Schleswigs Ostertag 1848

[226] Ich denke deiner, Ostertag:

Ein Nebel über Schleswig lag,

Über Schleswig-Stadt, über Schleswig-Land –

Der Däne hielt uns wieder in Hand,

Er hielt Schloß Gottorp, er hielt die Schlei,

Unser kurzer Traum war wieder vorbei;

Ein Nebel über Schleswig lag,

Achtundvierzig, am Ostertag.


Und über die Stadt und über den Strom

Die Glocken riefen in den Dom,

Und ehe das erste Lied erscholl,

Von Betern war die Kirche voll,

Betende Männer, betende Fraun,

In schwarzem Festkleid alle zu schaun,

Dazwischen aber (bittre Not)

Leuchtende Punkte von Dänisch-Rot.


Und bis an die Kanzel traten wir hin,

Zwischen Hoffen und Bangen ging unser Sinn,

Von Auferstehung der Geistliche sprach,

Wir hingen seinen Worten nach,

Seinem Wort von dem abgewälzten Stein,

Wir mischten viel Weltliches mit ein,

Wenn's Sünde war, es war nicht gewollt –

Horch, es donnert! Wie dumpf es rollt.


Ein Ostergewitter? Es kann nicht sein,

Durch die hohen Fenster fällt Sonnenschein,

Er fällt, wie suchend, gedämpft und mild

Auf das eichengeschnitzte Altarbild,

Auf die zwanzigfeldrige breite Wand

Von Meister Brüggemanns eigener Hand,

Der Felder eines schwimmt wie in Gold –

Horch, zum zweiten, es donnert, es rollt.[226]


Es rollt wie näher, die Fenster klirrn,

Aller Blicke hinüber, herüber irrn,

Es fragen die Augen bei Freund und Feind,

Ein Flüstern geht leise: »Was ist gemeint?«

Und ehe noch flüsternd die Antwort geht,

Vom Eingang her ein Zugwind weht,

Weit offen die Tür; was gibt's, was ist?

In das Mittelschiff tritt ein dän'scher Hornist,

Und in die Kirche hinein, vom Portal,

Bläst er Genralmarsch, Signal auf Signal.


Ein Rasseln, ein Lärmen. Still wieder das Haus,

Die roten Punkte loschen aus,

Was deutsch in Schleswig wollte sein,

War wieder in Schleswigs Dom allein.

Und wie Hilfe suchend und Trost und Ruh,

Den Stufen des Altars drängten wir zu,

Dicht zu; der Geistliche aber spricht:

»Herr, Du bist unsre Zuversicht!

Da ist kein Jäger, der uns schreckt,

Solange uns Dein Fittich deckt,

Ob tausend fallen an unsrer Seit',

Du bist unser Schirm in jedem Streit,

Du stellst Deinen Engel an unsre Tür,

Uns zu behüten für und für,

Wir rufen Deinen Namen an,

Hilf uns, wie Du so oft getan,

Zersplittre unsrer Feinde Spott,

Du bist unsre Burg, Du bist unser Gott,

Blende die Wächter, wälz' ab den Stein« –

Er schwieg. Wie Trommeln klang es herein,

Lustiger preußischer Trommelschlag,

Heller Mittag über Schleswig lag,

Heller Mittag über Schloß und Schlei, –

Ostern war, und das Land war frei.[227]


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 226-228.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1898)
Gedichte
Die schönsten Gedichte von Theodor Fontane
Werke, Schriften und Briefe, 20 Bde. in 4 Abt., Bd.5, Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes
Gedichte in einem Band
Herr von Ribbeck auf Ribbeck: Gedichte und Balladen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon