Idee des Schönen zu entwickeln, und die ästhetischen Begriffe des Biederschönen und Biedermaiern würden ihm nicht entgangen sein, welche somit uns aufzustellen übrig geblieben ist.2

Seinen Zweck aber vollkommen zu erreichen, mußte der Verfasser dieses »Buches« manches Fremde benützen,[63] und sei auch hier erwähnt, daß er zu Manchem die Mitwirkung eines gleichgestimmten Freundes in Anspruch nahm.

Das Verhältniß Biedermaiers zu Schwartenmaier läßt sich in wenigen Worten verdeutlichen. Biedermaier ist die unbewußte Biederkeit gegenüber der bewußten des Schwartenmaier, die natürliche Einfachheit gegenüber der künstlichen, die tugendhafte Schönheit im Gewande des dörfischen Schulmeisters gegenüber der schon etwas schadhaft gewordenen des städtischen Präzeptors. Schwartenmaier erheitert immer absichtlich, und es gelingt ihm dies oft, obwohl uns seine Absicht nicht verborgen bleibt. Biedermaier dagegen erheitert unabsichtlich; selbst da, wo er das Gegentheil von Erheiterung bezweckt, muß der herrliche Menschenfreund noch seinem Nächsten Freude machen und ihn ergötzen. Beide aber, Biedermaier wie Schwartenmaier werden bald zu den fossilen Ueberresten jener vormärzsündfluthlichen Zeiten gehören, wo Deutschland noch im Schatten kühler Sauerkrauttöpfe gemüthlich aß, trank, dichtete und verdaute, und das Uebrige Gott und dem Bundestage anheimstellte.


Geschrieben 1850. (vergl. Fl.Bl.)


Fußnoten

1 Beide bekanntlich vom alten herrlichen Schulmeister Sauter in Flehingen bei Bretten, nicht von Claudius, wie viele leichtsinnige Gelehrte behaupten. Sauter ist Prototyp für Biedermaier.


2 Anmerkung. Beiläufig sei hier erwähnt, daß unser Biedermaier, als er hörte, Schiller habe über das Erhabene geschrieben glaubte, es handle sich dabei um die allerhöchsten Hofkreise.


Quelle:
Ludwig Eichrodt: Lyrische Karrikaturen, Lahr 1869, S. 61-64.
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