Zweites Kapitel.

[130] In welchem ein sehr hämischer Plan gegen Sophie dargelegt wird.


Ich erinnere mich eines alten weisen Mannes, welcher zu sagen pflegte: wenn Kinder nichts thun, so thun sie etwas Böses. Ich[130] will diesen scharfsinnigen Spruch nun freilich über die schöne Hälfte der Schöpfung nicht so allgemeinhin ausdehnen; aber soweit wird man mir doch erlauben, daß, wenn die Wirkungen weiblicher Eifersucht nicht öffentlich in ihrer eignen rasenden, wütenden Gestalt und Farbe erscheinen, wir vermuten dürfen, daß diese heillose Leidenschaft im verborgnen wirkt und da zu unterminieren sucht, wo sie über der Erde nicht angreift.

Hiervon gab das Betragen der vornehmen Dame Bellaston ein auffallendes Beispiel, welche unter all dem Lächeln, das sie in ihren Mienen zeigte, viel Zorn und Unwillen über Sophie verbarg, und weil sie deutlich sah, das dies junge Frauenzimmer zwischen ihr und der völligen Befriedigung ihrer Begierden im Wege stände, so faßte sie den Entschluß, sich dieselbe auf eine oder die andere Art vom Halse zu schaffen. Es dauerte auch nicht lange, so bot sich ihr eine günstige Gelegenheit von selbst dar, diesen Entschluß ins Werk zu setzen.

Der Leser wird die Güte haben sich zu erinnern, daß wir ihn damals, als Sophie durch den Witz und die Laune eines Haufens junger Herrn, die sich das Publikum nennen, im Schauspielhause in einen so großen Schrecken gejagt worden, benachrichtigen, daß sie sich in den Schutz eines jungen Herrn begeben hätte, der sie ohne weiteren Unfall an ihren Wagen begleitete.

Dieser Herr war ein junger Graf, der die Frau von Bellaston zum öftern besuchte, der Sophie seit ihrer Ankunft in der Stadt mehr als einmal bei ihr gesehen und ein sehr großes Belieben zu ihr gefaßt hatte, welches Belieben, da Schönheit niemals liebenswürdiger läßt als in Not und Verlegenheit, Sophie in diesem Schrecken dergestalt vergrößert hatte, daß man jetzt, ohne der Redensart eben eine große Gewalt anzuthun, von ihm sagen konnte, er sei wirklich in sie verliebt.

Man kann leicht glauben, daß er eine so schöne Gelegenheit als sich jetzt von selbst darbot, seine Bekanntschaft mit dem geliebten Gegenstand seiner Wünsche zu befestigen, nicht fallen lassen wollte, da schon die gute Lebensart allein ihn bewogen haben würde, einen Besuch bei ihr abzustatten.

Er machte also den nächsten Vormittag nach dieser Begebenheit Sophien seine Aufwartung, um unter den gewöhnlichen Komplimenten seine Hoffnung zu bezeigen, daß der Zufall von gestern abend keine unangenehmen Folgen für sie gehabt habe.

Weil die Liebe aber, sowie Feuer, das einmal durchaus angezündet ist, sehr bald zu Flammen aufgeblasen wird, so hatte Sophie in gar kurzer Zeit ihre Eroberung vollendet. Die Zeit eilte nun unvermerkt vorbei und der hochansehnliche Graf hatte zwei volle Stunden bei seiner schönen Dame verweilt, bevor es ihm einmal einfiel, daß er einen langen Besuch gemacht habe. Nun hätte schon allein dieser Umstand Sophien ein wenig beunruhigen können, die sich jetzt ein wenig besser aufs berechnen verstand, aber sie hatte an den Augen des Verliebten wirklich noch viel redendere Beweise[131] von dem, was in seiner Brust vorging; ja, ob er gleich seine Leidenschaft nicht geradezu öffentlich erklärte, so waren doch viele seiner Ausdrücke fast zu warm und zu zärtlich, um solche auf Rechnung der allgemeinen Höflichkeit zu setzen, selbst nicht einmal zu jenen Zeiten, wo allgemeine Höflichkeit Mode war, wovon, wie sehr wohl bekannt, das Gegenteil in unsern Tagen die herrschende Mode geworden ist.

Frau von Bellaston hatte des Grafen Besuch gleich bei seiner ersten Ankunft erfahren, und aus der Länge desselben nahm sie die hinlängliche Ueberzeugung, daß die Sachen so gingen wie sie wünschte, und wie sie wirklich gleich damals vermutet hatte, als sie dies junge Paar zum zweitenmal beisammen gesehen. Dieses Geschäft, dachte sie, und nach meiner Meinung sehr richtig, würde sie keineswegs befördern, wenn sie sich, solange sie beisammen wären, in die Gesellschaft mischte, sie befahl also ihren Leuten, sie sollten dem Grafen beim weggehen sagen, sie wünschte ihn zu sprechen, und die Zwischenzeit wendete sie dazu an, darüber nachzusinnen, wie sie am besten einen Plan zustandebringen könnte, zu dessen Ausführung, wie sie nicht zweifelte, der Graf sehr bereit und willig sein würde.

Graf von Liebegrim (denn das war der Name dieses jungen Herrn vom hohen Adel) war nicht so bald bei Ihro Gnaden ins Zimmer geführt, als sie ihn folgendermaßen anzwackte: »Hilf Himmel, Herr Graf, sind Sie noch hier? Ich dachte schon, meine Leute hätten's versehen und hätten Sie weggehen lassen, und ich wollte Sie doch gerne sprechen wegen einer ziemlich wichtigen Sache.« – »In der That, gnädige Frau,« sagte er, »es befremdet mich nicht, daß Sie sich über die Länge meines Besuchs verwundern, denn ich bin über zwei Stunden geblieben und die sind mir kaum wie eine halbe vorgekommen.« – »Was soll ich daraus schließen, Herr Graf?« sagte sie. »Die Gesellschaft muß sehr angenehm sein, in der sich die Zeit so unbemerkt vorbeischleicht.« – »Auf meine Ehre,« sagte er, »die angenehmste in der ich jemals gewesen bin. Sagen Sie mir doch, wenn ich bitten darf, wer ist dieser hellstrahlende Stern, den Sie unter uns so auf einmal haben aufgehen lassen?« – »Was für ein hellstrahlender Stern, Herr Graf!« sagte sie und stellte sich ganz verwundert. – »Ich meine die junge Dame, die ich vor einigen Tagen bei Ihnen sah, die ich gestern abend beim Herauskommen aus der Komödie in meinen Armen hatte, und der ich den ungeheuer langen Besuch gemacht habe.« – »Haha! Meine Kousine Western!« sagte sie. »Nun, dieser glänzende Stern ist die Tochter eines tölpischen Landjunkers und ist zum erstenmal nun etwa vierzehn Tage in der Stadt gewesen.« – »Bei meiner Seele,« sagte er, »ich hätte drauf geschworen, sie wäre an einem Hofe erzogen worden, denn, ihre Schönheit ungerechnet, habe ich in meinem Leben nicht so viel Anmut, so viel Esprit, so viel Politesse gesehen!« – »O! bravo!« rief die Dame. »Meine Kousine hat Sie weg, wie ich finde.« – »Auf meine Ehre,« antwortete er, »ich wollte, sie hätte mich, denn ich liebe sie bis zum Unsinnigwerden.« – »Nun, nun, Graf,« sagte sie, »damit wünschen Sie sich denn[132] auch eben nichts so schlimmes, denn sie ist eine sehr reiche Partie. Ich versichre Sie, sie ist eine einzige Tochter und ihres Vaters Güter tragen jährlich ihre guten achtzehn- bis zwanzigtausend Thaler ein.« – »Nun, so kann ich Sie versichern, gnädige Frau, daß ich sie für die beste Partie im ganzen Reiche halte.« – »In der That, mein lieber Graf,« erwiderte sie, »wenn Sie sie leiden mögen, so wünschte ich, Sie hätten sie.« – »Wenn Sie so gütig für mich gesinnt sind, Madame,« sagte er, »wollten Sie wohl, da es doch Ihre Anverwandte ist, mir die Ehre erweisen und ihrem Vater die Sache vorschlagen?«

»Ist es denn also Ihr ganz völliger Ernst?« fragte die Dame mit affektierter Feierlichkeit in den Mienen. – »Ich hoffe, gnädige Frau, Sie haben eine bessre Meinung von mir,« antwortete er, »um zu glauben, ich könnte mit Ihnen über eine Angelegenheit scherzen, wie diese!« – »Nun gut denn!« sagte die Dame, »so will ich Sie sehr gerne ihrem Vater vorschlagen, und ich glaube, ich darf Sie versichern, daß er den Vorschlag mit Freuden annehmen wird. Aber es liegt ein Berg im Wege – ich schäme mich fast, es zu erwähnen, und doch ist er so hoch, daß Sie schwerlich im stande sein werden, ihn zu übersteigen. Sie haben einen Nebenbuhler Herr Graf, einen Nebenbuhler, den, ob ich gleich davor erröte nur seinen Namen zu nennen, weder Sie noch die ganze Welt bei ihr verdrängen werden.« – »Auf mein Wort, gnädige Frau, Sie werfen mir da einen Stein aufs Herz, worunter ich fast ersticke.« – »Pfui, Herr Graf!« sagte sie. »Ich hätte vielmehr gehofft, er sollte das Feuer aus Ihnen schlagen. Ein Liebhaber und vom Ersticken sprechen unterm Steine eines Nebenbuhlers! Ich hätte erwartet, Sie würden mich um den Namen dieses Riesen fragen, damit Sie ungesäumt gegen ihn in die Schranken treten könnten.« – »Verlassen Sie sich darauf, gnädige Frau,« antwortete er, »ich wüßte nichts, was ich nicht für Ihre reizende Kousine unternehmen wollte, ich bitte, sagen Sie mir doch, wer ist der glückliche Mann?« – »Wer er ist?« sagte sie. »Was, wie ich zu meinem Leidwesen bekenne, die meisten glücklichen Männer beim Frauenzimmer sind, einer der niedrigsten Kerle von der Welt. Er ist ein Bettler, ein Bastard, ein Findling, ein Kerl in schlechtern Umständen als der geringste von Ihren Livreebedienten.« – »Ist's möglich,« schrie er, »daß eine junge Person mit solchen Vollkommenheiten darauf denken kann, sich so schändlich wegzuwerfen?« – »Ach, leider, Herr Graf!« antwortete sie. »Aber bedenken Sie nur die Landerziehung. Das Land ist das Verderben aller jungen Frauenzimmer, da lernen sie eine Reihe von romanhaften Begriffen von der Liebe, und was weiß ich von was für Unsinn mehr, welche diese Stadt und die gute Gesellschaft kaum in einem ganzen Winter wieder ausrotten kann.« – »In der That, gnädige Frau,« erwiderte der Graf, »Ihre Kousine ist von zu unendlichem Werte, um so weggeworfen zu werden, einem solchen Unheil muß man vorbeugen.« – »Ach ja freilich, lieber Graf,« rief sie, »aber wie vorbeugen? Die Familie hat schon alles gethan, was sie konnte, aber das Mädchen, glaub' ich,[133] ist ganz liebetrunken und will sich nicht abhalten lassen, in den Abgrund zu taumeln. Und um ganz offenherzig gegen Sie herauszugehen, jeden Tag bin ich darauf gefaßt, zu hören, daß sie mit ihm davongelaufen ist.« – »Was Sie mir da sagen, Frau von Bellaston,« antwortete der Graf, »rührt mich aufs zärtlichste und erregt bloß mein Mitleiden, anstatt meine Verehrung gegen Ihre göttliche Kousine zu vermindern. Man muß Mittel suchen, ein so unschätzbares Kleinod zu verwahren. Haben Ihro Gnaden schon versucht ihr vernünftig zuzureden?« – Hier zwang sich die Dame laut zu lachen und rief: »Teuerster Graf, ich dächte, Sie kennten uns besser, um zu denken, man könne einem jungen Mädchen durch vernünftiges Zureden ihre Liebe aus dem Kopfe bringen. Diese unschätzbaren Kleinodien sind ebenso taub als die Juwelen, womit sie sich schmücken. Zeit, Herr Graf, Zeit ist die einzige Medizin, ihre Thorheit zu kurieren, aber dies ist eine Medizin, die sie, wie ich gewiß bin, nicht einnehmen wird. Wie gesagt, ich, ich lebe ihretwegen in täglicher Angst. Kurz, hier hilft nichts als gewaltsame Mittel.« – »Was ist zu thun?« rief der Graf, »was für Mittel muß man ergreifen? – Gibt's irgend Mittel und Wege auf dem Erdboden? – O, teuerste von Bellaston, alles in der Welt unternehme ich um einen solchen Preis.« – »Ich weiß wirklich nicht,« antwortete die Dame nach einigem Stillschweigen, hier schwieg sie abermal ein Weilchen und rief dann aus: – »Auf meine Seele! mit meinem Witze bin ich über dies Mädchen rein zu Ende. – Wenn sie gerettet werden kann, so muß man ungesäumt dazu schreiten, und wie gesagt, nichts wird helfen als gewaltsame Mittel. Ja, Herr Graf, wenn sie wirklich dieses Attachement für meine Kousine haben (und um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so ist sie, diese einfältige Inklination ausgenommen, wovon sie das Thörichte auch bald einsehen wird, ein sehr vortreffliches Frauenzimmer), so, denke ich, ist noch wohl ein Weg, er ist freilich sehr unangenehm und ich scheue mich fast daran zu denken. – Er erfordert viel Mut, das muß ich Ihnen sagen.« – »So viel ich mir bewußt bin, Madame,« sagte er, »fehlt's mir daran nicht. Ich glaub' auch nicht, daß mich jemand sonst mit dem Fehler im Verdacht hat. Es müßte wirklich ein entsetzlicher Fehler an Mut sein, der mich bei dieser Gelegenheit bedächtlich machen könnte.« – »Nicht doch, Herr Graf,« antwortete sie, »ich bin weit entfernt von dergleichen Verdachte! Ich besorge vielmehr, daß ich selbst nicht Mut genug habe, denn eben ich laufe dabei eine entsetzliche Gefahr. Kurzum, ich muß ein solches Vertrauen in Ihre Ehre und Verschwiegenheit setzen, wie schwerlich eine vorsichtige Dame aus irgend einer Ursache in eine Mannsperson setzen wird.« – Auch über diesen Punkt leistete ihr der Graf so ziemlich Genüge; sein guter Name sei unbescholten und das allgemeine Gerücht erwiese ihm bloß Gerechtigkeit, indem es gut von ihm spräche. – »Wohlan denn,« sagte sie, »Herr Graf – aber nein – ich – wahrhaftig! Nein, ich kann den Gedanken daran nicht ausstehen. – Nein, das muß nicht geschehn. Wenigstens muß erst sonst alles mögliche versucht werden. Können Sie sich heute mittag losmachen[134] und bei mir essen? so haben Sie Gelegenheit, Fräulein Western ein wenig länger zu sehen, Herr Graf! – Wir haben gewiß keine Zeit zu verlieren. Ich habe heute niemand als ein paar Fräulein, die Sie kennen, und den Obersten Hampsted und Thomas Eduarts. – Sie werden alle beizeiten weggehen, – und ich will für niemand zu Hause sein, so können der Herr Graf ein wenig deutlicher mit der Sprache herausgehen. Ja, ich will's dann auch schon so veranstalten, daß Sie Beweis von ihrem Attachement an den Kerl haben sollen.« Der Graf machte die üblichen Komplimente, nahm die Einladung an, und so gingen sie auseinander, um sich zum Essen anzukleiden, denn es war jetzt schon drei Uhr des Vormittags oder, nach dem alten Stil zu rechnen, des Nachmittags.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 130-135.
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