Die Hamiltons

oder

Die Locke der Maria Stuart

[153] Lord William kam zu sterben,

Lord William Hamilton;

Er spricht zu seinem Sohne:

»Nun höre mich an, Sir John!


Ich lasse dir Land und Leute,

Unsren Namen und unsren Ruhm,

Und ich lasse dir, mehr als alles,

Dieser Locke Heiligtum.


Ich sah die Locke fallen,

Ich hörte der Schere Schnitt –

Und als Maria gebetet,

Da betete leis ich mit.


Da hab' ich still geschworen:

Zu tragen in Leid und Lust,

Zu tragen in Jubel und Tränen

Diese Locke auf der Brust.


Ich hab' sie in Tränen getragen

Und lass' erst im Tode davon –

Für die Stuarts zu leben und sterben,

Das schwör' auch du, Sir John.«


Lord William hat es gesprochen,

Sir John hat's treu gemeint:

Erst barg er still die Locke,

Dann hat er still geweint.


Er trug sie zwanzig Jahre,

Und als sein Stündlein kam,

Er mit des Vaters Worten

Die Locke vom Herzen nahm.[153]


Er gab sie seinem Sohne,

Und der Sohn dem Enkel dann,

Ihr Erbteil war die Treue

Und der Locke Talisman.


Und als auf blinkendem Zelter

König James gen London zog,

Und als auf schwarzem Schafotte

Karls Haupt vom Rumpfe flog,


Und als an der Boyne wieder

»Stuart« das Feldgeschrei, –

In Lust und Leid, die Locke

Und die Hamiltons waren dabei.


Und waren dabei zuletzt auch,

Als auf Cullodens Plan

Ihre Augen das Distelbanner

Noch einmal flattern sahn.


's war wieder ein Lord William

Und wieder ein Sir John,

Ein Alter und ein Junger,

Doch jeder ein Hamilton.


Der Junge focht zu Fuße,

Der Alte focht zu Roß,

Bis eine englische Kugel

Ihn aus dem Sattel schoß.


Hin reicht' er seinem Sohne

Die Locke, rot von Blut,

Er hatte nicht Zeit zu sprechen,

Er sprach nur: »Wahre sie gut!«


Er wahrte sie gut, der Junge,

Manchen Mond und manches Jahr,[154]

Der Junge ward ein Alter –

Das Herz blieb, wie es war.


Und als in letzten Tagen

Ihm Kunde kam ins Haus:

»Sie trugen im fernen Süden

Den letzten Stuart hinaus«,


Da sprach er, als er sterbend

Seinem Sohne die Locke gab:

»Die Stuarts sind gestorben,

Doch die Treue kennt kein Grab.«


Und siehe, die Hamiltons wahren

Bis heut ihren alten Ruhm,

Doch eines mehr als alles:

Der Locke Heiligtum.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 153-155.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1898)
Gedichte
Die schönsten Gedichte von Theodor Fontane
Werke, Schriften und Briefe, 20 Bde. in 4 Abt., Bd.5, Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes
Gedichte in einem Band
Herr von Ribbeck auf Ribbeck: Gedichte und Balladen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon