Dritter Tag

Am andern Morgen erwachte ich von den Armen der göttlichen Rose umschlungen, aber kaum daß ich mich meines Glücks deutlich bewußt werden konnte, so hörte ich ein heftiges Pochen an der Thüre.

Röschen ergriff hastig die Klingel und Fanchon berichtete zitternd: der Bürger Olivier sey da, und schwöre diesesmal nicht von der Stelle zu weichen. –

»Ich Unglückliche!« – rief Röschen – »wo der Grobian meine Mutter weckt; so bin ich verloren! – Geschwinde meinen Mantel! laß ihn herein kommen!«[39]

Dieser Befehl würkte gleich einem Zauber. Röschen lag im Mousselinmantel gehüllt, auf dem Sopha, und ich stand – freilich etwas mangelhaft adonisirt daneben.

Le Citoyen Olivier erschien, und es ergab sich: daß der ganze Lärm wegen einer kleinen Rechnung von 2 tausend Livres entstanden war.

Mama sollte nichts davon wissen, und der Bürger Olivier nahm sich die Freiheit bey allen Teufeln zu versichern: daß woferne man ihn noch länger warten lasse, er genöthigt seyn würde andere Maasregeln zu ergreifen.

Fanchon zitterte jetzt nur vor Wuth, und Herrn Oliviers Perücke schien in großer Gefahr. Röschen lief verzweiflungsvoll zu ihrem Schmuckkästchen, und ihre Thränen benetzten ein paar Armbänder, die sie noch einmal um ihre schönen[40] Hände befestigte und dann hoffnungslos dem Herrn Olivier übergab.

Dieser war nun in einem Huy verschwunden, und Fanchon schien jetzt alle Mäßigung zu vergessen.

»Grand Dieu Mademoiselle!« – rief sie – »welche Unvorsichtigkeit! Wissen Sie denn nicht, daß Sie morgen die Ariadne tanzen sollen? – Wenn Mama die Armbänder vermißt! – – nun ich mag nicht dabey seyn.«

Jetzt sah ich Ariadne ein Raub des Kummers werden, und mein Entschluß war gefaßt.

»Keine Thränen!« – sagte ich – »geliebte Rose! ich will alles bezahlen, der abscheuliche Mensch soll die Armbänder zurückgeben.

»Ah le bon coeur! ah l'excellent jeune homme!« – rief Fanchon begeistert – und in dem Augenblick war sie verschwunden,[41] und Mons. Olivier stand wieder vor uns.

»Hier, Citoyen« – sagte ich – »ist das Geld. – jetzt die Armbänder zurück! Verstehen Sie mich!« –

»A merveille! à merveille Citoyen! ich wüßte nicht, daß ich jemals einen Menschen besser verstanden hätte.

Die Armbänder waren unser, Mr. Olivier empfahl sich, und Röschen schien liebender als jemals.

Jetzt trat der Doctor unter tausend Entschuldigungen herein. Man hatte ihn zu einem Kranken gerufen, und es war ihm unmöglich gewesen, wieder zurückzukommen.

»Da hätte ich bald ein Unglück gehabt« – fuhr er fort. – »Der Lord Th... hat Mdlle. Clavier einen neuen Wagen mit sechs Pferden geschenkt. Der Kutscher probirt[42] sie jetzt, und kann die Thiere gar nicht bändigen.«

»Was sind es für Pferde?« – fragte Röschen. –

Der Doctor. Schwarze! – sechs prächtige schwarze.

Rose. Ach Schwarze – die möchte ich nicht! – Aber einen Zug Isabellen, mit himmelblauem Sattelzeug! das müßte was köstliches seyn!

Der Doctor. Der Lord P. – braucht nur eine Ahnung dieses Wunsches zu haben.

»Ich hoffe« – fiel ich beleidigt ein – »daß die Ahnungen des Lord P. sehr überflüßig seyn werden – Auf Wiedersehn, liebste Rose!« – und so flog ich davon, um mit Hülfe einiger hundert Louisd'or und meiner drey Citoyens mir und der ganzen Welt zu beweisen: daß ein deutscher Baron vor keinem englischen Lord,[43] und vor keinem Zug Isabellen sich zu fürchten habe.

Ich wußte, daß ich in Paris war – und daß es, wo nicht wahrscheinlich, doch wenigstens möglich sey, den Zug nebst dem Sattelzeug und den Wagen, noch vor Abend zu bekommen.

Dies ward zur fixen Idee bey mir. – Toilette, Mittagsessen, alles ward vergessen. Meine drey Citoyens schienen von derselben Krankheit ergriffen, und wer uns begegnete, schien nicht wenig Lust zu haben, uns eine berüchtigte Wohnung anzuweisen.

Die Uhr schlug fünf, und sechs Isabellen, gezügelt von einem gigantischen Schnurbart, rollten einen blau mit Silber ausgelegten Wagen vor Röschens Thür.

Fanchon riß das Fenster auf, und flog laut schreiend zurück, Röschen lag in einer süßen Schreckensohnmacht, und ich war[44] glücklich wie ein von Weihrauch gesättigter Gott.

»Müssen in die freie Lust, Mademoiselle!« – rief Fanchon. – »Sie haben sich entfetzlich erschrocken! – Nach Bagatelle, nach Bagatelle! das wird Sie wieder herstellen.«

Der Vorschlag ward angenommen und Röschen im Triumphe nach Bagatelle gezogen. Ich wollte folgen, aber der Doctor kam mir an der Treppe entgegen und erinnerte mich, daß ich für diesen Abend versagt sey.

Wir gingen zu einem Restaurateur im Palais Egalite, wo uns der Major Saggs, ein junger Engländer und ein Schottländer erwarteten.

Die Unterhaltung war anfangs politisch, aber sie verbreitete sich bald über angenehmere Gegenstände, und in kurzem war sie da, wohin sie unter Männern gewöhnlich[45] kommt, wenn der Wein sie belebt.

»O!« – rief ein hinzugekommener Fremder – »die Tänzerinn Rose sollten Sie gesehen haben! – Sie fuhr in einem Wagen vom letzten Geschmacke nach Bagatelle! – und die Pferde! die Pferde! – wahrhaftig man hätte sie selbst darüber vergessen können!« –

»Sie scheinen sie wirklich darüber vergessen zu haben,« – sagte der Engländer lachend. –

»Nun der Fehler wäre so groß nicht,« unterbrach der pflegmatische Schottländer; – aber wer mag denn der Jungfer das alles zu Füßen gelegt haben?«

»Ich glaube, ein deutscher Baron,« – antwortete der Fremde. –

»Gefangen! gefangen!« – rief der lebhafte Engländer. – »Baron, Sie werden ja roth bis an die Stirn.«[46]

»Wäre es möglich,« – sagte der Schottländer erstaunt, – »daß sie eine so leichte Waare so theuer gekauft hätten? Herr Docter, Sie führen Ihren Telemach nicht gut! – Er wird uns alle die Prinzessinnen verderben.« –

»Hier ist nichts zu führen, mein Herr« – antwortete ich empfindlich, – »was ich gethan habe, ist aus freiem Willen geschehen, und ich verbitte mir alle Anmerkungen darüber.«

»Schatz! Schatz!« rief der Major, – »wer will nun gleich so heftig werden! – laßt uns zum Spiele gehen! da sind alle die Kindereyen vergessen.«

»Zum Spiel! zum Spiel!« rief jetzt alles, und man lagerte sich um die grünen Tische.

Der Major gab Punsch, Liqueur und Champagner. Bald vermochten wir nicht mehr Karten und Gold zu unterscheiden.[47] Der schnelle Gewinnst und das verwirrte Geschrey vollendete unsere Berauschung.

Der Engländer fing an zu verlieren und tobte, der Schottländer wagte fürchterlich und wühlte im Golde. Ich sah betäubt in die Karten, und die letzte deutliche Vorstellung deren ich mich erinnere, war: daß ich aufs Wort spielte.

Jetzt ward die Verwirrung allgemein. Ich begriff noch so viel, daß das Spiel geendiget sey, und daß ich mich in meinem Wagen befinde. Was nachher mit mir vorging, erfuhr ich nur durch die Erzählung der Bedienten.[48]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Vierzehn Tage in Paris. Leipzig 1801, S. 37-49.
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