Sechs und dreyßigster Brief
Olivier an Reinhold

[118] Jetzt habe ich den Muth der Verzweiflung. Ich sehe es, für mich ist kein Glück mehr zu hoffen.

Was wählte sie? – Rathe es! – Du erräthst es nimmermehr.

»Liebste! – sagte ich – wenn wir uns[118] auf eine kurze Zeit trennen müßten, wenn Du hier nicht bleiben könntest; welchen Aufenthalt würdest Du vorziehen?«

Sie behauptete für keinen entfernten Ort eine besondere Vorliebe zu haben. Es sey ihr hier so wohl.

»Aber wenn du nun schlechterdings wählen müßtest und Dich ganz nach Deinem Geschmacke bestimmen könntest.« –

»Nun – antwortete sie – dürfte es in der Nähe seyn; dann würde ich das Häuschen auf der Anhöhe allen Andern vorziehn.«

»Auf welcher Anhöhe?« – fragte ich, denn ich wollte nicht glauben was ich gehört hatte.[119]

»Dort – sagte sie, und zeigte auf Antonelli's Wohnung – diese Gegend hat etwas unbeschreiblich anziehendes für mich.«

Ich ließ sie nicht ausreden, stürzte fort, warf alles nieder, was mir in den Weg kam. Mir war als solle ich mir selbst entfliehn. Zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich eine Art Unwillen gegen sie, der allmählig in Wuth übergieng. So stand ich vor Antonelli's Thür ohne zu wissen wie ich dahin gekommen war.

»Wo ist er« – fragte ich – »Wo er immer ist« – antworteten die Leute, und zeigten nach dem Walde.

Schon lange hatte ich vor ihm gestanden,[120] hatte schon eine Menge Flüche zwischen den Zähnen gemurmelt, noch immer hatte er mich nicht bemerkt. Endlich wurden meine Flüche lauter, und ich riß ihm das Fernglas aus der Hand. Da schien er plötzlich aus einem Traume zu erwachen und umarmte mich trotz meiner Flüche.

»Ein schönes Leben – sagte ich – den ganzen Tag so mit Gaffen hinzubringen. Der König kommt. Wo ist das, was ich Dir aufgetragen habe?«

Statt zu antworten, nahm er mich lächelnd bey der Hand, und führte mich zu einem Zelte, das er sich mitten im Walde hat aufschlagen lassen. Hier sah ich Karten, Risse,[121] alles in der größten Ordnung, und weit mehr vorgearbeitet als ich gewollt hatte.

»Wann ist denn das alles gemacht?« – fragte ich – nachdem ich es mit Erstaunen untersucht hatte.

»Wenn sie nicht da war.«

»Woher weißt Du denn, wann sie kommt?«

»Ich fühle es.«

»Du faselst!«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Du hast ihr Zeichen gegeben, die Flöte gespielt.« –

»Niemals!«

»Nun, woher soll sie denn wissen, daß Du hier bist?«[122]

»Sie weiß daß ich hier bin?« – fragte er, und sein Gesicht verrieth wirklich das höchste Erstaunen. –

»O sage mir! – fuhr er fort, und drückte mir die Hände, und schmeichelte wie ein Kind – sage mir! woher weiß sie es? Hast Du es, hat es irgend jemand anders verrathen?«

»Gleichviel – antwortete ich verdrüßlich – genug sie scheint es zu wissen.«

»Ach! siehst Du! – rief er – sie fühlt es wie ich.«

Nun schrie ich laut auf vor Wuth, riß meine Hand aus der seinigen, stürzte den Berg wieder hinunter, und fand sie in Thränen.[123]

Ach, ich wollte ich wäre bey Dir. Du bist doch mein Einziges. Hier steh ich allein, verwaist. Sie haben mich ausgestoßen aus ihrem Bunde. Von einer höhern Macht hingerissen, vergessen sie mich und die Welt.

O ich leide zu viel! Ein Ende! Ein Ende![124]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 118-125.
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