Dritter Aufzug

[41] Gemach im Innern von Heros Turm. Auf der rechten Seite des Hintergrundes in einer weiten Brüstung das hoch angebrachte Bogenfenster, zu dem einige breite Stufen emporführen. Daneben ein hohes Lampengestell. Gegen die linke Seite des Hintergrundes die schmale Türe des Haupteinganges. Eine zweite, durch einen Vorhang geschlossene Tür auf der rechten Seite des Mittelgrundes. Auf derselben Seite nach vorn ein Tisch, daneben ein Stuhl mit niedrer Rücklehne.

Nach dem Aufziehen des Vorhanges kommt ein Diener, hoch in der Hand eine Lampe tragend, die er auf den Kandelaber stellt und dann geht.

Unmittelbar hinter ihm der Oberpriester mit Hero. Sie hat den Mantel um die Schultern wie zu Ende des ersten Aufzuges.


PRIESTER.

Des Dienstes heilge Pflichten sind vollbracht,

Der Abend sinkt; so komm denn in dein Haus,

Von heut an dein, der Priestrin stille Wohnung.

HERO um sich blickend.

Hier also, hier!

PRIESTER.

So ists. Und wie der Turm,

In dessen Innern sich dein Wohnsitz wölbt,

Am Ufer steht des Meers, getrennt, allein,

Durch Gänge nur mit unserm Haus verbunden –

Auf festen Mauern senkt er sich hinab,

Bis wo die See an seinen Füßen brandet,

Indes sein Haupt die Wolken Nachbar nennt,

Weit schauend über Meer und Luft und Land –

So wirst du fürder stehn, getrennt, vereint,

Den Menschen wie den Himmlischen verbündet;

Dein selber Herr und somit auch der andern,

Ein doppellebend, auserkornes Wesen,

Und glücklich sein.

HERO.

Hier also, hier!

PRIESTER.

Sie haben,

Ich seh es, die Geräte dir versammelt,

Mit denen man der Priester Wohnung schmückt.

Hier Rollen, reich mit weisem Wort beschrieben,

Dort Brett und Griffel, haltend Selbstgedachtes.

Dies Saitenspiel sogar, ein altes Erbstück

Von deines Vaters Schwester und der meinen,

Einst Priesterin wie du an diesem Ort.[42]

An Blumen fehlt es nicht. Hier liegt der Kranz,

Den du getragen bei der heutgen Weihe.

Du findest alles, was den Sinn erhebt,

Nicht Wünsche weckt und Wünsche doch befriedigt,

Den Göttern dienend, ihnen ähnlich macht.


Auf die Seitentüre zeigend.


Dies andere Gemach, es birgt dein Lager.

Dasselbe, das die Kommende empfing

Am ersten Tag, vor sieben langen Jahren.

Das wachsen dich gesehn und reifen, blühn

Und weise werden, still und fromm und gut.

Dasselbe, das um rotgeschlafne Wangen

Die Träume spielen sah von einem Glück,

Das nun verwirklicht – doch du träumst auch jetzt.

HERO.

Ich höre, guter Ohm.

PRIESTER.

Gesteh ich dirs?

Ich dachte dich erfreuter mir am Abend

Des selgen Tags, der unser Wünschen krönt.

Was wir gestrebt, gehofft, du hast, du bist es;

Und statt entzückt, find ich dich stumm und kalt.

HERO.

Du weißt, mein Ohm, wir sind nicht immer Herr

Von Stimmungen, die kommen, wandeln, gehn,

Sich selbst erzeugend und von nichts gefolgt.

Das Höchste, Schönste, wenn es nun erscheint,

Indem es anders kommt, als wir gedacht,

Erschreckt beinah, wie alles Große schreckt.

Doch gönne mir nur eine Nacht der Ruh,

Des Sinnens, der Erholung, und, mein Ohm,

Du wirst mich finden, die du sonst gekannt.

Der Ort ist still, die Lüfte atmen kaum;

Hier ebben leichter der Gedanken Wogen,

Der Störung Kreise fliehn dem Ufer zu,

Und Sammlung wird mir werden, glaube mir.

PRIESTER.

Sammlung? Mein Kind, sprach das der Zufall bloß?

Wie, oder fühltest du des Wortes Inhalt,

Das du gesprochen, Wonne meinem Ohr?

Du hast genannt den mächtgen Weltenhebel,

Der alles Große tausendfach erhöht[43]

Und selbst das Kleine näher rückt den Sternen.

Des Helden Tat, des Sängers heilig Lied,

Des Sehers Schaun, der Gottheit Spur und Walten,

Die Sammlung hats getan und hats erkannt,

Und die Zerstreuung nur verkennts und spottet.

Sprichts so in dir? Dann, Kind, Glück auf!

Dann wirst du wandeln hier, ein selig Wesen.

Des Staubes Wünsche weichen scheu zurück;

Und wie der Mann, der abends blickt gen Himmel,

Im Zwielicht noch, und nichts ersieht als Grau,

Farbloses Grau, nicht Nacht und nicht erleuchtet;

Doch schauend unverwandt, blinkt dort ein Stern

Und dort ein zweiter, dritter, hundert, tausend,

Die Ahnung einer reichen, gotterhellten Nacht,

Ihm nieder in die feuchten, selgen Augen.

Gestalten bilden sich und Nebel schwinden,

Der Hintergrund der Wesen tut sich auf,

Und Götterstimmen, halb aus eigner Brust

Und halb aus Höhn, die noch kein Blick ermaß –

HERO.

Du weißt, mein Ohm, nicht also kühnen Flugs

Erhebt sich mir der Geist. So viel nicht hoffe!

Allein, was not und was mir auferlegt,

Gedenk ich wohl zu tun. Des sei gewiß.

PRIESTER.

Wohlan, auch das. Ists gleich nicht gut und recht,

Beim Anfang einer Bahn das Ziel so nah,

So ärmlich nahe sich das Ziel zu setzen.

Doch seis für jetzt. Nur noch dies eine merk:

Bei allem, was dir bringt die Flucht der Tage,

Den ersten Anlaß meid! Wer Taten-kräftig

Ins rege Leben stürzt, wo Mensch den Menschen drängt,

Er mag Gefahr mit blankem Schwerte suchen,

Je härtrer Kampf, so rühmlicher der Sieg.

Doch wessen Streben auf das Innre führt,

Wo Ganzheit nur des Wirkens Fülle fördert,

Der halte fern vom Streite seinen Sinn,

Denn ohne Wunde kehrt man nicht zurück,

Die noch als Narbe mahnt in trüben Tagen.

Der Strom, der Schiffe trägt und Wiesen wässert,[44]

Er mag durch Felsen sich und Klippen drängen,

Vermischen sich mit seiner Ufer Grund.

Er fördert, nützt, ob klar, ob trüb verbreitet:

Allein der Quell, der Mond und Sterne spiegelt,

Zu dem der Pilger naht mit durstgem Mund,

Die Priesterin, zu sprengen am Altar;

Der wahre rein die ewig lautern Wellen,

Und nur bewegt, ist ihm auch schon getrübt.


Und so schlaf wohl! Bedarfst du irgend Rat,

Such ihn bei mir, bei deinem zweiten Vater.

Doch stießest du des Freundes Rat zurück,

Du fändest auch in mir den Mann, der willig

Das eigne Blut aus diesen Adern gösse,


Mit ausgestrecktem Arm.


Wüßt er nur einen Tropfen in der Mischung,

Der Unrecht birgt und Unerlaubtes hegt.


Er geht nach der Mitteltüre.


HERO nach einer Pause.

Ich merke wohl, der Vorfall in dem Hain

Mit jenen Fremden hat mir ihn verstimmt.

Und, wahrlich, er hat recht. Gesteh ichs nur!

Wenn ich nicht Hero war, nicht Priesterin,

Den Himmlischen zu frommem Dienst geweiht,

Der Jüngere, der Braungelockte, Kleinre,

Vielleicht gefiel er mir. – Vielleicht? – Je nun!

Ich weiß nunmehr, daß, was sie Neigung nennen,

Ein Wirkliches, ein zu Vermeidendes,

Und meiden will ichs wohl. – Ihr guten Götter!

Wie vieles lehrt ein Tag, und ach, wie wenig

Gibt und vergißt ein Jahr. – Nun, er ist fern,

Im ganzen Leben seh ich kaum ihn wieder,

Und so ists abgetan. – Wohl gut!


Sie nimmt den Mantel ab.


Hier liege du! Mit wie verschiednem Sinn

Nahm morgens ich, leg ich dich abends hin.

Ein Leben hüllst du ein in deine Falten.

Bewahre, was du weißt, ich leg es ab mit dir.[45]

Doch was beginnen nun? Ich kann nicht schlafen.


Die Lampe ergreifend und in die Höhe haltend.


Beseh ich mir den Ort? – Wie weit! – Wie leer! –

Genug werd ich dich schaun manch langes Jahr,

Gern spar ich, was du beutst, für künftge Neugier.

Horch! – Es war nichts. – Allein, allein, allein!


Sie hat die Lampe seitwärts aufs Fenster gestellt und steht dabei.


Wie ruhig ist die Nacht! Der Hellespont

Läßt Kindern gleich die frommen Wellen spielen;

Sie flüstern kaum, so still sind sie vergnügt.

Kein Laut, kein Schimmer rings. Nur meine Lampe

Wirft bleiche Lichter durch die dunkle Luft.

Laß mich dich rücken hier an diese Stäbe!

Der späte Wanderer erquicke sich

An dem Gedanken, daß noch jemand wacht.

Und bis zu fernen Ufern jenseits hin

Sei du ein Stern und strahle durch die Nacht.


Doch würdest du bemerkt. Drum komm nur schlafen,

Du bleiche Freundin mit dem stillen Licht.


Sie trägt die Lampe.


Und wie ich lösche deinen sanften Strahl,

So möge löschen auch, was hier noch flimmert,

Und nie mehr zünd es neu ein neuer Abend an.


Sie hat die Lampe auf den Tisch gesetzt.


So spät noch wach? – Ei, Mutter, bitte, bitte! –

Nein, Kinder schlafen früh! – Nun denn, es sei!


Sie nimmt das Geschmeide aus dem Haar und singt dabei mit halber Stimme.


Und Leda streichelt

Den weichen Flaum.

Das ewge Lied! Wie kommts mir nur in Sinn?

Nicht Götter steigen mehr zu wüsten Türmen,

Kein Schwan, kein Adler bringt Verlaßnen Trost.

Die Einsamkeit bleibt einsam und sie selbst.


Sie hat sich gesetzt.


Auch eine Leier legten sie hierher.

Ich habe nie gelernt, darauf zu spielen.

Ich wollte wohl, ich hätts! – Gedanken, bunt[46]

Und wirr durchkreuzen meinen Sinn,

In Tönen lösten leichter sie sich auf.


Ja denn, du schöner Jüngling, still und fromm!

Ich denke dein in dieser späten Stunde

Und mit so glatt verbreitetem Gefühl,

Daß kein Vergehn sich birgt in seine Falten.

Ich will dir wohl, erfreut doch, daß du fern,

Und reichte meine Stimme bis zu dir,

Ich riefe grüßend: Gute Nacht!

LEANDER im Hintergrunde von außen am Fenster erscheinend.

Gut Nacht!

HERO.

Ha, was ist das? – Bist, Echo, dus, die spricht?

Suchst du mich heim in meiner Einsamkeit?

Sei mir gegrüßt, o schöne Nymphe!

LEANDER.

Nymphe,

Sei mir gegrüßt!

HERO.

Das ist kein Widerhall!

Ein Haupt! – Zwei Arme! – Ha, ein Mann im Fenster!

Er hebt sich, kommt! Schon kniet er in der Brüstung.

Zurück! Du bist verloren, wenn ich rufe.

LEANDER.

Nur einen Augenblick vergönne mir!

Die Steine bröckeln unter meinen Füßen;

Erlaubst du nicht, so stürz ich wohl hinab.

Ein Weilchen nur, dann klimm ich gern zurück.


Er läßt sich ins Gemach herein.


HERO.

Dort steh und reg dich nicht! – Unseliger,

Was führte dich hierher?

LEANDER im Hintergrunde nahe beim Eingange stehenbleibend.

Ich sah dein Licht

Mit hellem Glanze strahlen durch die Nacht.

Auch hier wars Nacht und sehnte sich nach Licht.

Da klomm ich denn herauf.

HERO.

Wer dein Genosse?

Wer hielt die Leiter dir, bot Arm und Hilfe?

LEANDER.

Nicht Leiter führte mich, noch äußre Hilfe.

Den Fuß setzt ich in lockrer Steine Fugen,

An Ginst und Efeu hielt sich meine Hand.

So kam ich her.[47]

HERO.

Und wenn du, gleitend, stürztest?

LEANDER.

So war mir wohl.

HERO.

Und wenn man dich erblickt?

LEANDER.

Man hat wohl nicht.

HERO.

Des heilgen Ortes Hüter,

Die Wache gehen sie zu dieser Zeit.

Unseliger! Ward dir denn nicht geboten,

Bat ich nicht selbst? du solltest kehren heim.

LEANDER.

Ich war daheim, doch ließ mirs keine Ruh;

Da warf ich mich ins Meer und schwamm herüber.

HERO.

Wie? Von Abydos weitentlegner Küste?

Zwei Ruderer ermüdeten der Fahrt.

LEANDER.

Du siehst, ich habs vermocht. Und wenn ich starb,

Der ersten Welle Raub erliegend, sank;

Wars eine Spanne näher doch bei dir.

Und also süßrer Tod.

HERO.

Dein Haar ist naß

Und naß ist dein Gewand. Du zitterst auch.

LEANDER.

Doch zittr ich nicht vor Frost; mich schüttert Glut.


Im Begriff, immer im Hintergrunde bleibend, sich auf ein Knie niederzulassen.


HERO.

Laß das und bleib! Ruh dich ein Weilchen aus,

Denn bald, und du mußt fort. So wars mein Licht,

Die Lampe, die dir Richtung gab und Ziel?

Du mahnst mich recht, sie künftig zu verbergen.

LEANDER.

O, tu es nicht! O, Herrin, tu es nicht!

Ich will ja nicht mehr kommen, wenn du zürnst,

Doch dieser Lampe Schein versag mir nicht!

Als diese Nacht ich schlaflos stieg vom Lager,

Und, öffnend meiner Hütte niedre Tür,

Aus jenem Dunkel trat in neues Dunkel,

Da lag das Meer vor mir mit seinen Küsten,

Ein schwarzer Teppich, ungeteilt, zu schaun,

Wie eingehüllt in Trauer und in Gram.

Schon gab ich mich dem wilden Zuge hin!

Da, am Gesichtskreis flackert hell empor

Ein kleiner Stern, wie eine letzte Hoffnung.

Zu goldnen Fäden tausendfach gesponnen,

Umzog der Schein, ein Netz, die trübe Welt:[48]

Das war dein Licht, war dieses Turmes Lampe.

In mächtgen Schlägen schwoll empor mein Herz,

Nicht halten wollt es mehr in seinen Banden;

Ans Ufer eilt ich, stürzte mich ins Meer,

Als Leitstern jenen Schimmer stets im Auge.

So kam ich her, erreichte diese Küste.

Ich will nicht wieder kommen, wenn du zürnst,

Doch raube nicht den Stern mir meiner Hoffnung,

Verhülle nicht den Trost mir dieses Lichts.

HERO.

Du guter Jüngling, halt mich nicht für hart,

Weil ich nur schwach erwidre deine Meinung.

Doch kanns nicht sein, ich sagt es dir ja schon.

Ich bin verlobt zu einem strengen Dienst,

Und liebeleer heischt man die Priesterin.

Ehgestern, wenn du kamst, war ich noch frei,

Nun ists zu spät. Drum geh und kehr nicht wieder!

LEANDER.

Man nennt ja mild die Sitten deines Volks,

Sind sie so streng und drohen sie so viel?

HERO.

Die Meder und die Baktrer, fern im Osten,

Sie töten jene, die, der Sonne Priestrin,

Das Aug auf den geliebten Jüngling warf.

Mein Volk, nicht also mordbegiergen Sinns,

Es schonet zwar das Leben der Verirrten,

Allein stößt aus sie und verachtet sie,

Zugleich ihr ganzes Haus und all die Ihren.

Das kann nicht sein mit Hero, fühlst du wohl.

Drum also geh und trage, was du mußt.

LEANDER.

So soll ich fort?

HERO.

Du sollst. Doch nicht denselben Pfad,

Der dich hierher geführt, er scheint gefährlich.

Durch jene Pforte geh und folg dem Gang,

Der dich ins Freie führt.


Mit erregter Aufmerksamkeit einen Augenblick innehaltend.


Doch hab mir acht,

Denn – Horch! – Bei aller Götter Namen!

Ich höre Tritte hierwärts durch den Gang.

Man kommt! Sie nahn! Unselge Stunde! Weh![49]

LEANDER.

Ist hier kein Ort, der schützend mich verbirgt?

Ha, dort hinein.


Auf die Seitentüre zugehend.


HERO.

Beträtst du mein Gemach?

Hier bleib! Hast dus gewagt, laß sie dich finden, stirb!

Ich selber will hinein.

LEANDER.

Sie nahen.

HERO nach der Seitentüre hinzeigend.

Hier!

Geh nur hinein! Und nimm die Lampe mit!

Laß es hier dunkel sein! Hörst du? Nur schnell!

Allein nicht vorwärts dring, bleib nah der Tür!

Schnell, sag ich, schnell!

LEANDER.

Du aber?

HERO.

Still! und fort!


Leander hat die Lampe ergriffen und geht durch die Seitentüre ab. Das Gemach ist dunkel.


HERO.

Nun, Götter, waltet ihr in eurer Milde!


Sie senkt sich in den Stuhl, mit halbem Leibe sitzend, so daß das linke herabgesenkte Knie beinahe den Boden berührt, die Augen mit der Hand verhüllt, die Stirne gegen den Tisch gelehnt.


DES TEMPELHÜTERS STIMME von außen.

Ist hier noch jemand wach?

JANTHE ebenso.

Du siehst ja, alles dunkel.


Die Türe wird halb geöffnet.


TEMPELHÜTER.

Doch sah ich Licht.

JANTHE.

Das schien dir wohl nur so.

Auch wohnt die Priestrin hier, du weißt es selbst.

TEMPELHÜTER.

Doch was ich sah, laß ich mir nicht bestreiten


Die Türe schließt sich.


Und kommt der Tag, soll es sich weisen, ob –


Die Worte verhallen, die Tritte entfernen sich.


HERO.

O Scham und Schmach!

LEANDER aus der Seitentüre tretend.

So sind sie fort? – Wo weilst du?

Bist, Jungfrau, du noch hier?


Er berührt, suchend, ihre Schulter.


HERO emporfahrend.

Wo ist das Licht?

Die Lampe, wo? Bring erst die Lampe, sag ich!


Leander geht zurück.
[50]

HERO.

O, alles Unheil auf mein schuldig Haupt!

LEANDER der mit der Lampe zurückkommt.

Hier ist dein Licht.


Er setzt es hin.


Und dank mit mir den Göttern –!

HERO rasch aufstehend.

Dank, sagst du? Dank? Wofür? Daß du noch lebst?

Das all dein Glück? Entsetzlicher! Verruchter!

Was kamst du her? nichts denkend als dich selbst,

Und störst den Frieden meiner stillen Tage,

Vergiftest mir den Einklang dieser Brust?

O, hätte doch verschlungen dich das Meer,

Als du den Leib in seine Wogen senktest!

Wär, abgelöst, entglitten dir der Stein,

An dem du dich, den Turm erklimmend, hieltst,

Und du – Entsetzlich Bild! – Leander, o –!

LEANDER.

Was ist? Was schiltst du nicht?

HERO.

Leander, hörst du?

Kehr nicht den Weg zurück, auf dem du kamst,

Gefahrvoll ist der Pfad. – Entsetzlich, greulich!

Was ist es, das den Menschen so umnachtet,

Und ihn entfremdet sich, dem eignen Selbst,

Und fremdem dienstbar macht? – Als sie nun kamen,

Drei Schritte fern, und nun mich fanden, sahn;

Ich zitterte – doch nicht um mich! – Verkehrtheit!

Ich zitterte für ihn!

LEANDER.

Und darf ichs glauben?

HERO.

Laß das! Berühr mich nicht! – Das ist nicht gut,

Was so verkehrt die innerste Natur,

Auslöscht das Licht, das uns die Götter gaben,

Daß es uns leite, wie der Stern des Pols

Den Schiffer führt.

LEANDER.

Das nennst du schlimm?

Und alle Menschen preisens hochbeglückt,


Er kniet vor ihr.


Und Liebe nennen sies.

HERO.

Du armer Jüngling!

So kam denn bis zu dir das bunte Wort,[51]

Und du, du sprichst es nach und nennst dich glücklich?


Sein Haupt berührend.


Und mußt doch schwimmen durch das wilde Meer,

Wo jede Spanne Tod; und kommst du an,

Erwarten Späher dich und wilde Mörder –


Mit einem Blick nach rückwärts, zusammenfahrend.


LEANDER der aufspringt.

Was ist?

HERO.

O, jeder Laut dünkt mich ein Häschertritt!

Die Kniee zittern.

LEANDER.

Hero, Hero, Hero!

HERO.

Laß das! Berühr mich nicht! Du mußt nun fort!

Ich selber leite dich den sichern Pfad.

Denn, wenn sie kämen, dich hier fänden, fingen –


Sich an der Lehne des Stuhles festhaltend.


LEANDER nach einer kleinen Pause.

Und darf ich, Jungfrau, wieder kommen?

HERO.

Du!?

LEANDER.

So meinst du: nie? in aller Zukunft nie?

Kennst du das Wort und seinen grausen Umfang?

Dann auch: Du warst um mich besorgt. Weißt du?

Ich muß zurück durchs brausend wilde Meer,

Wirst du nicht glauben, daß ich sank und starb,

Bleibt kundlos dir mein Weg?

HERO.

Send einen Boten mir!

LEANDER.

Ich habe keinen Boten als mich selbst.

HERO.

Nun denn, du holder Bote; komm denn, komm!

Allein nicht hier an diesen Todesort. Am Ufer

Streckt eine Zunge sandig sich ins Meer.

Dort komm nur hin, verbirg dich in den Büschen;

Vorübergehend hör ich, was du sprichst.

LEANDER.

Die Lampe aber hier, laß sie mir leuchten,

Die Wege sie mir zeigen meines Glücks.

Wann aber komm ich wieder? Jungfrau, sprich!

HERO.

Am Tag des nächsten Fests.

LEANDER.

Du scherzest wohl!

Sag, wann?

HERO.

Wenn neu der Mond sich füllt.[52]

LEANDER.

Bis dahin schleichen zehen lange Tage!

Trägst du die Ungewißheit bis dahin? Ich nicht!

Ich werde fürchten, daß man uns bemerkt,

Du wirst mich tot in deinem Sinne schaun;

Und zwar mit Recht! Denn raubt mich nicht das Meer,

So tötet Sorge mich, die Angst, der Schmerz.

Sag: übermorgen; sag: nach dreien Tagen.

Die nächste Woche, sag!

HERO.

Komm morgen denn!

LEANDER.

O Seligkeit! o Glück!

HERO.

Und kehrst du heim, Leander,

Das Meer durchschwimmend, nächtig, wie du kamst;

So wahre dieses Haupt und diesen Mund

Und diese meine Augen. Hörst du wohl?

Versprich es mir!


Da er sie umfassen will, zurücktretend.


Nein, nein! – Nun aber folge!

Ich leite dich!


Sie geht nach dem Tische, die Lampe zu holen.


LEANDER ihr mit den Augen folgend.

O herrlich, himmlisch Weib!

HERO.

Was kommst du nicht?

LEANDER.

Und soll ich also darbend

Verlassen diesen selgen Götterort?

Kein Zeichen deiner Huld, kein armes Pfand

Fort mit mir tragen, meiner Sehnsucht Labung?

HERO.

Wie meinst du das?

LEANDER.

Nicht mindestens die Hand? –

Und dann! – Sie legen Lipp an Lippe,

Ich sah es wohl, und flüstern so sich zu,

Was zu geheim für die geschwätzge Luft.

Mein Mund sei Mund, der deine sei dein Ohr!

Leih mir dein Ohr für meine stumme Sprache!

HERO.

Das soll nicht sein!

LEANDER.

Muß ich so viel? du nichts?

Ich in Gefahr und Tod, du immer weigernd?


Kindisch trotzend.


Ich werde sinken, kehr ich trauernd heim.[53]

HERO.

Du, frevle nicht!

LEANDER.

Und du gewähr!

HERO.

Wenn du dann gehst.

LEANDER auf die Knie niedersinkend.

Gewiß!

HERO.

Und mir nicht streitest,

Daß ich zu leicht die Wange dir berührt;

Nein, dankbar bist vielmehr und fromm dich fügst.

LEANDER.

Du zögerst noch!

HERO.

Die Arme falte rückwärts,

Wie ein Gefangener, der Liebe, mein Gefangner.

LEANDER.

Sieh, es geschah.

HERO das Licht auf den Boden stellend.

Die Lampe solls nicht sehn.

LEANDER.

Du kommst ja nicht!

HERO.

Bist du so ungeduldig?

So soll auch nie – Und doch, wenns dich beglückt.

So nimm und gib!


Sie küßt ihn rasch.


Nun aber mußt du fort!

LEANDER aufspringend.

Hero!

HERO.

Nein, nein!


Zur Türe hinauseilend.


LEANDER.

Wenn ich dir flehe, Hero!

Verwünscht! neidisches Glück!


An der Türe horchend.


Doch hör ich Tritte,

Es sind die ihren, nähern sich der Tür,

Leis auf den Zehn. – So kommt sie wieder? – Götter!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 41-54.
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