Tiefe Nacht.

[340] LYNKEUS DER TÜRMER auf der Schloßwarte, singend.

Zum Sehen geboren,

Zum Schauen bestellt,

Dem Turme geschworen,

Gefällt mir die Welt.

Ich blick' in die Ferne,

Ich seh' in der Näh'

Den Mond und die Sterne,

Den Wald und das Reh.

So seh' ich in allen

Die ewige Zier,

Und wie mir's gefallen,

Gefall' ich auch mir.

Ihr glücklichen Augen,

Was je ihr gesehn,

Es sei wie es wolle,

Es war doch so schön!


Pause.


Nicht allein mich zu ergetzen,

Bin ich hier so hoch gestellt;

Welch ein greuliches Entsetzen

Droht mir aus der finstern Welt!

Funkenblicke seh' ich sprühen

Durch der Linden Doppelnacht,[340]

Immer stärker wühlt ein Glühen,

Von der Zugluft angefacht.

Ach! die innre Hütte lodert,

Die bemoost und feucht gestanden;

Schnelle Hülfe wird gefodert,

Keine Rettung ist vorhanden.

Ach! die guten alten Leute,

Sonst so sorglich um das Feuer,

Werden sie dem Qualm zur Beute!

Welch ein schrecklich Abenteuer!

Flamme flammet, rot in Gluten

Steht das schwarze Moosgestelle;

Retteten sich nur die Guten

Aus der wildentbrannten Hölle!

Züngelnd lichte Blitze steigen

Zwischen Blättern, zwischen Zweigen;

Äste dürr, die flackernd brennen,

Glühen schnell und stürzen ein.

Sollt ihr Augen dies erkennen!

Muß ich so weitsichtig sein!

Das Kapellchen bricht zusammen

Von der Äste Sturz und Last.

Schlängelnd sind, mit spitzen Flammen,

Schon die Gipfel angefaßt.

Bis zur Wurzel glühn die hohlen

Stämme, purpurrot im Glühn. –


Lange Pause, Gesang.


Was sich sonst dem Blick empfohlen,

Mit Jahrhunderten ist hin.

FAUST auf dem Balkon, gegen die Dünen.

Von oben welch ein singend Wimmern?

Das Wort ist hier, der Ton zu spat.

Mein Türmer jammert; mich, im Innern,

Verdrießt die ungeduld'ge Tat.


Doch sei der Lindenwuchs vernichtet

Zu halbverkohlter Stämme Graun,

Ein Luginsland ist bald errichtet,

Um ins Unendliche zu schaun.
[341]

Da seh' ich auch die neue Wohnung,

Die jenes alte Paar umschließt,

Das, im Gefühl großmütiger Schonung,

Der späten Tage froh genießt.

MEPHISTOPHELES UND DIE DREIE unten.

Da kommen wir mit vollem Trab;

Verzeiht! es ging nicht gütlich ab.

Wir klopften an, wir pochten an,

Und immer ward nicht aufgetan;

Wir rüttelten, wir pochten fort,

Da lag die morsche Türe dort;

Wir riefen laut und drohten schwer,

Allein wir fanden kein Gehör.

Und wie's in solchem Fall geschicht,

Sie hörten nicht, sie wollten nicht;

Wir aber haben nicht gesäumt,

Behende dir sie weggeräumt.

Das Paar hat sich nicht viel gequält,

Vor Schrecken fielen sie entseelt.

Ein Fremder, der sich dort versteckt

Und fechten wollte, ward gestreckt.

In wilden Kampfes kurzer Zeit

Von Kohlen, ringsumher gestreut,

Entflammte Stroh. Nun lodert's frei,

Als Scheiterhaufen dieser drei.

FAUST.

Wart ihr für meine Worte taub?

Tausch wollt' ich, wollte keinen Raub.

Dem unbesonnenen wilden Streich,

Ihm fluch' ich; teilt es unter euch!

CHORUS.

Das alte Wort, das Wort erschallt:

Gehorche willig der Gewalt!

Und bist du kühn und hältst du Stich,

So wage Haus und Hof und – dich.


Ab.


FAUST auf dem Balkon.

Die Sterne bergen Blick und Schein,

Das Feuer sinkt und lodert klein;

Ein Schauerwindchen fächelt's an,

Bringt Rauch und Dunst zu mir heran.

Geboten schnell, zu schnell getan! –

Was schwebet schattenhaft heran?[342]

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3, Hamburg 1948 ff, S. 340-343.
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