Fünfte Szene

[370] Paris. Grèveplatz, in der Gegend der Laterne.

Zwei Bürger kommen.


ERSTER BÜRGER. Das ist eine Nacht!

ZWEITER BÜRGER. Hut ins Gesicht, Mantel enger um die Schultern! – Oben regnets, unten marschiert Ney mit Truppen aus den Toren. Gott weiß, was das bedeutet!

ERSTER BÜRGER. Schade um den Ney. Er war ein anderer Kerl, als er noch unter Napoleon im Feuer stand, und nicht in den bourbonischen Vorhöfen kroch.

ZWEITER BÜRGER. Still – Patrouillen –

EINE LINIENINFANTERIE-PATROUILLE kommt. Wer da?

ERSTER BÜRGER. Bürger von Paris.

PATROUILLE. Begeben Sie sich nach Haus, meine Herren, – im Namen des Königs!


Patrouille zieht vorbei.


ERSTER BÜRGER. Freund, was ist das –? – Ha schon wieder eine Patrouille –

ZWEITER BÜRGER. Gensd'armes zu Pferde.

EIN GENSD'ARMES. Wer da? Zu Haus Leute, in eure Betten, zu euren Weibern – auf der Stelle –

ERSTER BÜRGER. Herr, Ihr sprecht als wären wir Sklaven.[370]

DER GENSD'ARMES. In den Betten ist es wärmer und besser als hier.

ZWEITER BÜRGER. Der Mann hat Recht und Verstand. Komm, Freund. Es wird hier draußen mehr und mehr unheimlich.

ERSTER BÜRGER. Nun, wär auch eine Empörung im Ausbruch, – die Nationalgarde, wozu auch wir gehören –

ZWEITER BÜRGER. – und die ihre Offiziere von den Vorstädtern an der Laterne da aufknüpfen läßt, weil sie stets an ihr Vermögen denkt, der Vorstädter an sein Nichts?

ERSTER BÜRGER. Wahr, wahr! Zu Haus, zu Haus!

DER GENSD'ARMES. Noch immer geschwatzt? Tod und Hölle, fort!


Patrouille und die beiden Bürger ab.

Fouché und Carnot begegnen sich von verschiedenen Seiten. Beide sind tief in Mäntel gehüllt.


FOUCHÉ. Ha, du bist es! – Ich schickte zu dir – du warest nicht zu Haus. Hier dacht ich dich zu finden.

CARNOT. Als ich hörte, daß du geschickt hattest, sucht ich dich auch hier, Otranto – oder, wie ich dich lieber nenne, Fouché.

GENSD'ARMERIE-PATROUILLE ZU FUSS kommt. Wer hier?

FOUCHÉ zu Carnot. Die Narren will ich anführen. Ich kenne ihre Losung. Sie sollen uns für zwei Mouchards erster Sorte halten.


Zu den Gensd'armes.


Wo Ihr Offizier?

OFFIZIER. Da bin ich.


Nachdem ihm Fouché etwas in das Ohr gesagt hat.


Wünsch Ihnen Glück im Geschäft, meine Herren.


Die Patrouille zieht weiter.


CARNOT. Hm, bediene dich nicht des Betruges.

FOUCHÉ. Muß man es jetzt, nicht tun, wenn man unter den Schurken das Gute durchsetzen will?

CARNOT. Ha, da –

FOUCHÉ. Wie wird dir?

CARNOT. Ein unwillkürlicher Schauder ist verzeihlich: bedenke, wo wir stehen, hergebannt vom dunklen Triebe.

FOUCHÉ. Die berüchtigte Laterne des Grèveplatzes faßt mit ihrem Mörderarm über uns in die Nacht, und dort, in der Mitte rasselte die permanente Guillotine, als auch du im Wohlfahrtsausschuß saßest.[371]

CARNOT. Da stand sie – das blutige Ungeheuer –

FOUCHÉ. Du selbst unterzeichnetest die Todesurteile der Tausende und aber Tausende, welche unter ihr fielen, mit.

CARNOT. Eben deshalb bin ich bewegter als du. – Fouché, welche Eichen verloren hier ihre Kronen! Dieser Platz ist der Opferaltar Frankreichs! – Hier sanken Danton, Hérault de Séchelles, Robespierre – auch der König fiel nicht weit von hier.

FOUCHÉ. Gereut es dich?

CARNOT. Nimmer! Es ging nicht anders. – Was mit den Leuten zu machen, wenn ihre Zeit vorüber war, und ihre Anhänger doch trotzen und rückwirken wollten?

FOUCHÉ. Du hast in deinem Memoire gesprochen.

CARNOT. Du in dem deinigen. – Wir sind eins, nur unser Ausdruck ist verschieden. Aber sprechen wir auch mit den Zungen aller zweiunddreißig Winde, es hilft nichts. Darum sag an, was ist zu tun?

FOUCHÉ. Die Bourbons müssen fort mit ihrer alten Zeit, – sie haben bewiesen, daß sie nichts Neues lernen können, und – erschrick nicht, Republikaner – Bonaparte muß zurück.

CARNOT. Bonaparte? Weißt du, was du sagst? Der vertilgte die Freiheit mehr als alle Tyrannen von Valois und Bourbon. Ja, man schelte den Wohlfahrtsausschuß und sein Blutsystem, wie man wolle: seine Ideen waren größer als der Egoismus des Generals Bonaparte.

FOUCHÉ. Gewiß. Aber wir bedürfen irgend eines neuen Menschen an der Spitze, und können Napoleon nicht übergehn. Auch ist er nicht mehr der von 1811. Sein Ruhmesglanz war sein Diadem. Im Regen von Leipzig erblich es so ziemlich, und blieb nur soviel Schimmer übrig, als wir gebrauchen mögen, ohne zu fürchten, er blitze uns abermals damit zu Boden. Er werde wieder Kaiser, jedoch kräftig gebändigt mit einer Konstitution.

CARNOT. Die zerbricht er auf bekannte Manier, sobald er zwei Schlachten gewonnen hat.

FOUCHÉ. Zwei – oder sicherer drei Schlachten soll er nicht auf der Reihe gewinnen.

CARNOT. Mensch – ehemaliger Polizeiminister –

FOUCHÉ. Sprich den »Polizeiminister« nicht bitter aus. Frankreich besteht ohne solchen keine vier Wochen.[372]

CARNOT. Bonaparte kann nicht zurückkommen. Ausgestoßen von aller Welt ist er auf Elba.

FOUCHÉ. War!

CARNOT. Wie?

FOUCHÉ. Was schreiben wir heute?

CARNOT. Den siebenzehnten März.

FOUCHÉ. Gut, so ist er schon in Auxerre.

CARNOT. Raserei!

FOUCHÉ. Nein, – lies mein Tagebuch, hier bei dem roten Schein der furchtbaren Laterne, – am dreizehnten reiste er von Lyon ab.

CARNOT. Unmöglich!

FOUCHÉ. Das Wort kennt Er nicht, oder will es nicht kennen, was auch etwas sagt. – – Siehst du, wie der Telegraph mit Feuerlichtern auch bei Nacht geht? Und weißt du, welche Nachricht er eben empfängt und sie nach allen Ecken an Frankreichs Präfekten und Gouverneure weiter verbreitet?

CARNOT. Nein.

FOUCHÉ. Wart einen Augenblick – Da hab ich den Schlüssel der Chiffre, – er verbreitet: Bonaparte ist diesseits Lyon gefangen, seine Leute sind zersprengt und er ist vor die Assisen gestellt.

CARNOT. Das klingt anders als deine Behauptungen.

FOUCHÉ. O du unschuldiges, kindliches Genie! – Wär ich wie du, und kennte bloß die Wissenschaft und die Tugend, nicht aber die Menschen! – – Wisse: in einer Stunde ist halb Frankreich getäuscht, – denn die Telegraphenlinie von Toulon lügt, und das äußerst grob, wie es für den Verstand von Blacas d'Aulps paßt. Wahrscheinlich hat Napoleon, um die Bourbons desto sicherer zu machen, dabei selbst die Hand im Spiel. Wie wäre er über Lyon herausgekommen, hätt er nicht schon eine Armee um sich, wären nicht Grenoble, nicht alle Truppen zu ihm übergegangen? Noch wenige Tage und er ist in Paris.

CARNOT. So mag er regieren. Aber jeder Blutstropfen empört sich bei dem Gedanken, daß er den asiatischen Despoten erneut.

FOUCHÉ. Ich wiederhole, das soll er nicht, und wären auch wir beide nur einig. – Folge mir, – ich kenne eine Wirtschaft in St. Martin, wo wir uns unbeachteter sprechen[373] können als auf diesem Platz oder in unsren Hotels.

CARNOT. Alleswissender, was machen jetzt die Bourbons?

FOUCHÉ. Sehen nach dem Telegraphen und glauben, bis sie fühlen, daß sie irrten. Vielleicht ist auch zu dem letzteren ihr Fell noch zu hart. Möglich, daß sie bald flüchten müssen, und doch wähnen, es sei etwa nichts mehr als eine Promenade. – Teufel, wer schnarcht da auf der Treppe? – Heda! wer seid ihr?

CHASSECOEUR mit Vitry aufspringend. Zwei Kaisergardisten, ohne Brot und Obdach!

FOUCHÉ. Ah, die tun uns nichts! – Habt ihr etwas gehört, so sagt es nicht wieder.


Mit Carnot ab.


VITRY. Hast du etwas gehört?

CHASSECOEUR. Nichts Rechtes. Ich schlief schon ganz erträglich.

VITRY. Ich auch. – Wir wollen uns wieder hinlegen.


Sie tun es.
[374]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 370-375.
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