Dritter Aufzug

[478] Garten im königlichen Lustschlosse. Im Hintergrunde fließt der Tajo. Nach vorn auf der rechten Seite eine geräumige Laube.

Links in einer Reihe mehrere Bittsteller, Gesuche in der Hand. Isaak steht bei ihnen.


ISAAK.

Es ward euch schon gesagt, hier weilt man nicht.

Hier geht demnächst lustwandeln meine Tochter

Und er mit ihr; er selbst, ich sag nicht, wer.

Erzittert denn und geht! Und eure Schriften

Tragt zu des Königs Räten nach Toledo.


Er nimmt dem einen seine Schrift ab.


Laß sehn! – Unstatthaft. Fort!

BITTSTELLER.

Ihr haltets ja verkehrt.

ISAAK.

Weil eben auch verkehrt die ganze Bitte.

Und so auch ihr. Stört hier nicht länger, fort.

ZWEITER BITTSTELLER.

Herr Isaak hört, ihr kennt mich von Toledo.

ISAAK.

Ich kenn euch nicht. In dieser letzten Zeit

Sind fühlbar schwach geworden meine Augen.

ZWEITER BITTSTELLER.

Nun, so kenn ich denn euch, und diesen Beutel,

Den ihr verlort, ich stell ihn euch zurück.

ISAAK.

Den ich verlor? O, ich erkenn ihn wieder,

Von grüner Seide, zehn Piaster drin.

ZWEITER BITTSTELLER.

Herr, zwanzig.

ISAAK.

Zwanzig? Nun, mein Aug ist gut,

Nur mein Gedächtnis wird mitunter schwach.

Und dieses Blatt enthält wohl die Erklärung

Des ganzen Vorfalls, wo du fandst und wie.

Die Meldung an die hohe Obrigkeit

Ist nicht mehr nötig, aber gib nur, gib!

Bestellen wollen wirs an seinem Ort,

Daß ruchbar dein Geruch von Ehrlichkeit.


Die Bittsteller halten ihre Gesuche hin, er ergreift mit jeder Hand eine Schrift und wirft sie zu Boden.


Was es auch immer sei. Hier eure Antwort.


Zu einem dritten.
[479]

Du trägst hier einen Ring an deiner Hand.

Der Stein ist gut. Laß sehn!


Der Bittsteller gibt ihm den Ring.


Ein Faden zwar

Entstellt den reinen Glanz, da nimm ihn wieder.


Er steckt ihn an den Finger.


DRITTER BITTSTELLER.

Ihr steckt ihn ja an eure Hand.

ISAAK.

An meine?

Wahrhaftig ja. Ich dacht, ich gab ihn dir.

Er ist so eng, ich martre mich umsonst.

DRITTER BITTSTELLER.

Behaltet ihn. Doch nehmt auch diese Schrift.

ISAAK.

Ich nehme beides denn dir zum Gedächtnis.


Sich mit dem Ringe beschäftigend.


Der König soll den Ring, vielmehr: die Schrift

Erwägen, trotz dem Faden im Gesuch,

Dem Faden in dem Steine, wollt ich sagen.

Nun aber alle fort! – Ist hier kein Stock?

Muß ich mich mit dem Christenpöbel plagen?


Garceran ist während dem eingetreten.


GARCERAN.

Glück auf! Ihr sitzt im Rohr und stimmt die Pfeifen,

Die ihr euch schneidet, find ich, etwas hoch.

ISAAK.

Mir ist des Ortes Heimlichkeit vertraut.

Der König ist nicht hier, er will nicht hier sein.

Und wer ihn stört – Selbst ihr, Herr Garceran,

Ich muß euch heißen gehn. Es ist nicht anders.

GARCERAN.

Ihr suchtet früher nur nach einem Stock.

Wenn ihr ihn findet, bringt ihn mir. Er ziemt,

Scheints, eurem Rücken mehr als eurer Hand.

ISAAK.

Nun braust ihr auf. So seid ihr Christen alle,

Nur immer gradezu. Allein die Klugheit,

Die Vorsicht, das geschmeidge Warten fehlt.

Der König unterhält sich gern mit mir.

GARCERAN.

Langweiligkeit wird selbst zur Unterhaltung,

Wenn lange Weile vor sich selber flieht.

ISAAK.

Er spricht mit mir von Staat und Geldeswert.

GARCERAN.

So rührt von euch vielleicht die neue Ordnung,

Nach der ein Dreier nur zwei Groschen gilt?[480]

ISAAK.

Geld, Freund, ist aller Dinge Hintergrund.

Es droht der Feind, da kauft ihr Waffen euch,

Der Söldner dient für Sold, und Sold ist Geld.

Ihr eßt das Geld, ihr trinkts, denn was ihr eßt,

Es ist gekauft, und Kauf ist Geld, sonst nichts.

Die Zeit wird kommen, Freund, wo jeder Mensch

Ein Wechselbrief, gestellt auf kurze Sicht.

Ich bin des Königs Rat. Wenn ihr nun selber

Einträchtig wolltet gehn mit Isaaks Glück –

GARCERAN.

Einträchtig ich mit euch? Es ist mein Fluch,

Daß mich der Zufall und der leidge Anschein

Gemengt in dieser Torheit wüstes Treiben,

Das Pflicht und Eid auf harte Proben stellt.

ISAAK.

Mein Rahelchen steigt täglich in der Gunst.

GARCERAN.

O, daß doch dieser König seine Jugend,

Der Knabenjahre hastgen Ungestüm

In Spiel und Tand, wie mancher sonst, verlebt!

Allein als Kind von Männern nur umgeben,

Von Männern groß gezogen und gepflegt,

Genährt vorzeitig mit der Weisheit Früchten,

Selbst seine Ehe treibend als Geschäft,

Kommt ihm zum erstenmal das Weib entgegen,

Das Weib als solches, nichts als ihr Geschlecht,

Und rächt die Torheit an der Weisheit Zögling.

Das edle Weib ist halb ein Mann, ja ganz,

Erst ihre Fehler machen sie zu Weibern.

Und nun ist auch der Widerstand besiegt,

Den die Erfahrung leiht dem oft Getäuschten,

Zum bittern Ernst wird ihm das lose Spiel.


Doch solls nicht länger währen, sag ich euch.

Der Feind steht an den Grenzen, und der König

Gehört zu seinem Heer, ich führ ihn hin,

Und euer Blendwerk fällt zurück ins Nichts.

ISAAK.

Versuchst, obs euch gelingt. Wenn nicht mit uns,

So seid ihr gegen uns. Ihr brecht den Hals,

Wenn ihr den weiten Abgrund überspringt.


Musik von Flöten ertönt.
[481]

Hört ihr? da kommen sie mit Zimbeln und Posaunen,

Wie Ahasverus mit dem Weibe Esther,

Die unser Volk zu Glanz und Ruhm erhöht.

GARCERAN.

Muß ich in dieses Königs üppgem Treiben

Mein eignes Bild aus frührer Zeit erspähn

Und mich in ihm, in mir mich seiner schämen?


Ein Schiff auf dem der König mit Rahel und Gefolge, erscheint auf dem Flusse und legt an.


KÖNIG.

Legt an! Hier ist der Platz und hier die Laube.

RAHEL.

Der Nachen schüttert. Haltet ein, ich falle.


Der König ans Land gesprungen.


RAHEL.

Und hier auf diesem Brett, das schwank und schwach,

Soll ich ans Ufer?

KÖNIG.

Hier nimm meine Hand.

RAHEL.

Nein, nein, mir schwindelt.

GARCERAN vor sich.

Schwindelts dich? fürwahr.

KÖNIG der sie ans Land geleitet.

Nun ists geschehn, das übergroße Werk.

RAHEL.

Nein, nie betret ich, nimmermehr ein Schiff.


Des Königs Arm ergreifend.


Erlaubt, mein hoher Herr! Ich bin so schwach,

Und fühlt, mein Herz es schlägt, als wärs im Fieber.

KÖNIG.

Die Furcht ist Weiberrecht, doch ihr mißbrauchts.

RAHEL.

Und nun entzieht ihr mir hartherzig eure Stütze.

Auch dieses Gartens Gänge, nicht mit Sand,

Mit scharfen Steinen sind sie roh bestreut,

Für Männertritt und nicht für Frauenschritte.

KÖNIG.

Legt einen Teppich ihr und macht ein Ende.

RAHEL.

Ich fühl es wohl, ich bin euch nur zur Last.

O, wäre meine Schwester nur erst hier,

Denn ich bin krank und sterbens-todes-matt.

Nur diese Kissen hier?


Die Kissen in der Laube heftig untereinander werfen.


Nein, nein, nein, nein!

KÖNIG lachend.

Die Mattigkeit, zum Glück, läßt etwas nach.


Garceran erblickend.


Ah, Garceran! Sieh nur, sie ist ein Kind.

GARCERAN.

Ein sehr verwöhntes, scheints.[482]

KÖNIG.

So sind sie alle.

Es steht ihr wohl.

GARCERAN.

Nachdem nun der Geschmack.

KÖNIG.

Sieh, Garceran, ich fühle ganz mein Unrecht,

Doch weiß ich auch, daß eines Winkes nur,

Es eines Worts bedarf, um dieses Trauerspiel

Zu lösen in sein eigentliches Nichts.

Und also duld ich es, weil ichs bedarf

In diesen Wirren, die ich selbst verschuldet.

Wie stehts im Heer?

GARCERAN.

Wie ihr seit länger wißt.

Die Feinde rüsten sich.

KÖNIG.

Wir wollens auch.

Nur noch ein Tage drei, daß dies Getändel,

Als abgetan, ich aus dem Innern weise,

Und zwar für immer, dann kommt Zeit und Rat.

GARCERAN.

Der Rat vielleicht, allein die Zeit entflieht.

KÖNIG.

Wir holen sie mit Taten wohl noch ein.

RAHEL.

Nun sprechen sie, und ach, ich weiß, wovon,

Von Blut, von Krieg, von wüster Heidenschlacht.

Und jener dort verschwört sich gegen mich,

Lockt seinen Herrn ins Lager, fern von hier,

Daß frei der Weg zu mir für meine Feinde.


Und doch, Herr Garceran, ich hab euch lieb,

Ihr wißt mit zarten Frauen umzugehn,

Man spricht von eurer Liebe kühnem Werben,

Von euren Taten in der Minne Streit.

Ihr seid nicht wie der König, euer Herr,

Der rauh selbst in der Zärtlichkeit Begegnung,

Der jedes milde Wort sogleich bereut

Und dessen Neigung ein verstecktes Hassen.

Kommt her, setzt euch zu mir! Ich möchte sprechen,

Nicht einsam sein in all dem lauten Schwarm.

Allein ihr kommt nicht. Wohl, man hält euch ab.


Weinend.


Man gönnt mir keine Freude, keinen Trost,

Hält mich in abgeschiedener Sklaverei.[483]

Wär ich erst nur daheim in Vaters Hause,

Wo alles mir zu Willen und zu Dienst,

Indes ich hier ein Wegwurf der Verachtung.

KÖNIG.

Geh hin zu ihr!

GARCERAN.

So soll ich?

KÖNIG.

Geh nur, geh!

RAHEL.

Setzt euch zu mir! Nur näher, näher, so!

Noch einmal, Garceran, ich hab euch lieb.

Ihr seid ein echter Ritter in der Tat,

Nicht nur dem Namen nach, wie sies gelernt,

Die stolzen, eisernen Kastilier,

Von ihren Feinden, von der Mauren Volk,

Nur daß, was jene zierlich und geschickt

Als Ausdruck üben angebornen Sinns,

Sie rauh und derb nachahmen, weil geborgt.

Gebt mir die Hand! Sieh doch, wie ist sie sanft,

Und doch führt ihr das Schwert wie jene andern.

Nur seid ihr heimisch auch im Fraungemach

Und wißt, was Brauch und heitern Umgangs Sitte.

Hier dieser Ring ist wohl von Doña Klara,

Die viel zu bleich für wangenfrische Liebe,

Wär nicht die Farbe, die dem Antlitz fehlt,

Ersetzt durch stets erneutes Schamerröten.

Doch hier seh ich noch andre Ringe mehr.

Wieviel habt ihr Geliebte, nun, gesteht.

GARCERAN.

Wie, wenn ich euch dieselbe Frage stellte?

RAHEL.

Ich habe nie geliebt. Doch könnt ich lieben,

Wenn ich in einer Brust den Wahnsinn träfe,

Der mich erfüllte, wär mein Herz berührt.

Bis dahin mach ich die Gebräuche mit,

Die hergebracht im Götzendienst der Liebe,

Wie man in fremden Tempeln etwa kniet.

KÖNIG der während des vorigen von vorn nach rückwärts auf und nieder gegangen ist, jetzt links im Vorgrunde zu einem der Diener gewendet, halblaut.

Bring meine Waffen, eine volle Rüstung,

Abseits zum Gartenhaus und harre mein,

Ich will ins Lager, wo man mein bedarf


Diener ab.
[484]

RAHEL.

Seht euern König nur! Er glaubt zu lieben,

Und doch, sprech ich zu euch, drück euch die Hand,

Ihn kümmerts nicht, und wie ein guter Hauswirt

Vollbringt er den geschäftig lauten Tag,

Zufrieden schließt der Abend nur die Rechnung.

Geht nur! Ihr seid wie er und wie die andern alle.

Wär meine Schwester hier! Sie ist besonnen

Und klüger weit als ich; doch fällt der Funke

Von Willen und Entschluß in ihre Brust,

Dann lodert sie in gleichen Flammen auf.

Wär sie ein Mann, sie wär ein Held. Ihr alle

Erläget ihrem Blick und ihrem Mut.

Ich will indes nur schlafen, bis sie kommt,

Bin ich doch selbst ein Traum nur einer Nacht.


Sie legt den Kopf auf den Arm und diesen auf die Kissen.


GARCERAN zu dem Könige tretend, der stehengeblieben ist und auf die Ruhende hinschaut.

Erlauchter Herr!

KÖNIG noch immer hinblickend.

Wie meinst du?

GARCERAN.

Wenns genehm,

Kehr ich zurück ins Lager, zu dem Heer.

KÖNIG wie oben.

Das Heer verließ das Lager? und warum?

GARCERAN.

Ihr hört mich nicht. Ich selber will dahin.

KÖNIG.

Und wirst erzählen dort und meinen, schwatzen.

GARCERAN.

Wovon?

KÖNIG.

Von mir. Von dem, was hier geschah.

GARCERAN.

Dazu müßt ich vor allem es verstehn.

KÖNIG.

Ja so! – Glaubst du an Wunder, Freund?

GARCERAN.

Beinahe

Seit kurzem, Herr!

KÖNIG.

Und weshalb nur seit kurzem?

GARCERAN.

Man liebt doch sonst nur, was man achtet auch,

Doch Liebe und Verachtung, hoher Herr –

KÖNIG.

Verachtung wär ein viel zu hartes Wort!

Nichtachtung etwa, doch bleibts sonderbar.

GARCERAN.

Das Wunder freilich ist ein wenig alt,

Und stammt von jenem Tag im Paradies,

Wo Gott das Weib schuf aus des Mannes Rippe.[485]

KÖNIG.

Doch schloß er auch die Brust, nachdems geschehn,

Und gab den Eingang in die Hut des Willens.

Du sollst zum Heer, doch nicht allein, mit mir.

RAHEL sich emporrichtend.

Die Sonne schleicht sich ein in mein Versteck,

Wer stützt den Umhang mir nach jener Seite.


Rechts in die Szene blickend.


Dort gehn zwei Männer, schwere Waffen tragend,

Die Lanze paßte gut für meinen Zweck.


In die Szene rufend.


Hierher! Nach hier! Hört ihr denn nicht? und schnell!


Der abgesendete Diener und ein zweiter, von denen jener Helm und Lanze, der andere Schild und Brustharnisch des Königs tragen, kommen.


RAHEL.

Gebt eure Lanze, guter Mann, und stoßt sie

Hier mit der Spitze in den Boden ein,

Damit das Dach gestützt nach jener Seite,

Und breiter dann der Schatten, den es wirft.

– Macht ihrs! – Nun gut! – Und jener zweite,

Er trägt, der Schnecke gleich, sein eigen Haus,

Wenns nicht vielmehr das Haus für einen andern.

– Weis her den Schild! – Ein Spiegel in der Tat!

Zwar derb, wie alles hier, doch dients zur Not.


Der Schild wird ihr vorgehalten.


Man bringt das Haar in Ordnung, weist zurück,

Was sorglos sich zu weit hervorgewagt,

Und freut sich, daß uns Gott so löblich schuf.

Allein die Wölbung hier entstellt. Hilf, Himmel!

Was für gedunsne Backen. Nein, mein Freund,

Wir sind zufrieden mit der eignen Fülle.

– Nun noch der Helm! Zweckwidrig für den Krieg,

Denn er verhüllt, was siegreich meist, die Augen,

Doch wie geschaffen für der Liebe Streit.

Setzt mir den Helm aufs Haupt! – Ah, ihr verletzt mich –

Empört sich der Geliebte und wird stolz,

Den Helmsturz nieder!


Das Visier herablassend.


und er steht in Nacht.

Doch wollt er etwa gar sich uns entziehn,

Schickt' nach dem Heer-Gerät, uns zu verlassen,[486]

Hinauf mit dem Visier.


Sie tut es.


Es werde Licht!

Die Sonne siegt, verscheuchend alle Nebel.

KÖNIG auf sie zugehend.

Du albern spielend, töricht-weises Kind.

RAHEL.

Zurück! – Gebt mir den Schild! gebt mir die Lanze!

Man naht mir mit Gewalt. Ich schütze mich.

KÖNIG.

Streck deine Waffen nur! dir naht kein Arg.


Ihre beiden Hände fassend Esther kommt von rückwärts, links.


RAHEL.

Ah, du mein Schwesterlein! Sei mir gegrüßt!

Fort mit der Mummerei! Nur schnell, nur schnell!

Ihr reißt den Kopf mir mit! Seid ihr nicht tölpisch!


Ihr entgegeneilend.


Willkommen noch einmal, o Schwester mein.

Wie hab ich mich gesehnt nach deiner Nähe!

Und bringst du mir das Armband und die Spangen,

Die Salben mir und Wohlgerüche mit,

Die in Toledo feil und ich bestellt?

ESTHER.

Ich bringe sie, zugleich mit schwerern Dingen,

Mit übler Nachricht, die gar böser Schmuck.


Erlauchter Herr und Fürst! Die Königin

Hat von Toledos Mauern sich entfernt

Nach jenem Lustschloß, wo zum erstenmal

Zu unserm Unheil, Herr, wir euch gesehn.


Zu Garceran.


Zugleich mit ihr ging euer edler Vater,

Manrique Lara, rings mit offnen Briefen

Bescheidend all des Reiches Standesherrn,

Um zu beraten das gemeine Beste.

Als wäre herrenlos das Königreich

Und ihr gestorben, der ihr Herr und König.

KÖNIG.

Ich denke wohl, du träumst.

ESTHER.

Ich wache, Herr.

Vor allem für das Leben meiner Schwester,

Die man bedroht und die zuletzt das Opfer.

RAHEL.

O weh mir, weh! Bat ich euch denn nicht längst,[487]

Zu scheiden, Herr, zurückzugehn an Hof

Und dort zu stören meiner Feinde Trachten.

Allein ihr bliebt. Seht, hier sind eure Waffen,

Der Helm, der Schild und dort der lange Speer.

Ich sammle sie. – Doch ich vermag es nicht.

KÖNIG zu Esther.

Sorg du für jene Törin, die sich zehnmal

In jedem Atemzuge widerspricht.

Ich will an Hof; doch brauch ich keiner Waffen.

Mit offner Brust, mit unbewehrtem Arm

Tret ich in meiner Untertanen Mitte

Und frage: wer sich aufzulehnen wagt.

Sie sollen wissen, daß ihr Herr noch lebt,

Und daß die Sonne tot nicht, wenn es Abend,

Daß sie am Morgen neu sich strahlend hebt.

Du folgst mir, Garceran!

GARCERAN.

Seht mich bereit.

ESTHER.

Doch, Herr, was wird aus uns,

RAHEL.

O bleibt doch, bleibt!

KÖNIG.

Das Schloß ist fest, der Kastellan bewährt,

Er wird euch schützen mit dem eignen Leben.

Denn fühl ich gleich, daß ich, wie sehr, gefehlt,

Soll niemand drunter leiden, der, vertrauend

Auf meinen Schutz, so Schuld als Fehl geteilt.

Komm, Garceran! Vielmehr geh du voraus.

Denn fänd ich jene Stände noch versammelt,

Von mir berufen nicht und nicht berechtigt,

So müßt ich strafen, und das will ich nicht.

Drum heiß sie schnell nur auseinandergehn.

Und deinem Vater sag: War er mein Schützer

Und mein Vertreter in der Knabenzeit,

So weiß ich selber nun mein Recht zu schützen,

Auch gegen ihn und gegen jedermann.

Komm nur! Und ihr lebt wohl!

RAHEL sich ihm nähernd.

Erlauchter Herr!

KÖNIG.

Laß jetzt! Ich brauche Kraft und festen Willen

Und möchte nicht im Abschied mich erweichen.

Ihr hört von mir, wenn ich mein Amt geübt,[488]

In welcher Art, und was die Zukunft bringt,

Hüllt Dunkel noch und Nacht. Für jeden Fall

Setz ich mein Wort an euern Schirm und Schutz.

Komm, Garceran. Mit Gott! er sei mit euch.


Der König und Garceran nach der linken Seite ab.


RAHEL.

Er liebt mich nicht, ich hab es längst gewußt.

ESTHER.

O Schwester, nutzlos ist das späte Wissen,

Das kommt, wenn uns der Schade schon belehrt.

Ich warnte dich, du hast mich nicht gehört.

RAHEL.

Er war so heiß und feurig im Beginn.

ESTHER.

Nun gleicht er kühl die Übereilung aus.

RAHEL.

Was aber wird aus mir, die ich vertraut?

Laß uns entfliehn.

ESTHER.

Die Straßen sind besetzt,

Das ganze Land in Aufruhr gegen uns.

RAHEL.

So soll ich sterben denn, und bin noch jung.

Und möchte leben noch. Zwar leben nicht,

Nein, tot sein unverwarnt und unverhofft.

Der Augenblick des Sterbens nur erschüttert.


An Esthers Halse.


Unglücklich bin ich, Schwester, rettungslos!


Nach einer Pause mit von Schluchzen unterbrochener Stimme.


Und ist das Halsband auch mit Amethysten,

Das du gebracht?

ESTHER.

Es ist. Mit Perlen auch,

So hell wie deine Tränen und so reichlich.

RAHEL.

Ich will es gar nicht sehn. Nur später etwa,

Wenn unsre Haft sich dehnt zu längrer Zeit,

Zerstreuung heischt das ewge Einerlei,

Versuch ich es und schmücke mich zum Tod.

Doch sieh, wer naht? – Ha, ha, ha, ha! Fürwahr,

Ists unser Vater nicht? und zwar in Harnisch.


Isaak, eine Sturmhaube auf dem Kopfe und einen Brustharnisch unter seinem langen Rocke, kommt von links.


ISAAK.

Ich bins, der Vater ungeratner Kinder,

Die meinen Tag verkürzen vor der Zeit.

In Harnisch, ja. Droht denn der Mörder nicht?

Schützt sich der Leib von selber vor dem Dolch?[489]

Ein unversehner Schlag zerschellt den Kopf.

Auch birgt der Harnisch mir die Wechselbriefe,

Die Taschen tragen das ersparte Gold.

Das grab ich ein und schütze Leib und Seele

Vor Armut und vor Tod. Und lacht ihr mein,

So geb ich euch den Fluch des Patriarchen,

Der Isaak hieß wie ich; ihr, mit der Stimme

Des frommen Jakob und mit Esaus Händen,

Nur mit verkehrtem Recht der Erstgeburt.

Ich sorg um mich. Was kümmert ihr mich länger!

Horch!

RAHEL.

Welch Geräusch?

ESTHER.

Man zieht die Brücken auf.

RAHEL.

Ein Zeichen, daß der König aus den Toren.

So eilt er fort! Wird er auch wiederkehren?

Ich fürchte: nein! Das Äußerste befürcht ich.


An Esthers Brust sinkend.


Und hab ihn, Schwester, wahrhaft doch geliebt.


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 478-490.
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