Zwölfter Brief
Olivier an Reinhold

[37] Komm' nicht! das Übel würde nur ärger. Ich dulde keinen Mann in ihrer Nähe. Kein Klügeln mehr! Ist die Ehre verlohren, dann kann ich vom Morgen bis zum Abend philosophiren, ich bekomme sie darum nicht wieder.

Ja, ich will es glauben, sie war rein, bis ich ihre Sinnlichkeit weckte. Aber jetzt – das verstehst Du nicht! Ein Weib ist ein Weib, und Natur ist stärker, als Vernunft.[37]

Warum stürzte sie mir mit dieser Heftigkeit in die Arme? Woher diese Thränen, diese Todesblässe, und jetzt, dieser unüberwindliche Trübsinn. Ich sehe es, sie will sich darüber erheben; aber sie vermag es nicht.

Ist ihr Wille noch so rein wie vormals, was kann ihr dann fehlen? – Sie muß mir danken, daß ich sie gerettet habe, und scheinbar thut sie das auch. Aber im Innersten ihres Herzens wüthet das Gift – und in dem meinigen? – O es war Schicksal! wer konnte entrinnen? –[38]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 37-39.
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