Deutschlands Beruf

[218] 1861.


Soll's denn ewig von Gewittern

Am umwölkten Himmel braun?

Soll denn stets der Boden zittern,

Drauf wir unsre Hütten baun?

Oder wollt ihr mit den Waffen

Endlich Rast und Frieden schaffen?


Daß die Welt nicht mehr, in Sorgen

Um ihr leichterschüttert Glück,

Täglich bebe vor dem Morgen,

Gebt ihr ihren Kern zurück!

Macht Europas Herz gesunden,

Und das Heil ist euch gefunden.


Einen Hort geht aufzurichten,

Einen Hort im deutschen Land!

Sucht zum Lenken und zum Schlichten

Eine schwerterprobte Hand,

Die den güldnen Apfel halte

Und des Reichs in Treuen walte.


Sein gefürstet Banner trage

Jeder Stamm, wie er's erkor,

Aber über alle rage

Stolzentfaltet eins empor,

Hoch, im Schmuck der Eichenreiser,

Wall' es vor dem deutschen Kaiser.


Wenn die heil'ge Krone wieder

Eine hohe Scheitel schmückt,

Aus dem Haupt durch alle Glieder

Stark ein ein'ger Wille zückt,

Wird im Völkerrat vor allen

Deutscher Spruch aufs neu' erschallen.


Dann nicht mehr zum Weltgesetze

Wird die Laun' am Seinestrom,

Dann vergeblich seine Netze[219]

Wirft der Fischer aus in Rom,

Länger nicht mit seinen Horden

Schreckt uns der Koloß im Norden.


Macht und Freiheit, Recht und Sitte,

Klarer Geist und scharfer Hieb,

Zügeln dann aus starker Mitte

Jeder Selbstsucht wilden Trieb,

Und es mag am deutschen Wesen

Einmal noch die Welt genesen.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 218-220.
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