VI.


Der wiedergeforderte Schmuck.

[22] Wann das Versprechen den Lebendigen / imfall es nicht wider Recht und Billigkeit geht / zuhalten; soll es noch vielmehr den Sterbenden unverbrüchlich geleistet werden. Und wie man / von den Todten / so wol als Abwesenden / dem alten Sprichwort nach /nichts Ubels reden soll: also muß auch den Todten noch viel weniger was Ubels zugefügt werden / zumal denen / die uns / bey Leibes Leben / geliebt / und vielmehr ein gutes Angedencken / weder einige Miß-Vergnüg- und Beleidigung / an uns verdient haben.

Insonderheit seynd Eltern und Kinder / Mann und Weib einander / auch nach dem Tode / zur Erfüll- und Fest-haltung dessen / was sie / bey der letzten Abschieds-Empfehlung / gelobt / so ferrn es der Gerechtigkeit und christlicher Erbarkeit nicht entgegen / verbunden. Denn der Tod entbindt sie zwar deß Eh-Gelübds; aber nicht der ehelichen Liebs-Gedächtnis /noch der Aufrichtigkeit in Beobachtung dessen / was man / an den hinterlassenen Kindern / oder nechsten Freunden deß Verstorbenen Theils / zu thun / verheissen.

So ein Verstorbener / durch Beraubung seines Grabs / beleidigt wird; widerfährt ihm noch grössere Beleidigung / wenn man seinem hinterbliebenem Kinde / als seinem Fleisch und Blut / dasjeinge entzeucht / was man demselben zu lassen und auffzuheben / entweder durch Kindliches Erb-Recht[23] / oder durch Zusage / oder durch beyderley / sich verbindlich gemacht.

Derhalben handeln diejenige Männer nicht biedermännisch / welche / wann sie sich wieder verheirahten / ihre Liebe gegen der ersten Eh-Liebsten / mit derselben / so gar absterben / und verrauchen lassen / daß sie den Kindern / welche sie / mit der verblichenen Frauen / als ein Pfand nicht allein ehelicher Liebs-Treu im Leben / sondern auch unabsterblicher Gedächtniß nach dem Leben / erzeugt haben / von ihrem mütterlichem Antheil etwas entwenden / um die zweyte Frau desto ansehnlicher zu bedencken und beschencken.

Wie leichtlich aber Mancher hierinn nicht allein das Recht / sondern auch sein ausdrückliches Versprechen übergehe und breche / darüber hört man nicht selten klagen: und ist / unter solchen / auch gewest ein Edelman / welchem wir den Namen Flandrin geben. Derselbe hat eine / gleichfalls adliche / Jungfrau geehlichet / aus welcher ihm ein schönes Eh-Blümlein entsprossen / nemlich eine junge Tochter /derer Holdseligkeit beyder Eltern Lust / sonderlich aber ihrer Mutter Aug und Hertz / war / also daß es schiene / als ob das Leben der Mutter an dieser Tochter / hafftete; biß der Tod eine Scheidung machte /und sie / von diesem ihrem Kleinod / absonderte. Ehe denn sie aber verschied / gab ihr die mütterliche Liebe an / ihren Eh-Herrn / mit vielen Letzungs-Threnen /zu bitten / er sollte doch ihren fräulichen Schmuck der liebsten Tochter unverkürtzt / aufbehalten: auf daß dieselbe ihrer hertzlichen Mutter-Liebe / und getreuen Gunst / dabey eingedenck verbleiben mögte.[24]

Flandrin bestetigte ihr hierüber sein Versprechen /mit darbietender Hand / und gelobte sie ihres Verlangens / gewünschter und schuldiger Massen / zu gewehren: Wobey eben sein Pfarrer zugegen war / daß er der Sterbenden tröstlich zusprechen mögte. Also entschlieff sie endlich / in ihrem Heiland / sanfft und selig.

Er gab so wol / als die kleine Tochter / mit milden Threnen / seine Betrübniß über ihren Abschied / zu erkennen; tröstete sich doch endlich / nach verflossener Trauer-Frist / mit einer neuen Braut. Denn das Verlangen eines männlichen Erbens / damit sein Lehen-Gut mögte / für der Hinfälligkeit / unterstützet werden / bewegte ihn zur zweyten Ehe.

Weil er nun gern diese seine andre Liebste ansehnlich beschenckt hette / und die Baarschafft nicht überflüssig vorhanden war: überredete er sich / nach langem Besinnen / selbst / den Schmuck seines Töchterleins anzugreiffen / und etwas davon zu nehmen /nemlich eine Kette / samt einem Paar Armbänder; doch gleichwol dieser Meynung / daß er / mit ehester Gelegenheit / den Werth dafür erstatten wollte: Weßwegen er auch einen Zettel darzu legte / zur Nachricht / daß er der Kleinen so viel schuldig wäre.

Nachdem nun die beschenckte / und hernach auch ihm an die Hand getraute / Braut mit ihm zu Bette gegangen / und sie endlich beyde eingeschlaffen waren: ward sie gähling aufgeweckt / von einer Frauens-Person / an welcher die Gestalt und Kleidung ihrer Vorfahrerinn gar ähnlich und wolkenntlich erschien. Dieselbe winckte ihr bedraulich[25] / mit dem Finger / und verschwand: Massen zwey dicke Wachs-Liechter / so die gantze Nacht / in der Kammer / brannten / ihr solches gnugsam zu Gesicht stelleten. Ob sie nun gleich / wie leicht zu ermessen / sich sehr darüber entsetzte: trug sie doch Bedencken / ihren Liebsten aufzuwecken; sagte ihm auch hernach nichts davon: damit er nicht mögte traurig werden.

In der folgenden Nacht kommt die Gestalt wieder; weckt aber allein den Mann / und spricht zu ihm: Weil du / deinem Versprechen entgegen / meinen Schmuck entfremdet bast: so hat GOtt mich gesandt /dir zu sagen / daß du solchen wieder erstatten / oder gewärtig seyn müssest / daß deiner jetzigen Frauen /in acht Tagen / das Leben erlesche / wie ich diß Liecht auslesche. Womit sie zugleich / nach dem einen Liecht / griff / und es ausleschte / hernach sich alsofort aus seinen Augen verlohr.

Der hierüber schier erstarrende Edelmann zweifelte / ob er seinem Gesicht gnugsam zu trauen / und ihm der Handel nicht etwan nur getraumt hette; welchen Zweifel ihm aber die geleschte Kertze benehmen wollte. Also wusste er nicht / wozu er sich sollte entschliessen. Das Geschenckte / von seiner Liebsten /wieder abzufordern / daugte ihm ein unfreundlicher Handel zu seyn / der leicht einen grossen Unwillen erregen könnte: so besorgte er auch / wann er die Ursach / nemlich den Angriff seiner vorigen Frauen Schmucks / anzeigen sollte / würde ihm solches eine solche Schande zuziehen / die / Zeit seines Lebens /nicht ausgetilgt werden dörffte. Unter solchem Kummer / und schwerem Hertzens-Druck / ängstigte er sich biß in den sechsten Tag:[26] da ihm endlich der Zweifel / ob er auch würcklich Solches gesehn / und gehört? wiederkehrte / und er zuletzt dafür hielt / es müsste nur eine falsche Einbildung seyn. Aber / in folgender Nacht / weckte die Verstorbene / gleich wie vorhin / abermals ihn allein auf / und sprach zu ihm: Wirst du / in vier und zwantzig Stunden / meiner Tochter den entwendeten Schmuck nicht wieder liefern; so musst du / samt deinem Weibe / sterben / wie ich diese beyde Liechter auslesche. Worauf sie die zwo brennende Kertzen ergriff / dieselbe umwendete /und verschwand.

Diß mehrte ihm seinen Schrecken. Jedoch verhielt er es seiner Frauen / und vertrauete es / deß Morgens /dem Geistlichen / welcher / bey seinem Angeloben /zugegen gewest. Derselbe wusste nicht / ob er den erschienenen Geist / für einen guten oder bösen Engel /halten sollte: weil seine Anfordrung der Billigkeit gemäß. Er geht aber hin / zu deß Edelmanns Gemahlinn / und befleisst sich / ihr die Sache / auf eine andre Art / weil kein Verzug mehr übrig war / füglich beyzubringen. Er hatte aber zu reden kaum den Anfang gemacht; als die junge Edelfrau / ihm die Rede unterbrechend / sagte: Ich weiß schon / was ihr wollt. Hie habt ihr die Retten und Armbänder! bringt sie meinem Mann. Unser beyder Leben ist eines solchen Lösegelds noch wol werth. Deßwegen bleibt dennoch unsre Liebe ungetrennt. Der Pfarrer nimt solchen Zierraht / mit Verwundrung / an /und bringt denselben seinem Junckern. Dem hiemit ein schwerer Stein vom Hertzen fiel. Er legte es wieder an seinen[27] Ort / und versprach / seine Gemahlinn anderwerts zu begaben.

Es entschlossen sich hiernechst beyde Ehe-Leute /keine Lichter deß Nachts mehr zu brennen. Nichts destoweniger kam / in der folgenden Nacht / die Verstorbene nochmals wieder; weckte sie beyde auf / und sagte: Nun sollt ihr miteinander glückselig leben; wie diese beyde Lichter / (welche sie augezündet) brennen. Und von nun an / werdet ihr mich nicht mehr sehen. Wie sie dann auch nachmals ausgeblieben.

Ein fürnehmer Teutscher Author1 eröffnet hierüber diese seine unvorgreiffliche Meynung: Daß GOtt /wegen so geringer Ursach / wie dieser Weiber-Schmuck gewesen / keine Todten erwecke / noch gute Engel erscheinen lasse; welches auch / in viel wigtigern Sachen / nemlich in Bekehrung der Brüder deß Reichen Manns / abgeschlagen worden: der Satan mache ihm / durch solche Begebenheiten / Vertrauen /ein ander Mal so viel leichter Glauben zu finden / und zu betriegen.

Andre dörfften dagegen einwenden / die Sache mit dem Reichen sey einer andren Art / und betreffe die Bekehrung der Gottlosen; welche GOtt / durch das ordentliche Mittel seines Worts / und nicht / durch die Auferstehung eines Todten / den Menschen anbieten wolle; bevorab solchen Sadducœischen Menschen /die eben so wenig den auferstandenen Verstorbenen glauben würden / als wie die Jüden dem Lazaro: Diß aber betreffe keine Bekehrung / sondern einen particular- oder[28] sonderbaren Handel / darinn der Edelmann einen Fehler begangen / und sein Versprechen gebrochen hatte: Welches doch kein schlechter Fehler gewesen; weil GOtt / bey Verlust der Seligkeit / befohlen / daß derjenige / welcher seinem Nechsten schweret (oder welches schier eben so viel / bey der Hand angelobet) und zwar solchen Personen / denen er / vor andren / treulich zu halten schuldig ist / solches auch halten solle (Ps. 15.). So sey auch dieses eben / für keine Todten-Erweckung noch zu achten / wann GOtt gleich eine Seele / in einer / ihr verliehenen / Gestalt /diesem oder Jenem erscheinen liesse: Und wann Er solches gleich dem verdammten Reichen abgeschlagen / habe Er doch dadurch noch keine Regul gesetzt /daran Er selber müsste gebunden seyn / und keine freye Macht behalten / diesem oder Jenem bißweilen dennoch / aus freyem Willen / einen Verstorbenen erscheinen zu lassen: Sonst müsste Er eben so wol Niemanden einen Engel erscheinen / noch durch ein Gesicht bißweilen Manchen eines bessern Lebens / im Alten / oder Neuen Testament / haben erinnern lassen; weil man / im Alten Testament / eben so wol Mosen und die Propheten / und im Neuen überdas die Evangelisten und Apostel gehabt. Dieser Antwort würde sich hierauf ein Römisch-Catholischer bedienen; wie füg- oder unfüglich aber / darüber will ich jetzt keine Erörterung thun.

Wiederum sollte wol noch ein Andrer sagen: Es folge nicht / daß / wann gleich die verstorbne erste Frau dem Edelmann nicht selbst erschienen; welches man auch zu bejahen nicht verlange; dennoch GOtt nicht / durch einen Engel / oder sonst auch ohne[29] Engel / durch ein Gesicht / solche Erscheinung / und Warnung habe werckstellig machen können: Und solche Vermutung werde / durch die vermeynte Gering-Wigtigkeit der Sachen / nicht unvermutlich: weil hiebey nicht so sehr der blosse Werth deß entwandten Schmucks / als das gebrochene Gelübde und Versprechen / in Betrachtung zu ziehen.

Meines Orts / lasse ich Jedwedem sein Beduncken frey / und im Zweifel / ob den Edelmann ein Engel /oder arglistiges Gespenst / oder ein / von GOtt unmittelbar ihm vorgestelltes / Gesicht also geweckt / geschreckt / und bedrauet habe. GOttes Gerichte seynd unerforschlich / und allstets der Gerechtigkeit hold.

Die Geschicht selbst anreichend / werffe ich dieselbe darum nicht unter die Mährlein: sintemal mir einige noch andre Begebenheiten bekandt / dabey etliche fast gleiche Umstände vorgeloffen; so ich aber / aus gewissen Ursachen / nicht erzehle.

Fußnoten

1 Der sel. Herr G. Ph. H. in seinem Mercurio Historico p. 277. seq.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 22-30.
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