Des Deutschritters Ave

[352] »Herr Ott vom Bühl, nun drängt die Not,

Nun zeigt, wie treu Ihr's meint!

Das Feld ist rot, und die Brüder sind tot,

Und hinter uns rasselt der Feind.


Wohl klag' ich manch gebrochnen Speer,

Manch Wappenschild zerspalten;

Doch schmerzt's um den heiligen Kelch mich noch mehr

In meines Mantels Falten.


Im Schlachtfeld tranken wir alle daraus,

Zu sühnen uns mit Gott;

Soll nun beim wüsten Siegesschmaus

Der Heid' ihn schwingen zum Spott?


Herr Ott, und fühlt Ihr Euch stark und jung,

Noch einmal wendet das Roß,

Versucht mit scharfem Schwertesschwung

Noch einmal zu hemmen den Troß.


Und haltet Ihr nur so lang ihn auf,

Als Ihr ein Ave sagt,

So rettet meines Hengstes Lauf

Den Kelch, um den Ihr's wagt.«[352]


Herrn Otts Besinnen war nicht groß,

Sprach: »Ja«, und weiter nichts;

Des Meisters Roß von dannen schoß

Im Strahl des Mondenlichts.


Und als das Kreuz auf dem Mantel weiß

Nicht mehr zu kennen war,

Da sauste schon auf Gäulen heiß

Heran der Litauer Schar;


Und als der Mantel fern im Schwung

Nur schien wie ein fliegender Schwan,

Da fielen sie den Ritter jung

Mit grimmigen Streichen an.


Die krummen Schwerter blinkten frei,

Es rasselten dumpf die Keulen,

Dazwischen ging ihr Kampfgeschrei

Wie hungriger Wölfe Heulen.


Herr Ott vom Bühl sprach: »Ave Marie!«

Und führt' einen Hieb, der traf;

Der Hauptmann flog vom Sattel aufs Knie

Mit durchgespaltnem Schlaf.


Das zweite Wort der Held dann sprach

Und hieb noch kräftiger schier;

Der Bannerträger zusammenbrach,

Und über ihn fiel das Panier.


Und Wort um Wort und Streich um Streich,

Das war ein tapfer Gebet:

Bei jedem Spruch lag alsogleich

Ein Heide dahingemäht.


Und es klaffte dem Ritter das Stahlhemd weit,

Und es färbten die Ringe sich rot,

Er aber ward nicht laß im Streit,

Und jeder Schlag war Tod.[353]


Und es barst sein Schild, und es sank sein Pferd,

Da kämpft' er fort zu Fuß;

Mit beiden Händen schwang er das Schwert

Und betete weiter den Gruß.


Und als zu Ende das Ave ging,

Er führte noch einen Streich,

Und in getürmter Leichen Ring

Hinsank er blutend und bleich.


Sein Mund ward stumm, sein Arm ward schwer,

Im Tode stand sein Herz;

Nicht Amen konnt' er sprechen mehr,

Das war sein letzter Schmerz.


Doch die Litauer warfen die Renner herum,

Kein Streit mehr lüstete sie.

Gerettet war das Heiligtum

Durch des Ritters Ave Marie.


Gott geb' ihm droben selige Statt

Aufs tosende Schlachtgetümmel!

Wer so auf Erden gebetet hat,

Mag Amen sagen im Himmel.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 352-354.
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