Erstes Kapitel.

[173] Von Prologen.


Ich kannte einen dramatischen Schriftsteller, der zu sagen pflegte, er wollte lieber ein ganzes Stück machen, als einen Prolog. Ebenso denke ich, kann ich mit leichterer Mühe ein ganzes Buch dieser Geschichte verfertigen, als ein Einleitungskapitel, dergleichen ich jedem Buche vorsetze.

Die Wahrheit zu bekennen, vermute ich, daß schon mancher[173] herzliche Fluch das Haupt desjenigen Schriftstellers getroffen habe, der zuerst die Gewohnheit einführte, seinen Stücken die Portion Materie voranzuschicken, welche man den Prolog nennt, und welche anfangs einen Teil vom Stücke selbst ausmachte, seit einiger Zeit her aber sowenig Zusammenhang mit dem Stücke, vor welchem es steht, oder gesprochen wird, hat, daß der Prolog, der ausdrücklich zu einem Trauerspiele gemacht ist, nicht nur vor einem andern Trauer-, sondern auch vor jedem andern Lustspiele hergesagt werden könnte. Die vom neuern Schlage scheinen in der That alle über drei Gänseweideplätze zu gehn, nämlich: Deklamation über den schlechten Geschmack der Stadt; Verdammungsurteil über alle gleichzeitige dramatische Autoren, und eine Lobrede über das eben vorzustellende neue Stück. Die Behandlung dieser drei Sätze ist sehr wenig von einander verschieden, auch kann sie es möglicherweise eben nicht sein! Bei dem allen habe ich mich oft über die große Erfindungskraft der Dichter gewundert, welche im stande waren, einerlei Sachen mit so mancherlei Redensarten zu sagen.

Auf eben die Weise besorge ich, wird mancher künftige Historiker (wenn mir die Ehre widerfahren sollte, daß einer oder der andere meine Manier nachahmen wollte) nachdem er seinen Kopf weidlich gekratzt, und mehr als eine Feder zerkäut hat, meinem Gedächtnis einen dichterischen Wunsch dafür widmen, daß ich diese Art Anfangskapitel zuerst eingeführt habe, wovon die meisten, gleich den neuern Prologen, ebenso schicklich vor jedes andre Buch dieser Geschichte gesetzt werden könnten, als vor das Buch, welches solche einleiten, oder am Ende auch ebensogut vor eine jede andre Geschichte als diese.

Wie drückend aber den Autoren die eine oder die andre dieser Erfindungen fallen mag, so wird doch der Leser aus der einen ebensoviel Vorteil ziehen, als der Zuschauer vorlängst in der andern fand.

Erstlich ist es bekannt, daß der Prolog dem Kritiker eine Gelegenheit gibt, seine Lunge zu versuchen und seine Pfeife in den höchsten Chorton zum überschreien zu stimmen. Durch dieses Mittel habe ich es erlebt, daß diese musikalischen Instrumente so vortrefflich abgestimmt wurden, daß sie gleich beim aufziehen des Vorhangs das vollstimmige Konzert anheben konnten.

Eben derselbe Vorteil kann von diesen Kapiteln gezogen werden, in welchen der Kritiker allemal sicher ist, etwas zu finden, dessen er sich bedienen kann, als eines Wetzsteins, seinen glänzenden Witz zu schärfen; so daß er mit größerm Heißhunger nach Tadel über die Geschichte selbst herfallen kann. Und hier wird sein Tiefblick es unnütz machen, zu bemerken, wie künstlich diese Kapitel darauf berechnet sind, diesen preiswürdigen Endzweck zu befördern. Denn wir haben dafür gesorgt, in dieselben immer etwas saures und scharfes einzumischen, um den besagten Witz der Kritik ein wenig zu reizen und zu stacheln.

Ferner kommen beide Erfindungen dem Gemächlichkeit-liebenden Leser, sowohl als dem Zuschauer gar merklich zu statten; denn sowie sie nicht genötigt sind, die einen anzuhören, oder die andern zu[174] lesen, und doch beides, Schauspiel und Buch verzögert werden, so gewinnen sie durch die Prologe eine hübsche Viertelstunde, die sie zu Hause beim Kaffee zubringen können; und durch die Einleitungskapitel haben sie den Vorteil, daß sie nicht gleich auf der ersten, sondern erst auf der vierten oder fünften Blattseite zu lesen anfangen dürfen. Und das ist keine so unbedeutende Kleinigkeit für Leute, welche aus keiner andern Absicht Bücher lesen, als um sagen zu können, daß sie sie gelesen haben; – ein Beweggrund, der allgemeiner ist, als sich wohl mancher einbilden mag, und aus welchem oft nicht nur Monatschriften und Journale, sondern auch wohl gar Homer und Virgil, ja selbst Swift und Cervantes, durchgeblättert werden.

Noch viel und mancherlei sind der Vorteile, die aus beiden entstehen; aber die meisten davon sind so in die Augen fallend, daß wir uns jetzt nicht dabei aufhalten wollen, sie herzurechnen, besonders, da es uns zu rechter Zeit einfällt, daß das größeste Verdienst des Prologs sowohl als der Einleitungs-Kapitel in der Kürze besteht.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 173-175.
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