Erster Auftritt


[147] Fräulein Amalie. Der Landrat von Ziegendorf.


HERR VON ZIEGENDORF. Nun, Fräulein Amalie, nun freuen Sie sich! der Notarius ist schon unterwegens, und in einer halben Stunde werden Sie ein recht reiches Fräulein sein.[147]

FRÄULEIN AMALIE verstellt. Ach! mein Herr Landrat! Ich weiß nicht, wie die Frau Muhme auf die Gedanken kömmt, ihrer Frau Schwester eine Erbschaft zu entziehen und sie uns armen Waisen zu schenken.

HERR VON ZIEGENDORF. Ei was! meine Frau hat ohnedem zu leben, und sie gönnt es Ihnen von Herzen gern.

FRÄULEIN AMALIE. Ach! nun wird mein Kreuz erst recht angehen!

HERR VON ZIEGENDORF. Wieso? Was für ein Kreuz?

FRÄULEIN AMALIE ziert sich. Ach! ich habe bisher schon meine Not gehabt, soviel Parteien immer abzuweisen, die mir vorgeschlagen worden sind oder sich selbst angeboten haben. Nunmehr, wenn ich vollends eine solche Hoffnung vor mir haben werde: so werde ich gar keine Ruhe haben.

HERR VON ZIEGENDORF. Ei, dafür ist guter Rat! Sie müssen nur geschwind einen von allen Freiern nehmen: so bleiben die andern von sich selbst weg.

FRÄULEIN AMALIE verstellt. Ach! ich möchte so gern mein Leben bei der Frau Muhme zubringen!

HERR VON ZIEGENDORF. Ei! was wollen Sie bei der alten Frauen ewig machen? Sie leben ja hier wie im Kloster!

FRÄULEIN AMALIE. Vorhin hat mir noch der Hauptmann von Wagehals wieder aufs ärgste vorgewinselt. Sie wissen es, er ist sonst so frech und unbändig wie ein Husar; aber er hat recht kläglich getan und die hellen Tränen vor mir geweint.

HERR VON ZIEGENDORF. Ei pfui! die wüste Hummel nehmen Sie nicht! Er mag sich verstellen, wie er will: an dem Menschen ist nichts! Ich gönne Ihnen was Bessers.

FRÄULEIN AMALIE. Ach! der Oberstleutnant von Degenhieb, der Forstmeister von Frühtau, der Oberste von Daheim, der Berghauptmann von Quarzdorf und hundert andere, die lassen mir gar keine Ruhe.

HERR VON ZIEGENDORF voller Verwunderung. Was? der Berghauptmann von Quarzdorf?

FRÄULEIN AMALIE. Ja. Er schreibt mir die kläglichsten Briefe. Das Kammermensch hat er, wie ich merke, auch schon bestochen. Wo ich mich nur hinrühre, da finde ich ihn. So sehr späht er mich allenthalben aus.

HERR VON ZIEGENDORF im Zorne. Dafür soll ihn ... Wofür sieht der Mann der Oberstin ihr Haus an?

FRÄULEIN AMALIE erstaunet. Freilich könnte er mich nur in Ruhe lassen.[148]

HERR VON ZIEGENDORF böse. Das soll er gewiß tun; oder ich will ihm ein paar Kugeln durch den Leib jagen. Der Bösewicht hat ja eine Frau!

FRÄULEIN AMALIE erstaunt. Eine Frau?

HERR VON ZIEGENDORF. Freilich, er hat Frau und Kinder.

FRÄULEIN AMALIE verwirrt. Das habe ich nicht gewußt ... es ...

HERR VON ZIEGENDORF. Geben Sie mir die Briefe, Fräulein, daß ich ihn durch seine eigene Hand überführen kann. Der Geier soll ihn holen!

FRÄULEIN AMALIE sehr verwirrt. Ich ... habe ... die Briefe ... allezeit ... verbrannt ... weil ich ... oder ... Sie mögen wohl ... einen andern ... Quarzdorf meinen?

HERR VON ZIEGENDORF. Ach, nicht doch! den Berghauptmann von Quarzdorf kenne ich so gut, als wenn er mein Bruder wäre. Es ist nur der einzige von dem Hause.

FRÄULEIN AMALIE erholt sich ein wenig. Und denn ist hier der Herr von Kreuzweg, der geht immer um mich herum.

HERR VON ZIEGENDORF. Ja, das ist auch der rechte! Nehmen Sie die faule Schildkröte nicht.

FRÄULEIN AMALIE verwundernd. Wieso?

HERR VON ZIEGENDORF. Da kam ich vorhin oben aufs Gastzimmer und wollte nach meinem Kuffer sehen, weil wir diese Nacht hierbleiben sollen. Halb mußte ich lachen, halb ärgerte ich mich auch, als ich den Menschen im Bette liegend und in vollem Schnarchen fand.

FRÄULEIN AMALIE. Den Herrn von Kreuzweg?

HERR VON ZIEGENDORF. Und was das ärgste war, so hatte er sich ganz ausgekleidet, um ja recht aus dem Tage Nacht zu machen.

FRÄULEIN AMALIE. Nun, das gestehe ich!

HERR VON ZIEGENDORF. Die Menschen müssen sich doch ihres Müßigganges schämen, drum legen sie sich hin und schlafen: so haben sie doch alle Tage etwas getan.

FRÄULEIN AMALIE. Wenn ich im Tage schlafen sollte: so täte ich des Nachts kein Auge zu.

HERR VON ZIEGENDORF. Ich bezahlte ihn aber recht. Ich nahm ein Jägerhorn von der Wand und blies ihm ins Ohr, daß es ihm schon ein paar Stunden im Kopfe summen soll.

FRÄULEIN AMALIE lachend. Daran haben Sie recht getan.

HERR VON ZIEGENDORF. Ich kann mich über nichts mehr ärgern als[149] über das Schlafen im Tage. Des Nachts lasse ich gern einen jeden in seinem Bette; aber wenn ich des Tages zu jemanden komme, und er läßt mir sagen, er schläft: so denke ich, ich bin im Schlaraffenlande, wo alles verkehrt zugeht.

FRÄULEIN AMALIE. Bei alten Leuten lasse ich's noch eher gelten.

HERR VON ZIEGENDORF. Es heißt, jung gewohnt, alt getan. Ich kenne alte Leute, die nicht darum im Tage schlafen, weil sie alt sind, sondern weil sie es von Jugend auf so gewohnt sind. Alte Leute haben ihre Not, daß sie des Nachts schlafen können, und sollen auch noch im Tage schlafen.

FRÄULEIN AMALIE. Da kömmt der Siebenschläfer her.


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 6, Leipzig 1933–1935, S. 147-150.
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