II

[8] Weiter und weiter ganz allein auf der breiten lehmigen heerstrasse · mühsam über steine und furchen hinaus in eine unheimliche nacht deren graue dünste von oben lasten und von allen seiten umschliessen mit feuchtem bedrückendem wehen. Kein wesen keine stimme kein licht. Kaum die gerippe der bäume drüben am graben sind erkennbar · und immer dieselbe bleifarbene schranke als ziel und immer in nämlicher ferne. Am graben drüben huschen zwei gestalten: das eine scheint ein hund zu sein das andre ein kind mit einem zinnkrug.

In den gängen des toten gartens viele rege hände: die zu üppigen schlinggewächse werden weggeräumt · für die welken erfrorenen blumen neue gesezt und man bringt frischen kies und kränze von künstlichen immortellen. Jene von uns die noch nicht lange gegangen sind werden am reichsten bedacht. Der bleiche schein der lezten oktoberstunden auf dem roten und gelblichen sandstein den marmorgestalten und dem denkmal das mich immer so sehr berührte: jener grosse schwarze anker – das wahrzeichen zweifelhafter hoffnung.

Auf den hügeln begann der schnee zu schmelzen. Der fluss und der verregnete stille weg verschwimmen in einer einzigen goldenen und silbernen fläche und werden jählings wieder braune und graue wirklichkeit je[9] nach dem stande der sonne vor oder hinter dem gewölk – oft ein mehrmaliger wechsel in wenigen augenblicken. Die seele lässt dieses flackern und flammen der sonntäglichen leiden über sich ergehen mit einem merklichen wolgefühl.

Quelle:
Stefan George: Tage und Taten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 17, Berlin 1933, S. 8-10.
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