Der Nachbarin Haus.

[92] MARTHE allein.

Gott verzeih's meinem lieben Mann,

Er hat an mir nicht wohl getan!

Geht da stracks in die Welt hinein,

Und läßt mich auf dem Stroh allein.

Tät ihn doch wahrlich nicht betrüben,

Tät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.


Sie weint.


Vielleicht ist er gar tot! – O Pein! – –

Hätt' ich nur einen Totenschein!


Margarete kommt.


MARGARETE.

Frau Marthe!

MARTHE.

Gretelchen, was soll's?

MARGARETE.

Fast sinken mir die Kniee nieder!

Da find' ich so ein Kästchen wieder

In meinem Schrein, von Ebenholz,

Und Sachen herrlich ganz und gar,

Weit reicher, als das erste war.

MARTHE.

Das muß Sie nicht der Mutter sagen;

Tät's wieder gleich zur Beichte tragen.

MARGARETE.

Ach seh' Sie nur! ach schau' Sie nur!

MARTHE putzt sie auf.

O du glücksel'ge Kreatur!

MARGARETE.

Darf mich, leider, nicht auf der Gassen,

Noch in der Kirche mit sehen lassen.[92]

MARTHE.

Komm du nur oft zu mir herüber,

Und leg den Schmuck hier heimlich an;

Spazier ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,

Wir haben unsre Freude dran;

Und dann gibt's einen Anlaß, gibt's ein Fest,

Wo man's so nach und nach den Leuten sehen läßt.

Ein Kettchen erst, die Perle dann ins Ohr;

Die Mutter sieht's wohl nicht, man macht ihr auch was vor.

MARGARETE.

Wer konnte nur die beiden Kästchen bringen?

Es geht nicht zu mit rechten Dingen! Es klopft.

Ach Gott! mag das meine Mutter sein?


Marthe durchs Vorhängel guckend.


Es ist ein fremder Herr – Herein!


Mephistopheles tritt auf.


MEPHISTOPHELES.

Bin so frei, grad' hereinzutreten,

Muß bei den Frauen Verzeihn erbeten.


Tritt ehrerbietig vor Margareten zurück.


Wollte nach Frau Marthe Schwerdtlein fragen!

MARTHE.

Ich bin's, was hat der Herr zu sagen?

MEPHISTOPHELES leise zu ihr.

Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;

Sie hat da gar vornehmen Besuch.

Verzeiht die Freiheit, die ich genommen,

Will Nachmittage wiederkommen.

MARTHE laut.

Denk, Kind, um alles in der Welt!

Der Herr dich für ein Fräulein hält.

MARGARETE.

Ich bin ein armes junges Blut;

Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:

Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.

MEPHISTOPHELES.

Ach, es ist nicht der Schmuck allein;

Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!

Wie freut mich's, daß ich bleiben darf.

MARTHE.

Was bringt Er denn? Verlange sehr –

MEPHISTOPHELES.

Ich wollt', ich hätt' eine frohere Mär!

Ich hoffe, Sie läßt mich's drum nicht büßen:

Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen.

MARTHE.

Ist tot? das treue Herz! O weh!

Mein Mann ist tot! Ach, ich vergeh'![93]

MARGARETE.

Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!

MEPHISTOPHELES.

So hört die traurige Geschicht'!

MARGARETE.

Ich möchte drum mein' Tag' nicht lieben,

Würde mich Verlust zu Tode betrüben.

MEPHISTOPHELES.

Freud' muß Leid, Leid muß Freude haben.

MARTHE.

Erzählt mir seines Lebens Schluß!

MEPHISTOPHELES.

Er liegt in Padua begraben

Beim heiligen Antonius,

An einer wohlgeweihten Stätte

Zum ewig kühlen Ruhebette.

MARTHE.

Habt Ihr sonst nichts an mich zu bringen?

MEPHISTOPHELES.

Ja, eine Bitte, groß und schwer;

Lass' Sie doch ja für ihn dreihundert Messen singen!

Im übrigen sind meine Taschen leer.

MARTHE.

Was! nicht ein Schaustück? Kein Geschmeid'?

Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,

Zum Angedenken aufbewahrt,

Und lieber hungert, lieber bettelt!

MEPHISTOPHELES.

Madam, es tut mir herzlich leid;

Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.

Auch er bereute seine Fehler sehr,

Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.

MARGARETE.

Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!

Gewiß, ich will für ihn manch Requiem noch beten.

MEPHISTOPHELES.

Ihr wäret wert, gleich in die Eh' zu treten:

Ihr seid ein liebenswürdig Kind.

MARGARETE.

Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.

MEPHISTOPHELES.

Ist's nicht ein Mann, sei's derweil ein Galan.

's ist eine der größten Himmelsgaben,

So ein lieb Ding im Arm zu haben.

MARGARETE.

Das ist des Landes nicht der Brauch.

MEPHISTOPHELES.

Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.

MARTHE.

Erzählt mir doch!

MEPHISTOPHELES.

Ich stand an seinem Sterbebette,

Es war was besser als von Mist,

Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,[94]

Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.

›Wie‹, rief er, ›muß ich mich von Grund aus hassen,

So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!

Ach, die Erinnrung tötet mich. Vergäb' sie mir nur noch in diesem Leben!‹

MARTHE weinend.

Der gute Mann! ich hab' ihm längst vergeben.

MEPHISTOPHELES.

›Allein, weiß Gott! sie war mehr schuld als ich.‹

MARTHE.

Das lügt er! Was! am Rand des Grabs zu lügen!

MEPHISTOPHELES.

Er fabelte gewiß in letzten Zügen,

Wenn ich nur halb ein Kenner bin.

›Ich hatte‹, sprach er, ›nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,

Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,

Und Brot im allerweitsten Sinn,

Und konnte nicht einmal mein Teil in Frieden essen.‹

MARTHE.

Hat er so aller Treu', so aller Lieb' vergessen,

Der Plackerei bei Tag und Nacht!

MEPHISTOPHELES.

Nicht doch, er hat Euch herzlich dran gedacht.

Er sprach: ›Als ich nun weg von Malta ging,

Da betet' ich für Frau und Kinder brünstig;

Uns war denn auch der Himmel günstig,

Daß unser Schiff ein türkisch Fahrzeug fing,

Das einen Schatz des großen Sultans führte.

Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,

Und ich empfing denn auch, wie sich gebührte,

Mein wohlgemeßnes Teil davon.‹

MARTHE.

Ei wie? Ei wo? Hat er's vielleicht vergraben?

MEPHISTOPHELES.

Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.

Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,

Als er in Napel fremd umherspazierte;

Sie hat an ihm viel Lieb's und Treu's getan,

Daß er's bis an sein selig Ende spürte.

MARTHE.

Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!

Auch alles Elend, alle Not

Konnt' nicht sein schändlich Leben hindern!

MEPHISTOPHELES.

Ja seht! dafür ist er nun tot.

Wär' ich nun jetzt an Eurem Platze,[95]

Betraurt' ich ihn ein züchtig Jahr,

Visierte dann unterweil nach einem neuen Schatze.

MARTHE.

Ach Gott! wie doch mein erster war,

Find' ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!

Es konnte kaum ein herziger Närrchen sein.

Er liebte nur das allzuviele Wandern;

Und fremde Weiber, und fremden Wein,

Und das verfluchte Würfelspiel.

MEPHISTOPHELES.

Nun, nun, so konnt' es gehn und stehen,

Wenn er Euch ungefähr so viel

Von seiner Seite nachgesehen.

Ich schwör' Euch zu, mit dem Beding

Wechselt' ich selbst mit Euch den Ring!

MARTHE.

O es beliebt dem Herrn, zu scherzen!

MEPHISTOPHELES für sich.

Nun mach' ich mich beizeiten fort!

Die hielte wohl den Teufel selbst beim Wort.


Zu Gretchen.


Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?

MARGARETE.

Was meint der Herr damit?

MEPHISTOPHELES für sich.

Du gut's, unschuldig's Kind!


Laut.


Lebt wohl, ihr Fraun!

MARGARETE.

Lebt wohl!

MARTHE.

O sagt mir doch geschwind!

Ich möchte gern ein Zeugnis haben,

Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.

Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,

Möcht' ihn auch tot im Wochenblättchen lesen.

MEPHISTOPHELES.

Ja, gute Frau, durch zweier Zeugen Mund

Wird allerwegs die Wahrheit kund;

Habe noch gar einen feinen Gesellen,

Den will ich Euch vor den Richter stellen.

Ich bring' ihn her.

MARTHE.

O tut das ja!

MEPHISTOPHELES.

Und hier die Jungfrau ist auch da? –

Ein braver Knab'! ist viel gereist,

Fräuleins alle Höflichkeit erweist.

MARGARETE.

Müßte vor dem Herren schamrot werden.

MEPHISTOPHELES.

Vor keinem Könige der Erden.

MARTHE.

Da hinterm Haus in meinem Garten

Wollen wir der Herrn heut' abend warten.[96]

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3, Hamburg 1948 ff, S. 92-97.
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