Elegie an Griechenland unter Rom

[119] Lesend mit poetischem Intresse

In des Hölderlin's Gedichtenbuch,

Von dem Plato und dem Sophlokesse,

Kann ich mich verwundern nicht genug,

Daß er nicht von jenen Zeiten schwärmte,

Wo ganz anders die Angora lärmte,

Weil sein Album Jeder bei sich trug.


Damals war zu Grabe längst gegangen

Die zeitraubend leid'ge Politik,

Alle dichteten und Alle sangen,

Und bekamen's dennoch gar nicht dick.

Sophlokes war Jeder aus dem Volke,

Drohend wie die dichte Regenwolke,

Auf dem Markte stand die Dichterklik.


Keiner konnte da volljährig werden,

Der nicht schon ein Trauerspiel ersann,

Und mit guter Lunge und Geberden,

Einen Hörer mindestens gewann.

Denn natürlich war das schwer, weil Damen,

Greis und Jüngling vorzulesen kamen,

Wo durch Blumen der Ulysses1 rann.


Herrlich war's im Schatten der Planeten,

Wo man las und sprach in Einem fort,

Jeder war der Erste der Poeten,

Kaum vernahm man noch sein eigen Wort.

Ganz verschwand bei solchen Elementen

Das fatale Volk der Rezensenten,

Denn zum Kriteln war die Zeit nicht dort.
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Schöne Welt, Du bist hinabgeglitten,

Wo der Lorbeer jedes Haupt umragt,

Nur Gesichter werden jetzt geschnitten,

Wenn sich Einer vor mit Versen wagt.

Im Materialismus ganz versunken,

Dient man knechtisch, ohne Götterfunken,

Dem Gesetz der Schwere, wie man sagt.


Freilich ward auch Unfug viel geduldet

In Achaia, wie ich hören muß,

Die Gemeinden waren arg verschuldet,

Und man schwelgte nicht im Ueberfluß.

Aber das hat manchmal auch sein Gutes,

Und die Griechen blieben guten Muthes,

Denn nicht bitter schmeckt der Musen Kuß!


Fußnoten

1 Illyssus.

Anmerkung des Setzers.


Quelle:
Ludwig Eichrodt: Lyrische Karrikaturen, Lahr 1869, S. 121.
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