Innerer Burghof


[276] Umgeben von reichen phantastischen Gebäuden des Mittelalters.


CHORFÜHRERIN.

Vorschnell und töricht, echt wahrhaftes Weibsgebild!

Vom Augenblick abhängig, Spiel der Witterung,

Des Glücks und Unglücks! Keins von beiden wißt ihr je

Zu bestehn mit Gleichmut. Eine widerspricht ja stets

Der andern heftig, überquer die andern ihr;

In Freud' und Schmerz nur heult und lacht ihr gleichen Tons.

Nun schweigt! und wartet horchend, was die Herrscherin

Hochsinnig hier beschließen mag für sich und uns.

HELENA.

Wo bist du, Pythonissa? heiße, wie du magst;

Aus diesen Gewölben tritt hervor der düstern Burg.

Gingst etwa du, dem wunderbaren Heldenherrn

Mich anzukündigen, Wohlempfang bereitend mir,

So habe Dank und führe schnell mich ein zu ihm;

Beschluß der Irrfahrt wünsch' ich. Ruhe wünsch' ich nur.

CHORFÜHRERIN.

Vergebens blickst du, Königin, allseits um dich her;

Verschwunden ist das leidige Bild, verblieb vielleicht

Im Nebel dort, aus dessen Busen wir hieher,

Ich weiß nicht wie, gekommen, schnell und sonder Schritt.

Vielleicht auch irrt sie zweifelhaft im Labyrinth

Der wundersam aus vielen einsgewordnen Burg,

Den Herrn erfragend fürstlicher Hochbegrüßung halb.

Doch sieh, dort oben regt in Menge sich allbereits,

In Galerien, am Fenster, in Portalen rasch

Sich hin und her bewegend, viele Dienerschaft;

Vornehm-willkommnen Gastempfang verkündet es.

CHOR.

Aufgeht mir das Herz! o, seht nur dahin,

Wie so sittig herab mit verweilendem Tritt

Jungholdeste Schar anständig bewegt

Den geregelten Zug. Wie? auf wessen Befehl

Nur erscheinen, gereiht und gebildet so früh,

Von Jünglingsknaben das herrliche Volk?

Was bewundr' ich zumeist? Ist es zierlicher Gang,

Etwa des Haupts Lockhaar um die blendende Stirn,[276]

Etwa der Wänglein Paar, wie die Pfirsiche rot

Und eben auch so weichwollig beflaumt?

Gern biss' ich hinein, doch ich schaudre davor;

Denn in ähnlichem Fall, da erfüllte der Mund

Sich, gräßlich zu sagen! mit Asche.

Aber die schönsten,

Sie kommen daher;

Was tragen sie nur?

Stufen zum Thron,

Teppich und Sitz,

Umhang und zelt-

artigen Schmuck;

Über überwallt er,

Wolkenkränze bildend,

Unsrer Königin Haupt;

Denn schon bestieg sie

Eingeladen herrlichen Pfühl.

Tretet heran,

Stufe für Stufe

Reihet euch ernst.

Würdig, o würdig, dreifach würdig

Sei gesegnet ein solcher Empfang!


Alles vom Chor Ausgesprochene geschieht nach und nach. Faust. Nachdem Knaben und Knappen in langem Zug herabgestiegen, erscheint er oben an der Treppe in ritterlicher Hofkleidung des Mittelalters und kommt langsam würdig herunter.


CHORFÜHRERIN ihn aufmerksam beschauend.

Wenn diesem nicht die Götter, wie sie öfter tun,

Für wenige Zeit nur wundernswürdige Gestalt,

Erhabnen Anstand, liebenswerte Gegenwart

Vorübergänglich liehen, wird ihm jedesmal,

Was er beginnt, gelingen, sei's in Männerschlacht,

So auch im kleinen Kriege mit den schönsten Fraun.

Er ist fürwahr gar vielen andern vorzuziehn,

Die ich doch auch als hochgeschätzt mit Augen sah.

Mit langsam-ernstem, ehrfurchtsvoll gehaltnem Schritt

Seh' ich den Fürsten; wende dich, o Königin![277]

FAUST herantretend, einen Gefesselten zur Seite.

Statt feierlichsten Grußes, wie sich ziemte,

Statt ehrfurchtsvollem Willkomm bring' ich dir

In Ketten hart geschlossen solchen Knecht,

Der, Pflicht verfehlend, mir die Pflicht entwand.

Hier kniee nieder, dieser höchsten Frau

Bekenntnis abzulegen deiner Schuld.

Dies ist, erhabne Herrscherin, der Mann,

Mit seltnem Augenblitz vom hohen Turm

Umherzuschaun bestellt, dort Himmelsraum

Und Erdenbreite scharf zu überspähn,

Was etwa da und dort sich melden mag,

Vom Hügelkreis ins Tal zur festen Burg

Sich regen mag, der Herden Woge sei's,

Ein Heereszug vielleicht; wir schützen jene,

Begegnen diesem. Heute, welch Versäumnis!

Du kommst heran, er meldet's nicht; verfehlt

Ist ehrenvoller, schuldigster Empfang

So hohen Gastes. Freventlich verwirkt

Das Leben hat er, läge schon im Blut

Verdienten Todes; doch nur du allein

Bestrafst, begnadigst, wie dir's wohlgefällt.

HELENA.

So hohe Würde, wie du sie vergönnst,

Als Richterin, als Herrscherin, und wär's

Versuchend nur, wie ich vermuten darf –

So üb' ich nun des Richters erste Pflicht,

Beschuldigte zu hören. Rede denn.

TURMWÄCHTER LYNKEUS.

Laß mich knieen, laß mich schauen,

Laß mich sterben, laß mich leben,

Denn schon bin ich hingegeben

Dieser gottgegebnen Frauen.


Harrend auf des Morgens Wonne,

Östlich spähend ihren Lauf,

Ging auf einmal mir die Sonne

Wunderbar im Süden auf.
[278]

Zog den Blick nach jener Seite,

Statt der Schluchten, statt der Höhn,

Statt der Erd- und Himmelsweite

Sie, die Einzige, zu spähn.


Augenstrahl ist mir verliehen

Wie dem Luchs auf höchstem Baum;

Doch nun mußt' ich mich bemühen

Wie aus tiefem, düsterm Traum.


Wüßt' ich irgend mich zu finden?

Zinne? Turm? geschloßnes Tor?

Nebel schwanken, Nebel schwinden,

Solche Göttin tritt hervor!


Aug' und Brust ihr zugewendet,

Sog ich an den milden Glanz;

Diese Schönheit, wie sie blendet,

Blendete mich Armen ganz.


Ich vergaß des Wächters Pflichten,

Völlig das beschworne Horn;

Drohe nur, mich zu vernichten –

Schönheit bändigt allen Zorn.

HELENA.

Das Übel, das ich brachte, darf ich nicht

Bestrafen. Wehe mir! Welch streng Geschick

Verfolgt mich, überall der Männer Busen

So zu betören, daß sie weder sich

Noch sonst ein Würdiges verschonten. Raubend jetzt,

Verführend, fechtend, hin und her entrückend,

Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,

Sie führten mich im Irren her und hin.

Einfach die Welt verwirrt' ich, doppelt mehr;

Nun dreifach, vierfach bring' ich Not auf Not.

Entferne diesen Guten, laß ihn frei;

Den Gottbetörten treffe keine Schmach.

FAUST.

Erstaunt, o Königin, seh' ich zugleich

Die sicher Treffende, hier den Getroffnen;

Ich seh' den Bogen, der den Pfeil entsandt,

Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen,[279]

Mich treffend. Allwärts ahn' ich überquer

Gefiedert schwirrend sie in Burg und Raum.

Was bin ich nun? Auf einmal machst du mir

Rebellisch die Getreusten, meine Mauern

Unsicher. Also fürcht' ich schon, mein Heer

Gehorcht der siegend unbesiegten Frau.

Was bleibt mir übrig, als mich selbst und alles,

Im Wahn das Meine, dir anheimzugeben?

Zu deinen Füßen laß mich, frei und treu,

Dich Herrin anerkennen, die sogleich

Auftretend sich Besitz und Thron erwarb.

LYNKEUS mit einer Kiste, und Männer, die ihm andere nachtragen.

Du siehst mich, Königin, zurück!

Der Reiche bettelt einen Blick,

Er sieht dich an und fühlt sogleich

Sich bettelarm und fürstenreich.


Was war ich erst? was bin ich nun?

Was ist zu wollen? was zu tun?

Was hilft der Augen schärfster Blitz!

Er prallt zurück an deinem Sitz.


Von Osten kamen wir heran,

Und um den Westen war's getan;

Ein lang und breites Volksgewicht,

Der erste wußte vom letzten nicht.


Der erste fiel, der zweite stand,

Des dritten Lanze war zur Hand;

Ein jeder hundertfach gestärkt,

Erschlagne Tausend unbemerkt.


Wir drängten fort, wir stürmten fort,

Wir waren Herrn von Ort zu Ort;

Und wo ich herrisch heut befahl,

Ein andrer morgen raubt' und stahl.


Wir schauten – eilig war die Schau;

Der griff die allerschönste Frau,

Der griff den Stier von festem Tritt,

Die Pferde mußten alle mit.
[280]

Ich aber liebte, zu erspähn

Das Seltenste, was man gesehn;

Und was ein andrer auch besaß,

Das war für mich gedörrtes Gras.


Den Schätzen war ich auf der Spur,

Den scharfen Blicken folgt' ich nur,

In allen Taschen blickt' ich ein,

Durchsichtig war mir jeder Schrein


Und Haufen Goldes waren mein,

Am herrlichsten der Edelstein:

Nun der Smaragd allein verdient,

Daß er an deinem Herzen grünt.


Nun schwanke zwischen Ohr und Mund

Das Tropfenei aus Meeresgrund;

Rubinen werden gar verscheucht,

Das Wangenrot sie niederbleicht.


Und so den allergrößten Schatz

Versetz' ich hier auf deinen Platz;

Zu deinen Füßen sei gebracht

Die Ernte mancher blut'gen Schlacht.


So viele Kisten schlepp' ich her,

Der Eisenkisten hab' ich mehr;

Erlaube mich auf deiner Bahn,

Und Schatzgewölbe füll' ich an.


Denn du bestiegest kaum den Thron,

So neigen schon, so beugen schon

Verstand und Reichtum und Gewalt

Sich vor der einzigen Gestalt.


Das alles hielt ich fest und mein,

Nun aber, lose, wird es dein.

Ich glaubt' es würdig, hoch und bar,

Nun seh' ich, daß es nichtig war.


Verschwunden ist, was ich besaß,

Ein abgemähtes, welkes Gras.

O gib mit einem heitern Blick

Ihm seinen ganzen Wert zurück![281]

FAUST.

Entferne schnell die kühn erworbne Last,

Zwar nicht getadelt, aber unbelohnt.

Schon ist Ihr alles eigen, was die Burg

Im Schoß verbirgt; Besondres Ihr zu bieten,

Ist unnütz. Geh und häufe Schatz auf Schatz

Geordnet an. Der ungesehnen Pracht

Erhabnes Bild stell' auf! Laß die Gewölbe

Wie frische Himmel blinken, Paradiese

Von lebelosem Leben richte zu.

Voreilend ihren Tritten laß beblümt

An Teppich Teppiche sich wälzen; ihrem Tritt

Begegne sanfter Boden; ihrem Blick,

Nur Göttliche nicht blendend, höchster Glanz.

LYNKEUS.

Schwach ist, was der Herr befiehlt,

Tut's der Diener, es ist gespielt:

Herrscht doch über Gut und Blut

Dieser Schönheit Übermut.

Schon das ganze Heer ist zahm,

Alle Schwerter stumpf und lahm,

Vor der herrlichen Gestalt

Selbst die Sonne matt und kalt,

Vor dem Reichtum des Gesichts

Alles leer und alles nichts.


Ab.


HELENA zu Faust.

Ich wünsche dich zu sprechen, doch herauf

An meine Seite komm! Der leere Platz

Beruft den Herrn und sichert mir den meinen.

FAUST.

Erst knieend laß die treue Widmung dir

Gefallen, hohe Frau; die Hand, die mich

An deine Seite hebt, laß mich sie küssen.

Bestärke mich als Mitregenten deines

Grenzunbewußten Reichs, gewinne dir

Verehrer, Diener, Wächter all' in einem!

HELENA.

Vielfache Wunder seh' ich, hör' ich an,

Erstaunen trifft mich, fragen möcht' ich viel.

Doch wünscht' ich Unterricht, warum die Rede

Des Manns mir seltsam klang, seltsam und freundlich.

Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,

Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,

Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.[282]

FAUST.

Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker,

O so gewiß entzückt auch der Gesang,

Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.

Doch ist am sichersten, wir üben's gleich;

Die Wechselrede lockt es, ruft's hervor.

HELENA.

So sage denn, wie sprech' ich auch so schön?

FAUST.

Das ist gar leicht, es muß von Herzen gehn.

Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,

Man sieht sich um und fragt –

HELENA.

wer mitgenießt.

FAUST.

Nun schaut der Geist nicht vorwärts, nicht zurück,

Die Gegenwart allein –

HELENA.

ist unser Glück.

FAUST.

Schatz ist sie, Hochgewinn, Besitz und Pfand;

Bestätigung, wer gibt sie?

HELENA.

Meine Hand.

CHOR.

Wer verdächt' es unsrer Fürstin,

Gönnet sie dem Herrn der Burg

Freundliches Erzeigen?

Denn gesteht, sämtliche sind wir

Ja Gefangene, wie schon öfter

Seit dem schmählichen Untergang

Ilios' und der ängstlich –

labyrinthischen Kummerfahrt.


Fraun, gewöhnt an Männerliebe,

Wählerinnen sind sie nicht,

Aber Kennerinnen.

Und wie goldlockigen Hirten

Vielleicht schwarzborstigen Faunen,

Wie es bringt die Gelegenheit,

Über die schwellenden Glieder

Vollerteilen sie gleiches Recht.


Nah und näher sitzen sie schon

An einander gelehnet,

Schulter an Schulter, Knie an Knie,

Hand in Hand wiegen sie sich

Über des Throns[283]

Aufgepolsterter Herrlichkeit.

Nicht versagt sich die Majestät

Heimlicher Freuden

Vor den Augen des Volkes

Übermütiges Offenbarsein.

HELENA.

Ich fühle mich so fern und doch so nah,

Und sage nur zu gern: Da bin ich! da!

FAUST.

Ich atme kaum, mir zittert, stockt das Wort;

Es ist ein Traum, verschwunden Tag und Ort.

HELENA.

Ich scheine mir verlebt und doch so neu,

In dich verwebt, dem Unbekannten treu.

FAUST.

Durchgrüble nicht das einzigste Geschick!

Dasein ist Pflicht, und wär's ein Augenblick.

PHORKYAS heftig eintretend.

Buchstabiert in Liebesfibeln,

Tändelnd grübelt nur am Liebeln,

Müßig liebelt fort im Grübeln,

Doch dazu ist keine Zeit.

Fühlt ihr nicht ein dumpfes Wettern?

Hört nur die Trompete schmettern,

Das Verderben ist nicht weit.

Menelas mit Volkeswogen

Kommt auf euch herangezogen;

Rüstet euch zu herbem Streit!

Von der Siegerschar umwimmelt,

Wie Deiphobus verstümmelt,

Büßest du das Fraungeleit.

Bammelt erst die leichte Ware,

Dieser gleich ist am Altare

Neugeschliffnes Beil bereit.

FAUST.

Verwegne Störung! widerwärtig dringt sie ein;

Auch nicht in Gefahren mag ich sinnlos Ungestüm.

Den schönsten Boten, Unglücksbotschaft häßlicht ihn;

Du Häßlichste gar, nur schlimme Botschaft bringst du gern.

Doch diesmal soll dir's nicht geraten; leeren Hauchs

Erschüttere du die Lüfte. Hier ist nicht Gefahr,

Und selbst Gefahr erschiene nur als eitles Dräun.
[284]

Signale, Explosionen von den Türmen, Trompeten und Zinken, kriegerische Musik, Durchmarsch gewaltiger Heereskraft.


FAUST.

Nein, gleich sollst du versammelt schauen

Der Helden ungetrennten Kreis:

Nur der verdient die Gunst der Frauen,

Der kräftigst sie zu schützen weiß.


Zu den Heerführern, die sich von den Kolonnen absondern und herantreten.


Mit angehaltnem stillen Wüten,

Das euch gewiß den Sieg verschafft,

Ihr, Nordens jugendliche Blüten,

Ihr, Ostens blumenreiche Kraft.


In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,

Die Schar, die Reich um Reich zerbrach,

Sie treten auf, die Erde schüttert,

Sie schreiten fort, es donnert nach.


An Pylos traten wir zu Lande,

Der alte Nestor ist nicht mehr,

Und alle kleinen Königsbande

Zersprengt das ungebundne Heer.


Drängt ungesäumt von diesen Mauern

Jetzt Menelas dem Meer zurück;

Dort irren mag er, rauben, lauern,

Ihm war es Neigung und Geschick.


Herzoge soll ich euch begrüßen,

Gebietet Spartas Königin;

Nun legt ihr Berg und Tal zu Füßen,

Und euer sei des Reichs Gewinn.


Germane du! Korinthus' Buchten

Verteidige mit Wall und Schutz!

Achaia dann mit hundert Schluchten

Empfehl' ich, Gote, deinem Trutz.


Nach Elis ziehn der Franken Heere,

Messene sei der Sachsen Los,[285]

Normanne reinige die Meere

Und Argolis erschaff' er groß.


Dann wird ein jeder häuslich wohnen,

Nach außen richten Kraft und Blitz;

Doch Sparta soll euch überthronen,

Der Königin verjährter Sitz.


All-einzeln sieht sie euch genießen

Des Landes, dem kein Wohl gebricht;

Ihr sucht getrost zu ihren Füßen

Bestätigung und Recht und Licht.


Faust steigt herab, die Fürsten schließen einen Kreis um ihn, Befehl und Anordnung näher zu vernehmen.


CHOR.

Wer die Schönste für sich begehrt,

Tüchtig vor allen Dingen

Seh' er nach Waffen weise sich um;

Schmeichelnd wohl gewann er sich,

Was auf Erden das Höchste;

Aber ruhig besitzt er's nicht:

Schleicher listig entschmeicheln sie ihm,

Räuber kühnlich entreißen sie ihm;

Dieses zu hinderen, sei er bedacht.


Unsern Fürsten lob' ich drum,

Schätz' ihn höher vor andern,

Wie er so tapfer klug sich verband,

Daß die Starken gehorchend stehn,

Jedes Winkes gewärtig.

Seinen Befehl vollziehn sie treu,

Jeder sich selbst zu eignem Nutz

Wie dem Herrscher zu lohnendem Dank,

Beiden zu höchlichem Ruhmesgewinn.


Denn wer entreißet sie jetzt

Dem gewalt'gen Besitzer?

Ihm gehört sie, ihm sei sie gegönnt,

Doppelt von uns gegönnt, die er

Samt ihr zugleich innen mit sicherster Mauer,

Außen mit mächtigstem Heer umgab.[286]

FAUST.

Die Gaben, diesen hier verliehen –

An jeglichen ein reiches Land –,

Sind groß und herrlich; laß sie ziehen!

Wir halten in der Mitte stand.


Und sie beschützen um die Wette,

Ringsum von Wellen angehüpft,

Nichtinsel dich, mit leichter Hügelkette

Europens letztem Bergast angeknüpft.


Das Land, vor aller Länder Sonnen,

Sei ewig jedem Stamm beglückt,

Nun meiner Königin gewonnen,

Das früh an ihr hinaufgeblickt,


Als mit Eurotas' Schilfgeflüster

Sie leuchtend aus der Schale brach,

Der hohen Mutter, dem Geschwister

Das Licht der Augen überstach.


Dies Land, allein zu dir gekehret,

Entbietet seinen höchsten Flor;

Dem Erdkreis, der dir angehöret,

Dein Vaterland, o zieh es vor!


Und duldet auch auf seiner Berge Rücken

Das Zackenhaupt der Sonne kalten Pfeil,

Läßt nun der Fels sich angegrünt erblicken,

Die Ziege nimmt genäschig kargen Teil.


Die Quelle springt, vereinigt stürzen Bäche,

Und schon sind Schluchten, Hänge, Matten grün.

Auf hundert Hügeln unterbrochner Fläche

Siehst Wollenherden ausgebreitet ziehn.


Verteilt, vorsichtig abgemessen schreitet

Gehörntes Rind hinan zum jähen Rand;

Doch Obdach ist den sämtlichen bereitet,

Zu hundert Höhlen wölbt sich Felsenwand.


Pan schützt sie dort, und Lebensnymphen wohnen

In buschiger Klüfte feucht erfrischtem Raum,[287]

Und sehnsuchtsvoll nach höhern Regionen

Erhebt sich zweighaft Baum gedrängt an Baum.


Alt-Wälder sind's! Die Eiche starret mächtig,

Und eigensinnig zackt sich Ast an Ast;

Der Ahorn mild, von süßem Safte trächtig,

Steigt rein empor und spielt mit seiner Last.


Und mütterlich im stillen Schattenkreise

Quillt laue Milch bereit für Kind und Lamm;

Obst ist nicht weit, der Ebnen reife Speise,

Und Honig trieft vom ausgehöhlten Stamm.


Hier ist das Wohlbehagen erblich,

Die Wange heitert wie der Mund,

Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich:

Sie sind zufrieden und gesund.


Und so entwickelt sich am reinen Tage

Zu Vaterkraft das holde Kind.

Wir staunen drob; noch immer bleibt die Frage:

Ob's Götter, ob es Menschen sind?


So war Apoll den Hirten zugestaltet,

Daß ihm der schönsten einer glich;

Denn wo Natur im reinen Kreise waltet,

Ergreifen alle Welten sich.


Neben ihr sitzend.


So ist es mir, so ist es dir gelungen;

Vergangenheit sei hinter uns getan!

O fühle dich vom höchsten Gott entsprungen,

Der ersten Welt gehörst du einzig an.


Nicht feste Burg soll dich umschreiben!

Noch zirkt in ewiger Jugendkraft

Für uns, zu wonnevollem Bleiben,

Arkadien in Spartas Nachbarschaft.


Gelockt, auf sel'gem Grund zu wohnen,

Du flüchtetest ins heiterste Geschick!

Zur Laube wandeln sich die Thronen,

Arkadisch frei sei unser Glück![288]

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3, Hamburg 1948 ff, S. 276-289.
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