Kinderlied

[52] Zum 6. Dezember (a. St.)


Weihnacht ist ein schönes Fest,

Schön für Hohe, schön für Niedre!

Keiner, den es traurig läßt,

Wie auch sonst die Welt ihn widre![52]

Doch beinah' noch größern Spaß

Macht uns jetzt Sankt Nikolas –

Nikolaus, ja, der Biedre!


Niklas ist ein braver Mann,

Herzensgut und mild von Sitten;

Niklas hat ein Renngespann

Und dahinter einen Schlitten.

Hoch im Norden steht sein Haus;

Reiche Gaben teilt er aus,

Wenn die Kinder hübsch ihn bitten.


Spielwerk hat er mancher Art,

Sterne, Bänder, goldne Krippchen!

Streicht ihm freundlich drum den Bart,

Seid drum artig, liebe Bübchen!

Wer ihn recht zu hätscheln weiß,

Eia, kriegt den besten Preis –

Eins von seinen Zuckerpüppchen!


Eia, sind sie doch wie Wachs –

Blond von Haaren, glatt von Wangen!

In den Tiefen seines Sacks

Schmunzelnd hält er sie gefangen,

Putzt sie aus mit Zobelschur,

Und in Juchten, denkt euch nur,

Läßt er ihre Füßchen prangen!


Mit der nächsten Schlittenbahn

Kommt er angerutscht aus Norden;

Offen liegt vor ihm der Plan,

Denn der Pol' ist matt geworden.

Der mit Säbel und mit Spieß

Mürrisch sonst zurück ihn wies,

Kniet jetzt auf der Weichsel Borden.


Und so ist er bald denn da,

Wie auch Elb' und Oder flute!

Kinderchen, seid artig ja,

Denn – auch strafen kann der Gute!

Ja, seid brav, sonst gibt er euch –

Eia, wer erschrickt denn gleich? –

Mein' ich doch ja nur; die – Rute!
[53]

Wohl den Kindern weit und breit,

Die den Wackern liebend ehren!

Die zu dieser bösen Zeit

Ganz als Kinder ihm gehören!

Die als Onkel und Papa

Zu dir aufschaun, Nikola –

Ihnen wirst den Sack du leeren!


Drum gebückt euch und geschmiegt,

Recht mit kindlichem Gemüte,

Bis es rings nach Juchten riecht,

Wie im Mai nach Äpfelblüte!

Bis in echtem Zobelhaar

Überall und immerdar

Wir uns freuen seiner Güte!


Weihnacht ist ein schönes Fest,

Schön für Hohe, schön für Niedre!

Keiner, den es traurig läßt,

Wie auch sonst die Welt ihn widre!

Doch den allermeisten Spaß

Macht uns jetzt Sankt Nikolas –

Nikolaus, ja, der Biedre!


St. Goar, Februar 1844.


Quelle:
Ferdinand Freiligrath: Werke in sechs Teilen. Band 2, Berlin u.a. [1909], S. 52-54.
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