2. Szene

[209] Der Fremde, die zwei Gärtner.


DER ALTE GÄRTNER. Na also: Da hören Sie's. Wer kann sich einen Reim darauf machen?

DER FREMDE. Wer ist der Heide im Turm?

DER ALTE GÄRTNER. Ach, es ist die alte Schaudergeschichte. Weist auf den Turm. Das da ist nämlich der Heidenturm, das letzte Stück einer großen Burg, die einmal da gestanden haben soll. Er heißt[209] so, weil der alte Heidenkönig Belian drinnen liegen soll. Gesehen hat ihn freilich keiner ... aber es kann ja sein, daß er einmal drinnen war, vor 500 Jahren ... oder vor 10.000 Jahren, was weiß ich? Dem gehörte alles Land und alle Macht, so weit wie heute dem Herrn im Schloß drüben ... oder wohl noch viel weiter. Aber er war auch sehr hoffärtig und bös und allen, die sein Glanz in sein Gebiet lockte, denen zeigte er zuerst freundlich seine ungeheuren Reichtümer, und wenn einer vor Gier ganz geblendet war, dann ließ ihn der Heidenkönig grausam quälen, die Augen ausbrennen oder gar den Kopf abhacken. Und die Köpfe steckte er dann auf die Zinnen, heißt es, bis ringsherum schon ein Kranz von kahlen Totenschädeln war. Aber einmal kam einer, den niemand kannte, der sah alles an und sagte nichts. Kein Wort, kein Lob, und er war auch gar nicht gierig nach den Schätzen oder der Macht des Heiden. Darüber wurde nun der König Belian so zornig, daß er sich selbst mit seiner ganzen Burg und allen Schätzen verbrannte. Es heißt auch, der Fremde hätte ihn umgebracht, und dann erzählen andere wieder, der wäre ein Christ gewesen und Gott habe den Heidenkönig, der ihm nach dem Leben trachtete, mit allem vernichtet. Wer kann wissen, wie die Geschichte war ... und ob sie überhaupt geschehen ist. Ich halte nichts davon. Warum hätte der Heidenkönig sterben müssen, weil irgend ein närrischer Kerl seine Reichtümer nicht lobte?

DER JUNGE GÄRTNER der schon während der Erzählung herankam und zuhörte. Er mußte sterben, weil sein Stern fiel.

DER FREMDE sieht ihn erstaunt an. Sein Stern?

DER JUNGE GÄRTNER. Ja, der fremde Mann kam von drüben ... von jenseits der Berge ... und brachte das Neue.

DER ALTE GÄRTNER. Schon wieder das Neue. Du siehst überall das Neue. Das Neue ist die Arbeit und das Alte ist die Arbeit. Alles andere hält uns nur vom Rechten ab. Vom Bau herüber hört man lachen und sieht die jungen Bauleute eben in einer Arbeitspause ihr Brot essen, miteinander scherzen, einander haschen usw. Ein großer irdener Krug macht die Runde. Da hören Sie's, da sehen Sie. Die lachen und sind froh, weiß Gott, warum. Auch lauter so dahergelaufenes Volk ohne Paß und Buch, weiß der Teufel, was für junges Gesindel. Aber heute darf keiner fragen, woher, wohin. Da muß man froh sein, wenn man einen zur Arbeit kriegt.

DER FREMDE. Da könnten Sie wohl einen Kerl brauchen, was?

DER ALTE GÄRTNER. Wenn's ein rechter Kerl ist, immerzu.

DER FREMDE. Ich bin frei.

DER ALTE GÄRTNER. Sie? Sie wollten hier helfen?[210]

DER FREMDE. Passe ich Ihnen nicht? Freilich: Paß und Buch habe auch ich nicht. Ich komme nur so ... und, wer weiß, vielleicht gehe ich auch bald wieder. Das müssen Sie schon mitnehmen. Ich frage auch gar nicht, wann ich kommen und gehen darf.

DER ALTE GÄRTNER. Meinetwegen.

DER JUNGE GÄRTNER. Ganz frei ... Ganz ohne Frage ... o, das ist wunderbar ...

DER ALTE GÄRTNER. ... denn mit dem Jungen da ist ohnehin kein Arbeiten. Sie können gleich anpacken, es gibt jetzt alle Hände voll zu tun, seit immer Besuch im Schloß drüben ist. Vertraulich. Das Fräulein soll sich nämlich einen Mann aussuchen. Sie können sich denken, wie da alle rennen. Ganze Musterlager marschieren auf, aber nun soll sich's endlich entscheiden ... ich hab' so was läuten hören ... vielleicht heute noch. Na, der Zukünftige kann sich gratulieren.

DER JUNGE GÄRTNER. Das Fräulein ist schön ... o, schön ...

DER ALTE GÄRTNER. Da schau einer her! Ich hab' geglaubt, du siehst nur immer hinter die Berge. Na, vielleicht nimmt sie noch am Ende dich zum Mann.

DER JUNGE GÄRTNER indem er wieder nach hinten geht. Sie nimmt keinen Schlechten ... o, nein ... Sie ist so schön, daß sie keinen Schlechten nehmen kann ... Er summt ein Liedchen vor sich hin, indem er wieder seine Arbeit aufnimmt und hinter den Turm gegen rechts geht.

DER ALTE GÄRTNER macht die Türe im Turm auf. Man sieht einen halbdunklen Raum, darin Werkzeug, eine Bank, Stroh in der Ecke usw. Da können Sie sich gleich das Notwendige nehmen. Auch ein Arbeitsrock hängt da. So ... bitte ...

DER FREMDE indem er den Rock wechselt und Arbeitsgerät nimmt, im Turm stehend. Na also. Das ist ja prächtig. Und schön ist's da herinnen, beinahe gemütlich ... Gar nicht wie das Grab eines düstern Tyrannen ...


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 209-211.
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