Das Herz

[20] Aus grünem Waldesdämmerdunkel

Tret plötzlich ich in helles Licht,

Da grüßt aus goldnem Glanzgefunkel

Mich ein entzückendes Gedicht:

Ein Marmorhaus in lauter Rosen,

Ein Säulenrund, wo Schaft und Schaft

Verstrickt in eines leichten losen

Gerankes holder Liebeshaft.


Und in der stillen Tempelgrotte

Hebt sich ein schlankes Postament,

Darauf sternblank dem Liebesgotte

Ein Erzbild in der Sonne brennt.

Den Pfeil auf dem erhobenen Bogen,

Darüber er sein Ziel eräugt,

Steht er, die Sehne straff gezogen

Zum Schuß, ein wenig vorgebeugt.


Und vorn an des Geschosses Spitze,

Wie man den Heiligen Opfer bringt,

An einer schlichten, wollnen Litze

Ein wächsern Herz im Winde schwingt.

Das zeigt von warmen Fingermalen

Im weichen Wachs ein Konterfei,

Und eine Spur, als ob in Qualen

Ein Weinen drauf gefallen sei.


Und eine abgepflückte Rose,

Wie ein verlornes Liebespfand,

Liegt da, und Stapfen rings im Moose

Und weiterhin im glühenden Sand.

Die tauchen in die Buchenschatten

Und finden ungesehn nach Haus,

Und niemals plaudern diese Matten

Das zärtliche Geheimnis aus.[21]


Und einsam in des Mittags Gluten

Am Pfeil des Gottes schmilzt das Herz

Und tropft, ein langsames Verbluten,

In roten Tränen niederwärts,

Und tropft in roten, heißen Tränen

Auf weißen Marmors kalt Geleucht,

Von ungestillter Liebe Sehnen

Ein rührend Gleichnis, wie mir deucht.


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 20-22.
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