Der Wunsch

[65] Dürft' ich vom Schiksal die Erfüllung meines einigen Wunsches hoffen; denn sonst sind meine Wünsche Träume, ich wache auf und weiß nicht, daß ich geträumt habe, es sey denn ein Wunsch für andrer Glük; dürft' ich vom Schiksal dieses hoffen, dann wünscht ich mir nicht Überfluß, auch nicht über Brüder zu herrschen, nicht daß entfernte Länder meinen Namen nennen. O könnt' ich unbekannt und still, fern vom Getümmel der Stadt, wo dem Redlichen unausweichliche Fallstrike gewebt sind, wo Sitten und Verhältnisse tausend Thorheiten adeln, könnt' ich in einsamer Gegend mein Leben ruhig wandeln, im kleinen Landhaus, beym ländlichen Garten, unbeneidet und unbemerkt!

Im grünen Schatten wölbender Nußbäume stünde dann mein einsames Haus, vor dessen Fenstern kühle Winde und Schatten und sanfte Ruhe unter dem grünen Gewölbe der Bäume wohnen; vor dem friedlichen Eingang einen kleinen Plaz eingezäunt, in dem eine kühle Brunn-Quelle unter dem Traubengeländer rauschet, an deren abfliessendem Wasser die Ente mit ihren Jungen spielte, oder die sanften Dauben vom beschatteten Dach herunter flögen, und nikend im Gras wandelten, indeß daß der majestätische Hahn seine gluchzenden Hennen im Hof umher führt; sie würden dann auf mein bekanntes Loken herbey flattern, ans Fenster, und mit schmeichelndem Gewimmel Speise von ihrem Herren fordern.

Auf den nahen Schatten-reichen Bäumen, würden die Vögel in ungestöhrter Freyheit wohnen, und von einem Baum zum andern nachbarlich sich zurufen und singen. In der einen Eke des kleinen Hofes sollen dann die geflochtenen Hütten der Bienen stehn, denn ihr nüzlicher Staat ist ein liebliches Schauspiel; gerne würden sie in meinem Anger wohnen, wenn wahr ist, was der Landmann sagt, daß sie nur da wohnen, wo Fried und Ruhe in der Wirthschaft herrscht. Hinten am Hause sey mein geraumer Garten, wo einfältige Kunst, den angenehmen Phantasien der Natur mit gehorsamer[66] Hülfe beysteht, nicht aufrührisch sie zum dienstbaren Stoff sich macht, in groteske Bilder sie zu schaffen. Wände von Nußstrauch umzäumen ihn, und in jeder Eke steht eine grüne Hütte von wilden Rosinen; dahin würd ich oft den Stralen der Sonn' entweichen, oder sehen, wie der braune Gärtner die Beeten umgräbt, um schmakhafte Garten-Gewächse zu säen; Oft würd ich die Schaufel aus der Hand ihm nehmen, durch seinen Fleiß zur Arbeit gelokt, um selbst umzugraben, indeß daß er neben mir stühnde, der wenigern Kräfte lächelnd; oder ich hülf ihm die flatternden Gewächse an Stäben aufbinden, oder der Rosen-Stau den warten und der zerstreuten Nelken und Lilien.

Aussen am Garten müßt' ein klarer Bach meine Grasreiche Wiese durchschlängeln; er schlängelte sich dann durch den schattichten Hain fruchtbarer Bäume, von jungen zarten Stämmen durchmischet, die mein sorgsamer Fleiß selbst bewachete. Ich würd ihn in der Mitte zu einem kleinen Teich sich sammeln lassen, und in des Teiches Mitte baut' ich eine Laube auf eine kleine aufgeworfene Insel; zöge sich dann noch ein kleiner Reb-Berg an der Seite in die offene Gegend hinaus, und ein kleines Feld mit winkenden Ähren, wäre der reichste König dann gegen mir beneidens werth?

Aber fern sey meine Hütte von dem Landhaus, das Dorantes bewohnt, ununterbrochen in Gesellschaft zu seyn. Bey ihm lernt man, daß Frankreich gewiß nicht kriegen wird, und was Mops thäte, wenn er König der Britten wäre, und bey wohlbedekter Tafel werden die Wissenschaften beurtheilt, und die Fehler unsers Staats, indeß daß majestätischer Anstand vor der leeren Stirne schwebt. Weit von Oronten weg sey meine einsame Wohnung; fernher sammelt sich Wein in seinen Keller, die Natur ist ihm nur schön, weil niedliche Bissen für ihn in der Luft fliegen, oder den Hain durchirren, oder in der Flut schwimmen. Er eilt auf das Land um ungestöhrt rasen zu können; wie bang ist man in den verfluchten Mauern, wo der tumme Nachbar jede That bemerkt! Dir begegne nie, daß ein einsamer Tag bey dir allein[67] dich lasse, eine unleidliche Gesellschaft für dich, vielleicht entwischt dir ein schauernder Blik in dich selbst. Aber nein, gepeinigte Pferde bringen dir schnaubend ihre unwürdigen Lasten, sie springen fluchend von dem unschuldigen Thier; Tumult und Unsinn und rasender Wiz begleiten die Gesellschaft zur Tafel, und ein ohnmächtiger Rausch endet die tobende Scene. Noch weiter von dir, hagrer Harpax, dessen Thüre hagre Hunde bewachen, die hungernd dem ungestühm abgewiesenen Armen das bethränte Brod rauben. Weit umher ist der arme Landmann dein gepeinigter Schuldner; nur selten steigt der dünne Rauch von deinem umgestürzten Schorstein auf, denn solltest du nicht hungern, da du deinen Reichthum dem weinenden Armen raubest!

Aber wohin reißt mich ungestümer Verdruß? Kommt zurük, angenehme Bilder, kommt zurük und heitert mein Gemüth auf; führet mich wieder dahin, wo mein kleines Landhaus steht. Der fromme Landmann sey mein Nachbar, in seiner braunen beschatteten Hütte; liebreiche Hülfe und freundschaftlicher Rath machen dann einen dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar; denn, was ist seliger als geliebet zu seyn, als der frohe Gruß des Manns, dem wir Gutes gethan?

Wenn den, der in der Stadt wohnet, unruhiges Getümmel aus dem Schlummer wekt, wenn die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne liebliche Blike verwehrt, und die schöne Scene des Morgens seinem eingekerkerten Blik nicht vergönnt ist, dann würd' eine sanfte Morgen-Luft mich weken und die frohen Concerte der Vögel. Dann flog' ich aus meiner Ruhe, und gieng' Auroren entgegen, auf blumichte Wiesen, oder auf die nahen Hügel, und säng' entzükt frohe Lieder vom Hügel herunter. Denn, was entzüket mehr als die schöne Natur, wenn sie in harmonischer Unordnung ihre unendlich manigfaltigen Schönheiten verwindet? Zukühner Mensch! was unterwindest du dich die Natur durch weither nachahmende Künste zu schmüken? Baue Labyrinte von grünen Wänden, und laß den gespizten Taxus in abgemessener Weite empor stehn, die Gänge seyen reiner Sand, daß kein[68] Gesträuchgen den wandelnden Fußtritt verwirre; mir gefällt die ländliche Wiese und der verwilderte Hain, ihre Manigfaltigkeit und Verwirrung hat die Natur nach geheimern Regeln der Harmonie und der Schönheit geordnet, die unsere Seele voll sanften Entzükens empfindt.

Oft würd' ich bey sanftem Mondschein bis zur Mitternacht wandeln, in einsamen frohen Betrachtungen, über den harmonischen Weltbau, wenn unzählbare Welten und Sonnen über mir leuchten.

Auch besucht' ich den Landmann, wenn er beym Furchenziehenden Pflug singt, oder die frohen Reihen der Schnitter, wenn sie ihre ländlichen Lieder singen, und hörte ihre frohen Geschichtchens und ihren muntern Scherz; oder wenn der Herbst kommt, und die Bäume bunt färbet, dann würd' ich die Gesang-vollen Wein-Hügel besuchen, wenn die Mädchens und die Jünglinge im Rebenhain lachen, und die reifen Trauben sammeln. Wenn der Reichthum des Herbstes gesammelt ist, dann gehen sie jauchzend zu der Hütte zurük, wo der Kelter lautes Knarren weit umher tönt; sie sammeln sich in der Hütte, wo ein frohes Mahl sie erwartet. Der erste Hunger ist gestillet, izt kommt der ländliche Scherz und das laute Lachen, indeß daß der freundliche Wirth die Weinflaschen wieder auffüllt und zur Freude sie aufmahnet. Kunz erzehlt izt, wie er grosse Reisen gethan hat, bis weit in Schwaben hinaus, und wie er Häuser gesehen, noch grösser und schöner als die Kirch im Dorf, und wie einen Herren sechs schöne Rosse in einem gläsernen Wagen gezogen haben, schöner als das beste das der Müller im Thal hat, und wie die Bauern da mit grünen Spizen-Hüten gehn. So erzehlt' er vieles, indeß daß der junge Knecht, aufmerksam den offenen Mund auf die unterstüzende Hand gelehnet, bald vergessen hätte, daß sein Mädchen an seiner Seite sizt, hätte sie ihn nicht lachend in die Wange gekneipt. Dann erzehlt Hans, wie seinen Nachbar ein Irrwisch verfolgt hat, und wie er ihm auf den Korb gesessen, er hätt' ihn bis unter die Dachrinne verfolgt, wenn er nicht eins geschworen hätte. Aber izt[69] gehen sie aus der Hütte, um beym Mondschein zu tanzen, bis die Mitternacht sie zur Ruhe ruft.

Wenn aber trübe Tage mit frostigem Regen, oder der herbe Winter, oder die schwüle Hize des Sommers den Spaziergang mir verböten, dann würd ich ins einsame Zimmer mich schliessen; mich unterhielte da die edelste Gesellschaft, der Stolz und die Ehr' eines jeden Jahrhunderts, die grossen Geister, die ihre Weisheit in lehrende Bücher ausgegossen haben; edle Gesellschaft, die unsre Seele zu ihrer Würd' erhebt! Der lehrte mich die Sitten ferner Nationen, und die Wunder der Natur in fernen Welt-Theilen: Der dekt mir die Geheimnisse der Natur auf, und führt mich in ihre geheime Werkstatt, der würde mich die Öconomie ganzer Nationen lehren und ihre Geschichte, die Schand und die Ehre des Menschen-Geschlechts. Der lehrt mich die Grösse und die Bestimmung unsrer Seele, und die Reiz-volle Tugend; um mich her stünden die Weisen und die Sänger des Alterthums; ihr Pfad ist der Pfad zum wahren Schönen, aber nur wenige wagen sich hin, das blöde Haupt macht tausende schwindlicht zurük gehn, auf eine leichtere Bahn voll Flittergold und geruchloser Blumen. Soll ich die wenigen nennen? Du schöpfrischer Klopstok, und du Bodmer, der du mit Breitingern die Fakel der Critik aufgesteket hast, denen Irrlichtern entgegen, die in Sümpfe oder dürre Einöden verführten. Und du Wieland, (oft besucht deine Muse ihre Schwester, die ernste Welt-Weisheit, und holt erhabenen Stoff, aus ihren geheimesten Kammern, und bildet ihn zu reizenden Gratien,) oft sollen eure Lieder in heiliges Entzüken mich hinreissen; Auch du mahlerischer von Kleist, sanft entzükt mich dein Lied, wie ein helles Abendroth, zu frieden ist dann mein Herz, und still, wie die Gegend beym Schimmer des Monds; auch du Gleim, wenn du die lächelnden Empfindungen unsers Herzens singest und unschuldigen Scherz, – – Doch soll ich euch alle nennen ihr wenigen? die verwöhnte Nation mißkennt euern Werth, euch zu schäzen ist einer bessern Nachwelt vorbehalten.[70]

Auch ich schriebe dann oft die Lieder hin, die ich auf einsamen Spaziergängen gedacht, im dunkeln Hain, oder beym rauschenden Wasserfall, oder im Trauben-Geländer beym Schimmer des Monds. Oder ich sähe im Kupferstich, wie grosse Künstler die Natur nachgeahmet haben, oder ich versucht' es selbst, ihre schönen Auftritte auf dem gespanneten Tuch nachzuschaffen.

Zuweilen störte mich ein lautes Klopfen vor meiner Thüre, wie entzükt wär ich, wenn ein Freund beym Eröfnen in die offenen Arme mir eilte; oft fänd' ich sie auch, wenn ich vom Spaziergang zurük, der einsamen Hütte mich näherte, einzeln oder in Truppen mir entgegen grüssen; gesellschaftlich würden wir dann die schönsten Gegenden durchirren, nicht mürrisch ernsthafte Gespräche mit freundlichem Scherz gemischt, machten uns die Stunden vorbey hüpfen, Hunger würde die Kost uns würzen, die mein Garten mir gäbe, und der Teich und mein belebter Hof; Wir fänden sie bey der Rükkunft unter einem Trauben-Geländer, oder in der schattichten Hütte im Garten aufgetischet; oft auch sässen wir beym Mondschein in der Laube beym bescheidenen Kelchglas, bey frohen Liedern und munterm Scherz, es wäre denn, daß der Nachtigal melancholisches Lied uns aufmerken hiesse.

Aber, was träum' ich? Zu lang, zu lang schon hat meine Phantasie dich verfolget, dich, eitelen Traum! Eiteler Wunsch! nie werd' ich deine Erfüllung sehen. Immer ist der Mensch unzufrieden, wir sehen weit hinaus auf frömde Gefilde von Glük, aber Labyrinte versperren den Zugang, und dann seufzen wir hin, und vergessen das Gute zu bemerken, das jedem auf der angewiesenen Bahn des Lebens beschehrt ist. Unser wahres Glük ist die Tugend. Der ist ein Weiser, und glüklich, der willig die Stell' ausfüllt, die der Baumeister, der den Plan des ganzen denkt, ihm bestimmt hat. Ja du, göttliche Tugend, du bist unser Glük, du streust Freud' und Seligkeit in jedem Stand auf unsre Tage. O wen soll ich beneiden, wenn ich durch dich beglükt die Laufbahn[71] meines Lebens vollende? dann sterb' ich froh, von Edeln beweint, die mich um deinetwillen liebten, von euch beweint ihr Freunde. Wenn ihr beym Hügel meines Grabes vorbey geht, dann drüket euch die Hand, dann umarmet euch; Hier ligt sein Staub, sagt ihr, des Redlichen, aber Gott belohnt seine Bemühung glüklich zu seyn, izt mit ewigem Glük; bald aber wird unser Staub auch da ligen, und dann geniessen wir mit ihm das ewige Glük; und du, geliebte Freundin! wann du beym Hügel meines Grabes vorüber gehest, wann die Maaßlieben und die Ringelblumen von meinem Grabe dir winken, dann steig eine Thräne dir ins Auge, und ists den Seligen vergönnt, die Gegend, die wir bewohnt, und die stillen Haine zu besuchen, wo wir oft in seligen Stunden unsrer Seele grosse Bestimmung dachten, und unsre Freunde zu umduften, dann wird meine Seele dich oft umschweben, oft, wenn du voll edler hoher Empfindung einsam nachdenkest, wird ein sanftes Wehen deine Wangen berühren; dann gehe ein sanftes Schauern durch deine Seele!

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 65-72.
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