Einladung an einen Freund

[202] Den 24. Januar 1777.


Freund! hast du keinen bessern Wirth,

So bitt' ich, komm bei mir zu Gaste.

Wo sonst kein Bratenwender schwirrt,

Wenn gleich ich nicht wie Harpax faste,

Da dreht sich heut ein Has' am Feuer,

Von keines Windhunds Grimm zerfetzt,

Und eben sind in meinen Weiher

Zwei Lachsforellen eingesetzt.

Borstorfer Aepfel sind zwar jetzt

Am besten, aber viel zu theuer,

Drum hat mein Weibchen zum Tokaier[203]

Harzkäse nur zurecht gesetzt.

Doch, Freund, ich will dich nicht betrügen;

Mit dem Tokaier, war es Spaß;

Allein, zum Glück'! hab' ich zwei Maß

Burgunder noch im Keller liegen,

Die sollen heute beide dran!

Und leben soll der alte König1,

Als seines Reiches bravster Mann!

Drum schick' zur Freude recht dich an,

Vermag gleich Küch' und Keller wenig.

Bring' ein Paar Freunde mit; denn viele,

Das, freilich, leidet nicht mein Wein,

Und denn, so werden meiner Stühle

Nur grad' ein halbes Dutzend seyn.

Statt eines horchenden Lackein,

Soll dir ein Mädchen, dem kein Harm,[204]

Kein Liebesdurst die Wangen bleichen,

Mit aufgestreiftem rundem Arm'

Die spiegelblanken Teller reichen.

Sprich, was du willst, ja spotte schier

Selbst über Deutschlands Potentaten,

Das Mädchen, ich bin gut dafür,

Wird dem Fiskal dich nicht verrathen,

Und hinterm Stuhle, wie betäubt,

Nur lauern, ob vom Hasenbraten

Für sie ein Stückchen übrig bleibt?

So komm denn, und vergiß mir nicht,

Ein faltenleeres Angesicht,

Und deine Harfe mit zu bringen.

Wie sollen meine Jungen springen,

Und zu der rothen Gläser Klang,

Amalia so süß uns singen!

Wie wird mein Weibchen mich umschlingen,

Und froh verstummen im Gesang'![205]

Laß immerhin im Leuchter-Saal'

Die reichern Leute, heut ein Mahl

Von dreißig theuren Schüsseln halten,

Um dran acht Tage zu verdaun:

Vergehen des Verdrusses Falten

Nach einem Flügel vom Kapaun'?

Und wird, von einer Hummer-Scheere,

Ein Hofmann wohl dem andern traun?

Gibt Wein, und wenn's Tokaier wäre,

Dem Dummen Witz und gute Laun'?

Und füllet ein Concert von Graun

Des Kopfes und des Herzens Leere?

Doch wer, wie wir, beim Freundschaftsmahl'

Sich recht versteht mit seinem Herzen,

Dem brennt sein Talglicht unter Scherzen

Noch hell beim ersten Sonnenstrahl',

Wann längst die hundert weißen Kerzen

Im ränkevollen Marmorsaal',[206]

Auf Kronen von Kristall erloschen,

Und seinen Hasen für acht Groschen,

Verdaut er, weiß es nicht einmal.

Drum laß uns schmausen, laß uns trinken,

Denn Wein und Wildpret schmeckt uns noch.

Dann, wenn wir an ein Mauseloch,

Um Zähne zu begraben, hinken:

Dann ist's zu spät! dann wird kein Wein

Den längst gestorbnen Witz erwecken,

Das Auge nicht beredt mehr seyn,

Geheime Wünsche zu entdecken,

Und ach! das Ohr der Harfe Klang,

So wie Amaliens Gesang,

Vergebens sich entgegen strecken.

Ja freilich! könnten mit der Zeit,

Wenn wir nicht schmausen, bis wir sterben,

Die Jungen eine Kleinigkeit

Mehr, als sie finden werden, erben;[207]

Doch, weist du, sind sie sonst gescheidt,

Was sie natürlich sagen würden?

Mein Vater trug des Lebens Bürden

Jahr aus, Jahr ein, und starb zuletzt.

Er hat ein Grab damit erworben,

Das find' ich auch, bin ich gestorben:

Ist's drum nicht klüger, erst ergötzt?

Fußnoten

1 Friedrich II., dessen Geburtstag der 24. Januar war.


Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte.Teil 1–4, Teil 1, Frankfurt a.M. 1821, S. 202-208.
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