II.

[224] Nacht. Gegen Morgen. Großer, endloser Sternenhimmel. Rechts die Bastei des Wachtturmes. Einige Baumwipfel ragen herauf, so daß die Erde tief unter dem Bühnenniveau anzunehmen ist.

Auf dem Laufgang des Turmes steht der sehende Wächter, nicht viel mehr, denn als Schattenriß sichtbar, auf den Speer gestützt, das Metall seiner Waffen und Rüstung schimmert matt im Dämmerlicht. Unter dem Laufgang ein Gitterfenster.

Ganz in der Ferne murrt ein Donner. Der Wächter wendet den Kopf in die Richtung des Schalles. Da fährt grell in steilem Bogen eine Sternschnuppe rotglühend über den nachtblauen Himmel gegen links in die Tiefe. Der Wächter streckt beide Arme wie beschwörend gegen die Erscheinung und stößt einen leisen Schrei aus. Dann wendet er sich gegen die kleine Ausfallspforte, die ins Innere des Turmes führt, und ruft.


DER SEHENDE WÄCHTER halblaut. Bar Achab ... Dringlicher. Bar Achab ...!

DER ERFAHRENE WÄCHTER in gleicher Rüstung wie der junge, kommt langsam, schlaftrunken. Hein? Was soll's?

DER SEHENDE WÄCHTER. Wach auf! Wach auf!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Wozu ...?

DER SEHENDE WÄCHTER. Die Stunde ist schwer.

DER ERFAHRENE WÄCHTER wendet sich zurück. Es ist deine Stunde.

DER SEHENDE WÄCHTER hält ihn. Die Nacht hat Zeichen ...

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Für mich hat sie Schlaf.

DER SEHENDE WÄCHTER. Ein Donner murrte ...

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Es ist klare Weite.

DER SEHENDE WÄCHTER. Dann fiel ein Stern ...

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Noch stehen viele.

DER SEHENDE WÄCHTER. Doch fiel just einer aus der glühenden Krone, die unseres Herrn Zeichen, aus dem ersten Zacken ... dort ... und stand doch eh' noch starr und groß in herrischer Aureole ...

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Unseres Herren Krone hat der Zacken noch viele und alle strahlen von hundert blitzenden Steinen. Unsers Herren Krone braucht deine Sterne nicht, er lacht der Bilder, die deine Angst dir dichtet.

DER SEHENDE WÄCHTER gegen links schauend, erschrickt heftig. Da ...! Sieh ...!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Ein Licht ...

DER SEHENDE WÄCHTER. Der Stern ...!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Eine wandernde rote Fackel.

DER SEHENDE WÄCHTER in höchster Erregung. Der Stern! Der Stern aus unseres Herren Krone! Dort fiel er nieder ... Nun schwebt er über dem Plan langsam ziehend, wie einer, der es nicht eilig hat,[225] stet und gerade, als hab' er sein Ziel im Auge, und gar nichts könnte ihn irren und nichts ihn vom Wege bringen.

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Der Morgen graut, die Sterne verglimmen ...

DER SEHENDE WÄCHTER. Er nicht! Er nicht ...!


Am vergitterten Fenster innen wird, wie es langsam heller wird, der zweite Geblendete sichtbar, der mit leeren Augen unbeweglich ins Weite starrt.


DER ZWEITE GEBLENDETE. Ist Tag ...? Ist Nacht ...? Kein Strahl ... kein Licht ...

DER ERSTE GEBLENDETE im Turm, wird am Fenster sichtbar. Mein Gold ... Sieh: Mein Gold ...

DER ZWEITE GEBLENDETE deutet hinaus. Mein Reich ... Meine Freiheit ...

DER DRITTE GEBLENDETE von innen, unsichtbar. Weib ... Weib ... Marpalye ...

DER ERFAHRENE WÄCHTER beugt sich über die Brüstung des Umlaufs und ruft hinunter. Schweigt, ihr blinden Hunde! Ist eure Nacht nicht finster genug? Was wollt ihr? Ihr habt gesehen, was keiner geschaut hat: Belians Gold, Belians herrschende Macht und den blutheißen, drängenden Zauber, der tausend gärenden Giften entsprang: Den Leib der Marpalye ...

DER SEHENDE WÄCHTER der unverwandt nach dem Stern schaut. Der Stern ... der Stern! Näher und näher heran ... o, wunderbar ...

DIE GEBLENDETEN. Gold ... Macht ... Weib ...

DER SEHENDE WÄCHTER. Der Stern ... das Wunder ... Erlösung ...

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Hahahaha! Bleib mir mit dem Wunder vom Leib! Schon viele sah ich verblinden, noch keinen erlöst sein. Wer einmal alles auf des Messers Spitze gesetzt hat und seine Hand war nicht fest, wer einmal den großen, den einzigen Wurf verfehlt hat, weil hemmend in seinem Blut Unreines gor und sein Blick hat gezittert, der muß ein Blinder werden und in ewiger Nacht seines Lichtes Tod durchwühlen.

DIE GEBLENDETEN verwimmernd. Mein Reich ... Gold ... Weib ...

DER SEHENDE WÄCHTER ekstatisch nach links weisend. Der Stern ... Unseres Herren funkelnder Stern ...! Sieh! Sieh dort! ... Auf der Lanzenspitze ...

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Ein fremder Reiter ... Hehe ... Ruft zum Fenster hinunter. Ihr blinden Hunde, hört und freut euch: Ihr bekommt einen neuen Gefährten. Zum sehenden Wächter. Woher?

DER SEHENDE WÄCHTER. Er kam aus der Nacht ... aus der Erde ... aus einem Baum ... aus der Wolke wuchs er ... aus der Ferne wohl ... jenseits der Berge ... Ich sah nur den Stern aus Belians starrer Krone hinfahren und wandern aus weitem Rund[226] näher und näher. Und als die Nacht zerfiel, da war es des ragenden Speeres leuchtende Spitze ... Siehst du? Siehst du? Sie trägt den Stern der Welt!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Leg dich schlafen. Du standest zu lang allein in der Nacht. Da greifen Dämonen ins Hirn und drücken schreckende Bilder ins Aug, die es draußen nicht gibt. Dein Blut ist jung und zieht dir noch einen Schleier rot vor den Blick. Sieh her und lerne erkennen: Dies ist Belians Burg und dies alles Belians Erde. Meine Hände greifen und meine Augen sehen, daß es weit ist und stark, wie keines irdischen Königs. Tausend Jahre trotzen die Steine und tausend Jahre schirmen uns Eisen und Gold. Sahst du Stärkeres je? Was soll uns das Jenseits der Berge? Was sollen uns Sterne? Mögen sie immer fallen und hängen bleiben auf Lanzenorten, wie dir ein Fieber es malt. Aus allem, was abenteuert, gaukelt und dichtet, treibt Belian bald den Gott, den sogenannten, und übrig bleiben blinde Hunde und Narren. Solch ein Köpfchen, war' es allein, es könnte gefährlich werden. So aber durchschwemmt sein Blut in einer mengenden Welle auch Hoden und Magen. Wer auf das Hin und Her seine Feste baut, hat sich noch niemals betrogen. Deutet nach links. Laß ihn nur ein. Auch er wird bald erfahren, wie Sterne für ewig verlöschen. Die Sonne geht auf. Bete! Die Sonne erwacht. Er hebt die Arme der Sonne entgegen. Groß ist der Tag, der Belian grüßt! Groß ist die Stunde, die mit ihm lebt! Keiner größer, als er!


Aus der Ferne ein Gebetruf, lange hinhallend. Die zwei Wächter neigen sich betend der Sonne entgegen. Schweigen. Nur der ferne, eintönig auf-und abwellende Gebetruf. Pause.


DIE STIMME DES FREMDEN tief unten am Turm. Ha-ei! Ha-ei! Auf euer Tor ...!

DER ERFAHRENE WÄCHTER ruft hinab. Zerschneide mit deinem Geheul nicht die Stunde der Sonne ...

DER SEHENDE WÄCHTER sieht hinab. Er glüht ... Er glüht ...

DER FREMDE unten. Auf euer Tor ...! Schläge ans Tor.

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Du magst deinem Drängen noch fluchen.


Er geht in den Turm. Die Brücke rasselt nieder.


DER SEHENDE WÄCHTER halb Klage, halb Triumph, streckt beide Hände abwärts. Der Stern ...! Der Stern ...!


Verwandlung.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 224-227.
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