Erste Szene

[375] Paris. Grèveplatz in der Nähe der Laterne.

Es ist Nachmittag.

Volk, zum Teil müßig, zum Teil beschäftigt.

Chassecoeur, Vitry und ein Schneidermeister im Vorgrunde.


VITRY. Es ist nicht richtig, Chassecoeur! Nachts wecken uns verdächtige Gespräche, Ney ist fort mit den Truppen, die Angoulême soll schon auf dem Wege nach Bourdeaux sein, und dort geht ein kleiner Emigrant mit seinem Reisebündel – Adieu, mein Herr!

DER EMIGRANT. Wir kommen wieder, Herr von Namenlos – Für sich. O Feuer, Schwert, Schafotte – Das ganze abtrünnige Frankreich soll brennen und bluten!


Ab.


CHASSECOEUR. Wer weiß, wohin der Emigrant betteln geht, und die Angoulême wird in ihrem Bourdeaux beten wollen, daß sie ein Kind bekommt wie die Jungfrau Maria, ohne Hülfe ihres Mannes, weil ihr diese Hülfe doch nicht helfen kann. – Hols der Teufel!

SCHNEIDERMEISTER. Meine Herren, meine Herren, die Herzoge Angoulême und Berry fahren aus der Stadt, auch die Herren Blacas d'Aulps und d'Ambray haben seit einer Viertelstunde Reisepelze an. – Es wird wieder lustig.

CHASSECOEUR. Konvulsivischer Wurm, wer bist du?

SCHNEIDERMEISTER. Herr Mensch, ein Pariser Kleiderfabrikant, der Sie, wenn Sie seine Ehre beleidigen, mit dieser Nadel siebenundsiebenzigmal durchbohrt, ehe Sie ihm eine einzige Wunde mit dem Degen anflicken!

CHASSECOEUR. Ich zittre schon.

FRAU DES SCHNEIDERMEISTERS kommt. Mann, lieber Mann, find[375] ich dich endlich, – o nach Haus! Auch unsre Straße ist voll Lärm und Bewegung! Man sagt der Kaiser käme zurück.

CHASSECOEUR. Sollt es sein? – O!

SCHNEIDERMEISTER. Dummes, infames Weib, sprich leiser – Leise. Käm er zurück, so wäre das viel für Frankreichs Ehre und für meine Wohlfahrt. – Geh, Nadeln und Zwirn angeschafft, soviel du kannst! Wir machen bald Monturen! – Ich sondiere hier nur noch ein bißchen die Stimmung von Paris, – es ist der beste Platz dazu. – Drum geh, ich komme gleich nach.

FRAU DES SCHNEIDERMEISTERS. Gleich? – Ist das gewiß?

SCHNEIDERMEISTER. Meinst du, ich würde dich und meine Würmchen in der Gefahr allein lassen?


Frau des Schneidermeisters ab.


Jesus! heiliger Geist! Da kommt der König! Und welchen Rock trägt er! De anno 1790 – Geschmack, Geschmack, du sinkst in das Meer! Das verschulden die Engländer!

EINE DAME DER HALLE tritt auf. Ach Gott, ich weine – wie erschütternd geht es in der Deputiertenkammer her – Alle Deputierten wollen sich für den König opfern –

VITRY. Tun sie es auch?

DIE DAME DER HALLE. Sie hätten es gewiß getan, wenn er nicht zu schnell Abschied genommen hätte. Und wie sprach er! Tränen, sag ich, Tränen im Auge! Mit einem battistenen Schnupftuch voll gestickter Lilien wischte er sie ab – ach, die Lilien werden unter solchen Tropfen nur zu herbe genäßt.

VITRY. Da hält der Königsmann mit seiner Kutsche im Gedränge.

CHASSECOEUR. Der wird etwas herschwatzen, was wir in dieser Entfernung gar nicht hören, und von den Nächststehenden kaum drei, ohne daß sie es begreifen.

VITRY. Desto mehr Respekt haben sie davor.

VIELE AUS DEM VOLK. Still! still! – Der große Monarch!

SCHNEIDERMEISTER. Erhöbe sich der König nur nicht, bliebe er nur ruhig sitzen, und verdeckte seine Frackschöße, denn von allen im Universum sind sie die abscheulichsten. Weit auseinanderklaffend! Ist das französisch? Es ist nicht einmal englisch – es ist barbarisch! – An dem Kleide den Mann – wer sich albern kleidet, ist albern – Aus mit unserm schönen Lande! – So gewiß die Revolution nicht entstehen[376] konnte, wenn man Reifrock, Perücke und Puder beibehalten und sich daher wohl gehütet hätte, einander auf den Leib oder in die Haare zu kommen, so sicher kann die königliche Würde nicht bestehen, wenn der König durch seine Frackschöße eine Sache zeigt, die zwar auch groß und gewaltig, aber nichts minder als majestätisch ist.


Man hört den König reden.


EINE DAME DER HALLE. Ach – das ist zum Herzbrechen –

VOLK. Lang lebe der König!


Die Kutsche des Königs fährt weiter.


SCHNEIDERMEISTER. Was sprach er?

DIE DAME DER HALLE. O, mein Herr, welche Zunge vermag es wiederzusagen? »Die rührendsten Beweise der Liebe hätt er von seinem Volke erhalten! wenige Verräter störten Frankreichs Glück! Er wolle sich an die Spitze der Armee stellen!« O, der wahre Sohn Heinrichs des Vierten!

CHASSECOEUR. Der alte podagrische Esel will an die Spitze der Armee?

SCHNEIDERMEISTER. Alles sehr gut, meine Dame, aber weshalb läuft er fort, wenn so rührende Beweise der Liebe und so wenig Verräter da sind? – Volk, Volk, laß dich durch Mitleid und Edelmut nicht um deine Klugheit betrügen! Der König will nach Wien und dort auf dem Kongresse Frankreichs beste Provinzen verschenken! Dafür sollen ihm die Russen helfen, alle Nicht-Emigranten zu unterdrücken! Das ist schon lange im Werk gewesen!

VOLK wütend. Der verfluchte bourbonische Heuchler! Ihm nach – fanget, fesselt ihn!

SCHNEIDERMEISTER. Recht so – und soll er verbluten, so tu er es an unseren treuen Herzen!


Für sich.


Das verdirbt die Kleider, und nützt meinem Geschäft.

MEHRERE STIMMEN. Er ist schon fort – – über alle Berge!

EIN ÄLTLICHES FRAUENZIMMER. Schimpft nach Belieben – Er war doch ein guter Mann.

CHASSECOEUR. Ja, er aß Roastbeef, aber keine Ofenschrauben.

VITRY. Du schilderst ihn. – Was da?

LEUTE VERSCHIEDENEN STANDES stürzen herein. Napoleon ist gelandet –

CHASSECOEUR. Vitry!

VITRY. Chassecoeur! das Veilchen blüht![377]

SCHNEIDERMEISTER. Die beiden Gardekerle springen auf, als ging es zum Tanze!

DIE LEUTE. – und bei Chalons sur Saône ist er gehängt worden!

CHASSECOEUR. Wer sagt das?

DIE LEUTE. Der Moniteur und der Telegraph.

VITRY. Sei ruhig, Chassecoeur. – Wenn die beiden zusammen es sagen, so ist es doppelte Lüge. Warum liefe der König sonst weg?

ANDERES VOLK stürzt herein. Der Kaiser ist in Fontainebleau!

SCHNEIDERMEISTER. Donner und Hagel! – Neys Armee?

VOLK. Ist zu ihm übergegangen, und hat ihm den Marschall mitgebracht!

SCHNEIDERMEISTER. Die armen Bourbons!

VITRY zu Chassecoeur. Von nun an laß das Räsonieren – nicht mehr nötig – denk an deine Waffen.

CHASSECOEUR. Sie liegen geputzt und blank im Winkel.

VITRY. Die meinigen auch!

SCHNEIDERMEISTER zu einem Nebenstehenden. Paß auf, jetzt stift ich eine Revolution.

DER NEBENSTEHENDE. Wodurch?

SCHNEIDERMEISTER. Narr, durch diesen Pflasterstein – – Ich blicke, blicke und blicke auf ihn hin.

SAVOYARDENKNABE. »La marmotte« –


Er stockt und deutet auf den Schneidermeister.


Was hat der Mensch?

ANDERE UMSTEHENDE. Was sieht der?

NOCH ANDERE. Was geschieht?


Es drängt sich allmählich eine große Volksmasse um den Schneidermeister.


SCHNEIDERMEISTER halblaut. Hm – Hum – Oh!

VOLK. Großer Gott! Was ist?

SCHNEIDERMEISTER murmelt. Gefahr – Paris – die Seine – Aristokraten –

EINER AUS DER MASSE. Was sagt er?

EIN ANDERER. Verstehst du nicht? Die Aristokraten wollen Paris untergraben, es mit Pulver von Vincennes in die Luft sprengen, wollen die Seine ableiten, und die Zufuhr sperren!

WEIBER. Wir Unglücklichen! o, unsere Kinder!

MÄNNER. Waffen! Waffen – Die Arsenale erbrochen! – Waffen! Waffen![378]

EIN BÜRGER kommt. Meine Herren, es ist wahr – man will die Seine ableiten – Hier hab ich eine Schaufel – sie lag an ihrem Ufer – Zeugnis genug!

VOLK IM VORDERGRUNDE. Die Schaufel – o, die Schaufeln!

VOLK IM MITTELGRUNDE. Man miniert unter der Seine – Zehntausend Schaufeln sind entdeckt!

VOLK IM HINTERGRUNDE. Auf! auf! Wir wollen uns wehren für Leben, Weib und Kind, oder was es sonst sein mag!

SCHNEIDERMEISTER für sich. Das letzte klingt lustig – »Was es sein mag!« – Sie wissen nicht was sie wollen, und werden nehmen, was sie bekommen. – Ich aber weiß mein Teil, – neue Regierung neue Kleider!


Halb für sich.


Das Brot – Gott, das Brot –

VOLK. Die Bäcker, die Müller erwürgt! Sie sind von den Ministern bestochen, uns aushungern zu lassen! Es findet sich kein Brot mehr in der Stadt! Brot, Brot, Brot!

SCHNEIDERMEISTER. Wie sie auf einmal hungrig werden! – Aber – o wer kommt da? – Weh! die Vorstadt St. Antoine! Die ganze Stadtsippschaft, mit welcher ich mich bis jetzt vergnügte, rettet weder mich noch sich gegen das Belieben dieser Bestien von Habenichts und Herren von Schlagzu! – Ach wir lebten unter dem achtzehnten Ludwig so glücklich.

EIN NEBENSTEHENDER. Auch du?

SCHNEIDERMEISTER. Freilich. Wie sonst hätt ich so kühn scherzen können?


Er horcht auf.


Und Himmel! schon das alte, wilde ça ira – Mir fröstelts im Blut! Es wird weiß, wie Schnee!

VORSTÄDTER VON ST. ANTOINE treten auf, singend.

Ah! ça ira, ça ira,

Suivant les maximes de l'Evangile,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Du legislateur tout s'accomplira.

EIN BÜRGER. Wie paßt das heute?

SCHNEIDERMEISTER. Ça ira, mein Herr, heißt soviel als »Kopf ab, wo es uns gefällt«. Mit dem Inhalt ist es einerlei, aber die Bedeutung und Wirkung ist dieselbe. – Wir Armen!

VITRY. Ja, Chassecoeur, so etwas hast du in Rußland nicht gesehen, – das sind die echten Ohnehosen und Schonungslosen[379] – Ihre Piken sind schlimmer als die der feigen Kosaken!

VORSTÄDTER VON ST. ANTOINE.

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Celui qui s'élève, on l'abaissera,

Celui qui s'abaisse, on l'élèvera,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira.

Le peuple armé toujours se gardera,

Le clergé regrette le bien qu'il a,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Par justice la nation l'aura,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira.

SCHNEIDERMEISTER. Welche Orchesterbegleitung! Ein zerlumpter Bärenführer mit der Trommel und ein schmutziger Junge mit einem Triangel! Na, Opern, jetzt ist es aus mit euch!

VORSTÄDTER VON ST. ANTOINE.

Pierrot et Margot chantent à la guinguette,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Réjouissons nous, le bon temps viendra,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira.

SCHNEIDERMEISTER. Wie gern lief' ich weg – die verwünschte Neugierde! Es sieht zu kurios aus – O – da ist Jouve, der Kopfabhacker von Versailles und Avignon, wieder an der Spitze, eine ellenhohe rote Mütze auf dem Kopfe – Seit zwanzig Jahren sah ich ihn nicht – – Und da tragen sie auf den Schultern eine Hure, in ihrer Jugend, als Gott vom Wohlfahrtsausschuß abgesetzt war, Göttin der Vernunft, und jetzt dieselbe noch einmal, aber recht gealtert.

VORSTÄDTER VON ST. ANTOINE. Hoch die Vernunft!

ANDERE. Die Hölle mit ihr!

WIEDER ANDERE. Und der Himmel breche zusammen!

NOCH ANDERE. Der Teufel soll Gott sein!

ALLE. Das soll er, er ist ein braver Kerl!

JOUVE. Das ist er, Brüder, aber eben darum der Verleumdete, der Unterdrückte –


Zu dem Schneidermeister.


Lumpenhund, was blinzelst du mit den Augen?

SCHNEIDERMEISTER. Vor Freude, mein Herr, daß in Frankreich auch der Teufel zu Recht und Ehre kommt.

VIELE VORSTÄDTER. Jouve, laß den Mann gehn – er ist so[380] übel nicht –

JOUVE. Dann ist er schlecht genug – Wer nicht für uns ist, der ist wider uns – Dieser, merk ich, ist ein Schuft, der seine Courage da hat, wo er nichts zu fürchten braucht, – der die Fahne auf der einen Seite weiß, auf der anderen dreifarbig trägt, und sie nach dem Winde schwingt. – Seht, wie er anfängt, sich hin und her zu wenden – er möchte jetzt gern fort, nach Haus, sich dort mit seiner Familie hinter den Ofen verstecken, bisweilen an die Fensterladen schleichen, durch die Ritzen gucken, und ohne Gefahr bemerken, was es auf der Straße für Unheil gibt, um gleich darauf in Sicherheit darüber zu schwatzen – Derlei Memmen sind schändlicher als die öffentlichsten Mordbrenner – – Schneiderfetzen, (denn so etwas wirst du sein) Courage, Schere, Nadeln heraus, – hier mein Schmiedehammer – Wehre dich oder krepiere!

SCHNEIDERMEISTER. Weh mir!

JOUVE. Nieder! –


Er schlägt ihn zur Erde.


VORSTÄDTER UND ANDERES VOLK. Ha! Blut! Blut! Blut! – Schaut, schaut, schaut, da fließt, da flammt es – Gehirn, Gehirn, da spritzt es, da raucht es – Wie herrlich! Wie süß!

JOUVE. Schneiderblut und Schneidergehirn – Besseres Blut tut uns not – Wer noch keine rote Mütze hat, färbe sich, bis wir edleres haben, mit diesem Blute das Haar.


Viele Vorstädter tun es.


Vorwärts – die Tuilerien angesteckt – Es lebe die Freiheit!

ALLE VORSTÄDTER. Sie lebe!

EIN VORSTÄDTER. Da kommt Nationalgarde!

JOUVE. Geh du hin, und sag ihren Anführern, sie möchten sich mit ihren Leuten auf der Stelle, und zwar mit gekrümmten Buckel nach Hause begeben, sonst würd ich ihnen in der Manier, wie ich sie 1789 in Versailles lernte, ihre Köpfe, falls sie etwas von Kopf haben möchten, dergestalt abhacken, daß dieselben, ehe sie den Mund zum Schrei aufsperren könnten, auf dem Boden lägen. –


Der von Jouve Angeredete ab.


– Wer ein guter Patriot ist, folgt mir nach! Hacket dem verräterischen Schneider die Finger ab, und steckt sie in den Mund als Zigarren der Nation![381]

VIELE VORSTÄDTER. Her die Finger! – Ach, er hat nur zehn!

JOUVE. Geduld, es gibt Verräter genug, um noch tausende zu erhalten. Bekommen wir den König oder den Kaiser in die Hände, sie gehören beide mit dazu.

CHASSECOEUR. Der Kaiser?

VITRY. Kamerad, still – den Kaiser und uns hat die Revolution gemacht, diese aber machten die Revolution und den Kaiser.

JOUVE. Welcher Bengel wagte mir in die Rede zu fallen und nach dem Kaiser zu fragen?

VITRY. Da hast du es, Chassecoeur.

CHASSECOEUR. Ein kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde.

JOUVE. Leute, der Kerl macht sich Titel – An den Arm der Laterne mit ihm!

VORSTÄDTER. An den Laternenarm den Verräter!

VITRY. Bitte, bitte, schont ihn, ihr Helden der Revolution –

VORSTÄDTER. Ah –

VITRY. Schöne, allerschönste Göttin der Vernunft, leg ein Wort für den Unvernünftigen ein – Es geziemt der Vernunft, die Tollen zu bemitleiden.

GÖTTIN DER VERNUNFT. Jouve, laß den Narren närrisch sein. Er ist so geboren und in der Armee so erzogen – er kann es nicht ändern.

JOUVE. Du sagst es, Göttin. – Aber du, kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde, merke dir mit deinem schwachen Verstande die Kleinigkeit: soll dir nicht hineingeschlagen werden, so reiße gegen französische Bürger das Maul nicht zu weit auf.

CHASSECOEUR. Hölle –

VITRY. Sacht! – Der Kaiser ist gewiß bald da.

ADVOKAT DUCHESNE kommt. Meine Herren –

VITRY beiseit zu ihm. Herr Redner, still – Die da verstehen den Teufel von Ihrem Brei, und wen sie nicht verstehen, den bewundern sie nicht, wie unsre Bekannten im Palais Royal, sondern sie bringen ihn um.


Gensd'armerie zu Pferde kommt.


EIN HAUPTMANN DER GENSD'ARMES. Auseinander, Pöbel!

JOUVE zu einem seiner Nebenmänner. Schleich dich hinter das Pferd des Gensd'armeshauptmanns, reiß ihn rücklings herunter – ich falle ihn und seinen Gaul von vorn an.


Jouves Nebenmann ab.
[382]

Was wollen Sie, mein Herr?

HAUPTMANN DER GENSD'ARMES. Nur Ruhe.

JOUVE. Die soll Ihnen werden, in zwei Minuten. – Leute, habt ihr recht starke Stricke? Der Kerl ist fett und schwer.

HAUPTMANN DER GENSD'ARMES. Empörung! Schießt, haut ein, Gensd'armes!

JOUVE. Wer ist mehr, ein Gensd'armes oder ein Franzose? Ihr hauet nicht ein, Bürger Gensd'armes, aber euren elenden Hauptmann hängen wir an jene Laterne, so gewiß als ihn mein Freund in diesem Augenblick vom Pferde reißt.

HAUPTMANN DER GENSD'ARMES. Rettet mich, Kameraden!

JOUVE. Findest deine Kameraden in der Hölle.


Er schlägt das Pferd des Hauptmanns der Gensd'armes nieder.


VORSTÄDTER. In die Luft den Kerl! Hopsa!

HAUPTMANN DER GENSD'ARMES. Schändlich – – Tut alles, nur meinem Halse nicht zu weh –


Er hängt.


Ach!


Er stirbt.


JOUVE. Wo sind die anderen Gensd'armes?

EIN VORSTÄDTER. Schnell auseinander und fortgeritten.

JOUVE. Das war von ihnen weise gehandelt!


Aufhorchend.


Was für Trompeten?

CHASSECOEUR UND VITRY horchen auch auf. Ha!

VOLK. Dort zahllose Reiterei!

EINIGE. Kennt ihr die klirrenden Kalpaks von Blech und Stahl? Es sind polnische Lanzenreiter.

JOUVE. In Ordnung, Brüder – Man will uns im Namen des so längst hingerichteten Kaisers überrumpeln! – Da Trommeln?

EIN ANKOMMENDER. Die Infanterie von Ney, an den Tschakos das Trikolor!

JOUVE. Satan, von jener Seite?

DER ANGEKOMMENE. Artillerie, bedeckt von den Kürassieren Milhauds.

JOUVE. Wie konnte der kleine Korporal das alles so schnell ordnen? – Er ist doch ein tüchtigerer Kerl als Mirabeau, Robespierre oder ich – Schade, daß er tyrannisiert! – Links? und hinter uns?

DER ANGEKOMMENE. Links die Garde zu Fuß mit der alten[383] Parademusik, hinter uns die Garde zu Pferde, – so weit man blickt nichts als Bärenmützen!

CHASSECOEUR UND VITRY. Unsre Kameraden! unsre Kameraden – In Reih und Glied mit ihnen – Jetzt Pöbel, zittre! –


Sie eilen zu der vorbeirückenden Garde.


JOUVE. Vorstädter, Ruhe! – Wir spielen nicht mehr mit Ludwigs Gensd'armes, sondern mit Ihm. Er ist ein schlechter Kerl, aber sein Handwerk versteht er. Paris liegt in seinen Ketten, eh es ihn nahe ahnte. –

EIN VORSTÄDTER. Da 'ne Kröte von einer Kutsche – Dragoner um sie her – Was wollen die bei dem erbärmlichen Dinge? Ich möcht es visitieren.

JOUVE. Der Blick aus dem Kutschschlag war vom Auge des Mannes von Austerlitz.

MEHRERE STIMMEN. Wieder zwei Kutschen mit kaiserlichen Wappen!

JOUVE. Voll von Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses. – Wo Aas, da die Raben, sonst begreifs der Henker, wo diese Personen auf einmal herkommen. Für sich. Der Imperator zurück, und in der Mode, solang es dauert. Ich mache sie mit und trage morgen wieder einen eleganten Frack. Die Jakobinermützen überdauern am Ende doch alles. Laut. Es beginnt zu dämmern! Hausbewohner, Lichter an die Fenster, zu Ehren des Kaisers und der Nation! – Damen von Paris, muß man euch erinnern? Das Volk erwartet schon lange von euren schönen Händen dreifarbige Kokarden!


Die Fenster werden erhellt, – Damen eilen an dieselben und werfen die Kokarden in Menge unter das Volk.


VOLK. Heil den Damen von Paris!

EIN KRÄMER tritt mit seiner Frau aus dem Gewölbe. Liebe Frau, laß die weißen Kokarden, die sie wegwerfen, morgen mit dem frühesten aufsuchen, und sorgfältig in einen Koffer packen – Vor einem Jahre macht ich es ebenso mit den dreifarbigen, habe drei Koffer davon voll und paß auf, ich setze sie jetzt reißend ab. Ruft. Hier dreifarbige Kokarden, das Stück zu einem Sou!

JOUVE. Hund, du wagst die Farben der Nation zu verkaufen? – Du kommst meiner Laune gelegen!


Zu seinen Leuten.
[384]

Nehmt ihm die Kokarden!


Wieder zu dem Krämer.


Dir schaff ich dafür das Trikolor umsonst: sieh, diese Faust ballt sich unter deiner Nase, und du wirst weiß, – jetzt erwürgt sie dich und du wirst blau wie der heitere Himmel, – nunmehr zerstampf ich deinen Kopf, und du wirst rot vor Blut.

FRAU DES KRÄMERS. Gott, o Gott!

JOUVE. Die Gans fällt in Ohnmacht – notzüchtigt sie, wenn sie soviel wert ist, aber im Namen des Kaisers!

ALLE. Jouve hoch und abermals hoch!

JOUVE. Bärenführer pfeif und trommle, Triangler klingle!


Es geschieht.


Nach den Tuilerien!


Alle ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 375-385.
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