10. Auch aus demselben

[215] Der Schall, das Licht, die Kraft, Bewegung, Schönheit, Zier,

die machen so ein süß und liebliches Getöne

in deinem Antlitz, Schöne,

daß ihm der Himmel nur mit nichtiger Begier

und ganz vergebens bildet ein

(so anders er so schön als Eden nicht kan sein),

dich göttergleiches Ding mit ihme zu vergleichen.

Und wol hat Ursach' mehr als groß'

das adeliche Tier, so einen Man sich nennet,

vor welchem williglich zu beugen sich bekennet

was sterblich ist in Tethys weiter Schoß,

dir billiglich zu weichen,

wenn er das hohe Werk, das an dir ist, erweget.

Daß aber er zu herschen pfleget,

ist nicht, daß du des Siegs, des Zepters unwert seist:

das tut er, daß er dir mehr Ehr' und Gunst beweist.

Denn so weit höher ist der, so hier räumt das Feld,

so weit ist rühmlicher der hier das Feld behält.

Daß aber deine Zier zugleich auch übermag

die Menschheit, als ein Mensch, das zeuget diesen Tag

Myrtillus wunderlich. Er zeugets einem Herzen,

das er nur hält für Schmerzen.

Und diß nur, schöne Frau, fehlt eurer Kraft, annoch,

daß ihr verlieben könnt, und ohne Hoffnung doch.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 215.
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