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[85] In der dichtung – wie in aller kunst-betätigung – ist jeder der noch von der sucht ergriffen ist etwas ›sagen‹ etwas ›wirken‹ zu wollen nicht einmal wert in den vorhof der kunst einzutreten.


Jeder widergeist jedes vernünfteln und hadern mit dem leben zeigt auf einen noch ungeordneten denkzustand und muss von der kunst ausgeschlossen bleiben.


Den wert der dichtung entscheidet nicht der sinn (sonst wäre sie etwa weisheit gelahrtheit) sondern die form d.h. durchaus nichts äusserliches sondern jenes tief erregende in maass und klang wodurch zu allen zeiten die Ursprünglichen die Meister sich von den nachfahren den künstlern zweiter ordnung unterschieden haben.


Der wert einer dichtung ist auch nicht bestimmt durch einen einzelnen wenn auch noch so glücklichen fund in zeile strofe oder grösserem abschnitt .. die zusammenstellung · das verhältnis der einzelnen teile zueinander · die notwendige folge des einen aus dem an dern kennzeichnet erst die hohe dichtung.[85]


Reim ist bloss ein wortspiel wenn zwischen den durch den reim verbundenen worten keine innere verbindung besteht.


Freie rhythmen heisst soviel als weisse schwärze · wer sich nicht gut im rhythmus bewegen kann der schreite ungebunden.


Strengstes maass ist zugleich höchste freiheit.

Quelle:
Stefan George: Tage und Taten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 17, Berlin 1933, S. 85-86.
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