Erinnerung bey der neuen Auflage von 1736.

[18] Man liefert dem geneigten Leser hiermit eine neue Auflage des sterbenden Cato; nachdem die erste Ausgabe bereits vor einem Jahre verkaufet gewesen. Ob dieses gleich von der Anzahl der Käufer, die mein Trauerspiel gefunden, ein ungezweifeltes Zeugniß ablegt: so kann ich doch noch nicht auf die Menge der Liebhaber einen untrüglichen Schluß daraus machen. Ich habe selbst seit dem so vielerley Fehler darinn bemerket, daß mir der Stolz auf den guten Abgang desselben ziemlich gemindert worden. Was werden nicht unparteyische Kenner für Mängel daran bemerket haben, die durch keine Eigenliebe eines Urhebers gegen sein Werk geblendet worden? Ich sehe es also für eine bloße Nachsicht und Gelindigkeit an, wenn man dessen ungeachtet, eine neue Auflage des Cato verlanget hat: da man doch ein völliges Recht gehabt hätte, ihn seiner Unvollkommenheiten wegen, gänzlich zu vergessen und zu verwerfen.

Damit ich mich nun dieser Gewogenheit nicht ganz unwürdig machen möchte, habe ich mich bemühet, diejenigen Fehler zu verbessern, die mir bey vielmaligem Ueberlesen dieses Trauerspiels vorgekommen. Die meisten betreffen die Reinigkeit der Verse, die ich dem geneigten Leser gern so vollkommen geliefert hätte, als es nur möglich ist. Allein, ob mir wohl darinn die Hülfe eines gelehrten Gönners zu statten gekommen, der sich die Mühe genommen, viele Stellen anzumerken, worinn etwas auszubessern war; so rühme ich mich doch noch keiner Vollkommenheit. Die deutsche Poesie[19] ist an so strenge Regeln gebunden, daß es fast die menschliche Geduld, Kunst und Fähigkeit zu überschreiten scheint, nur hundert Verse nach einander, geschweige denn ein paar tausend ohne Fehler zu machen.

Was die innerliche Einrichtung der Fabel, die Charactere, und Sitten der Personen anlanget, die in dem ganzen Trauerspiele herrschen: so sind mir dabey auch zwar verschiedene Zweifel gemacht worden, die nicht von geringer Erheblichkeit zu seyn geschienen. Allein ich habe mich bemühet, dieselben nach Vermögen zu heben; und habe meine Antwort nebst den Einwürfen in den Beyträgen zur kritischen Historie der deutschen Sprache, dem Urtheile der Kenner unterworfen. Weil sich nun nach der Zeit niemand mehr die Mühe genommen, mir die Unzulänglichkeit meiner Beantwortung darzuthun: so habe ich es für rathsam befunden, diese neue Ausgabe mit dieser Zugabe zu vermehren. Vieleicht wird dieselbe auch etwas beytragen, daß man die Grundregeln der tragischen Poesie desto besser einsehen und ausüben lernet.

Wie ich übrigens mit Vergnügen wahrgenommen, daß mein Cato so glücklich gewesen, auf verschiedenen Schaubühnen an Fürstl. Höfen vorgestellet zu werden; ja daß auch geschickte Poeten dadurch aufgemuntert worden, einige Stücke der Ausländer deutsch zu übersetzen; darunter ich nur den Herrn Prof. Witter aus Strasburg, und den Herrn D. Hudemann namhaft machen will: also wünsche ich unserm Vaterlande Glück dazu, und werde es mit inniger Freude ansehen, wenn mein Trauerspiel auch bald durch neue deutsche Originale übertroffen werden wird.

Schließlich kann ich den geneigten Leser versichern, daß ehestens auch Addisons englischer Cato, durch die Feder meiner geschickten Freundinn, die neulich der Frau von Gomez Sieg der Beredsamkeit herausgegeben, ins Deutsche übersetzet,[20] im Drucke erscheinen wird1. Daraus wird man um so viel mehr wahrnehmen können, wieviel ich in meinem deutschen Cato dem englischen zu danken habe; und in wie weit meine Arbeit von Addisons seiner unterschieden sey. Lebe wohl2![21]


1

Dieß ist 1736. zum ersten male, und vor wenigen Jahren bey der Cenie der Frau von Graffigni zum zweyten male geschehen.

2

Was von den folgenden Ausgaben dieses Cato zu wissen nöthig ist, beliebe der geneigte Leser am Ende in der Nachricht davon zu suchen.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Joachim Birke, Band 2: Sämtliche Dramen, Berlin 1968/1970, S. 24.
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