Erster Auftritt


[130] Dr. Hippokras. Dr. Schlagbalsam.


DR. HIPPOKRAS. Es ist mir ein großes Vergnügen, daß ich die Ehre haben soll, Dieselben auf ein paar Stunden zu einem Kollegen zu haben.

DR. SCHLAGBALSAM. Ihr Diener, mein Herr Doktor; mir ist es angenehm, daß, da gewisse Umstände mich heute zu einem Arzte machen, ich an Ihnen einen so vernünftigen, geschickten und ungezwungenen Mitbruder finde, der allein durch sein Exempel den ganzen Molière widerlegen könnte.

DR. HIPPOKRAS. Gehorsamer Diener. Molière hat von den französischen Ärzten geredet, und das geht die Deutschen nichts an. Vielleicht aber trifft es auch jene nicht einmal alle. Er hat als ein Poet, und zwar als ein komischer Poet die Sache höher getrieben, als sie vielleicht in der Tat gegründet ist. Erlauben Sie mir aber, daß ich mich nach Dero Name und Stande erkundige. Ich möchte sonst aus Unwissenheit wider meine Pflicht verstoßen.

DR. SCHLAGBALSAM. Sie wissen wohl, mein Herr Doktor, daß ein Arzt verschwiegen sein muß. Die Verschwiegenheit werde ich also am besten von allen Teilen der ganzen Arzneikunst ausüben können, wenn ich Ihnen anjetzt meinen Namen und Stand verschweige.

DR. HIPPOKRAS. Wenn ich dieses nicht wissen darf, so bitte ich wegen meiner Freiheit um Verzeihung.

DR. SCHLAGBALSAM. Nennen Sie mich nur Herr Doktor Schlagbalsam: das ist der Name und Stand, den ich jetzt auf wenige Stunden nötig habe.[130]

DR. HIPPOKRAS. Ganz wohl! ganz wohl!

DR. SCHLAGBALSAM. Unterrichten Sie mich, Herr Kollege, indessen ein wenig von der Frau Oberstin ihrer bisherigen Krankheit, damit ich mir einiges medizinisches Ansehen in Gegenwart der Umstehenden machen könne.

DR. HIPPOKRAS. Das erfordert eines jeden Arztes Schuldigkeit, daß er den neuankommenden Arzt von dem Zustande der Krankheit unterrichte. Die Krankheit von der Frau Oberstin fing sich also mit einer starken Agrypnia an, wobei ein starker Rheumatismus war, und man aus den Neben- Symptomatibus, Pleuresiam, Cachexiam, et Haemoptosin zu besorgen hatte.

DR. SCHLAGBALSAM. Ums Himmels willen! Herr Doktor! da bekomme ich einen sehr dunkeln Begriff von der Krankheit. Sie reden ja lauter Arabisch. Ich weiß viel, was die Agrippina in der Medizin heißt! Er lacht.

DR. HIPPOKRAS lachend. Und Sie haben Sie in Ihrem Leben doch sehr oft gehabt!

DR. SCHLAGBALSAM. Ich? die Agrippine? Mein Tage habe ich das Mensch nicht gesehen. Nennen die Ärzte etwa den Alp so, der einen des Nachts drückt?

DR. HIPPOKRAS. Es heißt nicht Agrippine, sondern Agrypnia.

DR. SCHLAGBALSAM. Nun, was heißt das auf deutsch?

DR. HIPPOKRAS halb böse. Ich bin ein Medikus und kein Dolmetscher.

DR. SCHLAGBALSAM lachend. Sagen Sie mir, wie ist einem denn zumute, der die Agrippine oder Agrypnia, wie das Ding heißt, hat?

DR. HIPPOKRAS. Er kann nicht schlafen!

DR. SCHLAGBALSAM. Nun, also ist's die Schlaflosigkeit. Er lacht. Ich hätte wunder gedacht, was es wäre! Nun, wie hieß das andere, was die Oberstin noch mehr gehabt hat?

DR. HIPPOKRAS. Ja, Sie mögen sich's selbst übersetzen, wenn Sie es deutsch haben wollen.

DR. SCHLAGBALSAM. Schon gut! Sagen Sie nur her.

DR. HIPPOKRAS. Es war der Rheumatismus.

DR. SCHLAGBALSAM erschrocken. Wie war ihr da zumute?

DR. HIPPOKRAS. Sie hustete immer.[131]

DR. SCHLAGBALSAM lachend. Und also war's der Husten?

DR. HIPPOKRAS. Ja, Sie mögen es immer so nennen. Ich sehe wohl, Sie sind nur ein Empiricus ...

DR. SCHLAGBALSAM. Ei, Herr Doktor, schimpfen Sie nicht Leute, die Ihnen nicht bekannt sind. Sie möchten sonst auf die Unrechten treffen!

DR. HIPPOKRAS. Wenn Sie ein wirklicher Arzt sein wollten, so wäre es Ihnen freilich ein großer Schimpf! allein anitzt schadet es Ihrer Ehre nicht.

DR. SCHLAGBALSAM. Nun, so sagen Sie geschwinde, was ist ein Vampyricus! Das ist ja ein Teufelskind, was den Leuten in Ungarn das Blut aussaugt?

DR. HIPPOKRAS lacht sehr. Ach nein doch! ein Empiricus ist das Gegenteil von einem Legitimè promoto Doctore Medicinae.

DR. SCHLAGBALSAM. Aha! nun, soviel Latein habe ich noch von meinen drei akademischen Jahren behalten. Ein Vampyr wird also ein Pfuscher sein, der den Leuten das Blut oder Leben und das Geld zugleich aussaugt?

DR. HIPPOKRAS lachend. So ungefähr!

DR. SCHLAGBALSAM. Nun bin ich schon beruhiget! das trifft mich nicht. Sagen Sie mir nur weiter der Oberstin ihre Zufälle. Husten und Schlaflosigkeit hat sie gehabt? das ist noch eben keine große Krankheit. Sie klingt nur so gräßlich.

DR. HIPPOKRAS. Ja, mein werter Herr Kollege, wir besorgten aber dabei das Malum ischiaticum.

DR. SCHLAGBALSAM sehr erschrocken. Ach die arme Frau! In Ischia bin ich gewesen. Es ist ein Bad in Italien. Da wird sie etwa alle die Krankheiten zusammen gehabt haben, die den Leuten dort geheilet werden?

DR. HIPPOKRAS lacht sehr. Ach nein, Herr Doktor, Sie irren sehr! Es kömmt nicht von den Bädern zu Ischia her! Das Malum ischiaticum ist ...

DR. SCHLAGBALSAM. Sagen Sie mir geschwinde, was die Kranken dabei tun, wenn sie das Zeug am Halse haben?

DR. HIPPOKRAS. Sie haben Schmerzen in den Lenden.

DR. SCHLAGBALSAM geruhig. So, so! das Lendenweh haben Sie also besorgt! Und haben Sie es mit allen Arzneien nicht so weit bringen können, daß Sie es wirklich bekommen hätte?[132]

DR. HIPPOKRAS halb böse. Eben mit meinen Arzneien habe ich vermieden, daß sie es nicht bekommen hat.

DR. SCHLAGBALSAM. Nun, es ist schon gut! hm! hm! Er schüttelt den Kopf. Ich sehe noch nichts, woran sie krank gewesen ist als an der griechischen Sprache.

DR. HIPPOKRAS eifrig. Ei was? der Haemoptosi war sie so nahe als jemand.

DR. SCHLAGBALSAM verwundernd. Was hatte sie denn bei der Mopsosie gemacht? Ist das nicht eine Hundekrankheit?

DR. HIPPOKRAS. Nein. Sie hätte Blut ausgeworfen. Das heißt im Termino artis die Haemoptosis.

DR. SCHLAGBALSAM. Hm! Soviel ich sehe, ist die medizinische Kunst eine sehr fürchterliche Kunst! Was haben Sie denn wider alle diese Krankheiten gebraucht, die die Oberstin nicht gehabt hat?

DR. HIPPOKRAS schüttelt den Kopf. Ja! sage ich Ihnen die Terminos artis, so verstehen Sie mich wieder nicht: und sage ich es Ihnen deutsch, so werde ich ein Empirikus.

DR. SCHLAGBALSAM erschrickt. Behüte der Himmel, Herr Doktor! da würden Sie ein gar zu scheußliches Tier! das will ich Ihnen nicht zumuten. Ich frage es aber nur darum, daß ich doch mein Jawort zu gewissen Arzneien geben kann, die Sie der Kranken vorschlagen möchten.

DR. HIPPOKRAS. Ei, geben Sie nur Ihr Jawort zu allem, was ich sagen werde. Es gibt mehrere geschickte Medicos, die es mit den älteren Praktizis ebenso machen.

DR. SCHLAGBALSAM. Ja, es könnte aber wohl kommen, daß die Oberstin von mir begehrte, ich sollte ihr auch ein paar Mittel vorschlagen. Was fange ich armer Mensch denn an?

DR. HIPPOKRAS. Wenn das geschähe, so schlagen Sie nur etwas vom Cornu cervi, von den Oculis cancri, von der Matre perlarum, von den Lumbricis terrestribus und ...

DR. SCHLAGBALSAM tut, als wenn ihm die Haut schaudert. Behüte der Himmel, Herr Doktor, kann ein Mensch das Zeug einnehmen?

DR. HIPPOKRAS lacht. Ei, ihr lieben Leute! ihr müßt wohl andere Sachen verschlucken. Ich nenne diese Medikamente nur, weil sie unschuldig sind und weder viel schaden noch helfen. Sie mögen also davon nennen, welches Sie wollen: so hat es nichts zu bedeuten.[133]

DR. SCHLAGBALSAM. So? so!

DR. HIPPOKRAS. Ich kuriere fast ganz allein mit diesen Speciebus.

DR. SCHLAGBALSAM. Dabei gehn Sie am allersichersten. Allein, lieber Herr Doktor, nehmen Sie mir's nicht übel! Ich hätte ein zweimal größer Vertrauen zu diesen Arzneien, wenn ich sie auf deutsch zu nennen wüßte.

DR. HIPPOKRAS. Ei was? daß Sie etwa auch ein Pfuscher würden?

DR. SCHLAGBALSAM lachend. Dafür sind Sie gewiß bei mir sicher. Aber warum müßten notwendig Pfuscher daraus werden, wenn nun gleich alle Rezepte deutsch geschrieben würden?

DR. HIPPOKRAS. Weil alle dummen Kerle und alten Weiber alsdann drauf losgehen und mit diesen Rezepten kurieren würden.

DR. SCHLAGBALSAM. Aber sagen Sie mir, Herr Doktor, haben Sie denn anjetzt, da man alle Krankheiten und Arzneien lateinisch nennt, keine Pfuscher in der Medizin?

DR. HIPPOKRAS. Ei, genug!

DR. SCHLAGBALSAM. Woraus lernen denn die ihre Pfuscherei?

DR. HIPPOKRAS. Aus den lateinischen Büchern, die sie nicht recht verstehen.

DR. SCHLAGBALSAM. Wenn also diese Bücher deutsch wären, so würden sie sie besser verstehen und folglich gescheiter kurieren?

DR. HIPPOKRAS böse. Ei, mein Herr, es disputiert sich sehr übel mit Leuten, die die Sache nicht kunstmäßig einsehen. Ich will gehen und Sie bei der Frau Oberstin melden. Er geht ab.


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 6, Leipzig 1933–1935, S. 130-134.
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