Sechster Auftritt

[785] Sappho, reich gekleidet wie im ersten Aufzuge; den Purpurmantel um die Schultern, den Lorbeer auf dem Haupte, die goldne Leier in der Hand, erscheint, von ihren Dienerinnen umgeben, auf den Stufen des Säulenganges und schreitet ernst und feierlich herunter.

Lange Pause.


MELITTA.

O Sappho, o Gebieterin!

SAPPHO ernst und ruhig.

Was willst du?

MELITTA.

Gefallen ist die Binde meiner Augen,

O laß mich wieder deine Sklavin sein,

Was dir gehört, besitz es und verzeih!

SAPPHO.

Glaubst du so übel Sapphon denn beraten,

Daß Gaben sie von deiner Hand bedarf?

Was mir gehört, es ist mir schon geworden.

PHAON.

O höre, Sappho –

SAPPHO.

Nicht berühre mich!

Ich bin den Göttern heilig!

PHAON.

Wenn du mich

Mit holdem Auge, Sappho, je betrachtet –

SAPPHO.

Du sprichst von Dingen, die vergangen sind!

Ich suchte dich und habe mich gefunden!

Du faßtest nicht mein Herz, so fahre hin!

Auf festern Grund muß meine Hoffnung fußen!

PHAON.

So hassest du mich also?

SAPPHO.

Lieben! Hassen!

Gibt es kein Drittes mehr? Du warst mir wert

Und bist es noch und wirst mirs immer sein,

Gleich einem lieben Reisgenossen, den

Auf kurzer Überfahrt des Zufalls Laune

In unsern Nachen führte, bis das Ziel erreicht

Und scheidend jeder wandelt seinen Pfad,

Nur manchmal aus der fremden weiten Ferne

Des freundlichen Gefährten sich – erinnernd


Die Stimme versagt ihr.


PHAON bewegt.

O Sappho!

SAPPHO.

Still! Laß uns in Ruhe scheiden!


Zu den übrigen.
[785]

Ihr, die ihr Sapphon schwach gesehn, verzeiht!

Ich will mit Sapphos Schwäche euch versöhnen,

Gebeugt erst zeigt der Bogen seine Kraft!


Auf den Altar im Hintergrunde zeigend.


Die Flamme zündet Aphroditens an,

Daß hell sie strahle in das Morgenrot!


Es geschieht.


Und nun entfernt euch, lasset mich allein,

Alleine mit den Meinen mich beraten!

RHAMNES.

Sie wills, laßt uns gehorchen. Kommt ihr alle!


Ziehen sich zurück.


SAPPHO vortretend.

Erhabne, heilge Götter!

Ihr habt mit reichem Segen mich geschmückt!

In meine Hand gabt ihr des Sanges Bogen,

Der Dichtung vollen Köcher gabt ihr mir;

Ein Herz zu fühlen, einen Geist zu denken,

Und Kraft, zu bilden, was ich mir gedacht!

Ihr habt mit reichem Segen mich geschmückt,

Ich dank euch!


Ihr habt mit Sieg dies schwache Haupt gekrönt

Und ausgesät in weitentfernte Lande

Der Dichtrin Ruhm, Saat für die Ewigkeit!

Es tönt mein goldnes Lied von fremden Zungen,

Und mit der Erde nur wird Sappho untergehn,

Ich dank euch!


Ihr habt der Dichterin vergönnt, zu nippen

An dieses Lebens süß umkränzten Kelch,

Zu nippen nur, zu trinken nicht.

O seht, gehorsam eurem hohen Wink

Setz ich ihn hin, den süß umkränzten Becher,

Und trinke nicht!


Vollendet hab ich, was ihr mir geboten,

Darum versagt mir nicht den letzten Lohn!

Die euch gehören, kennen nicht die Schwäche,

Der Krankheit Natter kriecht sie nicht hinan,[786]

In voller Kraft, in ihres Daseins Blüte

Nehmt ihr sie rasch hinauf in eure Wohnung –

Gönnt mir ein gleiches, kronenwertes Los! –


O gebt nicht zu, daß eure Priesterin

Ein Ziel des Hohnes werde eurer Feinde,

Ein Spott des Toren, der sich weise dünkt.

Ihr bracht die Blüten, brechet auch den Stamm!

Laßt mich vollenden, so wie ich begonnen,

Erspart mir dieses Ringens blutge Qual.

Zu schwach fühl ich mich, länger noch zu kämpfen,

Gebt mir den Sieg, erlasset mir den Kampf!


Begeistert.


Die Flamme lodert und die Sonne steigt,

Ich fühls, ich bin erhört! Habt Dank, ihr Götter! –

Du Phaon! Du Melitta! Kommt heran!


Phaon auf die Stirne küssend.


Es küsset dich ein Freund aus fernen Welten


Melitten umarmend.


Die tote Mutter schickt dir diesen Kuß!


Nun hin, dort an der Liebesgöttin Altar

Erfülle sich der Liebe dunkles Los!


Eilt dem Altare zu.


RHAMNES.

Was sinnet sie? verklärt ist all ihr Wesen,

Glanz der Unsterblichen umleuchtet sie!

SAPPHO auf eine Erhöhung des Ufers hintretend und die Hände über die beiden ausstreckend.

Den Menschen Liebe und den Göttern Ehrfurcht!

Genießet, was euch blüht, und denket mein!

So zahle ich die letzte Schuld des Lebens!

Ihr Götter, segnet sie und nehmt mich auf!


Stürzt sich vom Felsen ins Meer.


PHAON.

Halt ein! Halt Sappho!

MELITTA.

Weh, sie stürzt! sie stirbt!

PHAON mit Melitten beschäftigt.

Schnell Hilfe, fort ans Ufer! Rettung, Hilfe!


Einige ab.
[787]

RHAMNES der aufs Ufer gestiegen.

Ihr Götter, wendet ab! dort jene Klippe,

Berührt sie die, ist sie zerschellt, zerschmettert! –

Tragt sie vorüber! Weh! Es ist geschehn!

PHAON.

Was kreischest du? Nach Kähnen! Eilet! Rettet!

RHAMNES herabsteigend.

Halt ein! Es ist zu spät! Gönnt ihr das Grab,

Das sie, verschmähend diese falsche Erde,

Gewählt sich in des Meeres heilgen Fluten!

PHAON.

Tot?

RHAMNES.

Tot!

PHAON.

Weh mir! Unmöglich, nein!

RHAMNES.

Es ist! –

Verwelkt der Lorbeer und das Saitenspiel verklungen!

Es war auf Erden ihre Heimat nicht –


Mit erhobenen Händen.


Sie ist zurückgekehret zu den Ihren!


Der Vorhang fällt.


Ende


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 785-788.
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