524. Heinrich mit dem güldenen Wagen

[497] Zu Zeiten König Ludwigs von Frankreich lebte in Schwaben Eticho der Welf, ein reicher Herr, gesessen zu Ravensburg und Altorf; seine Gemahlin hieß Judith, Königstochter aus Engelland, und ihr Sohn Heinrich. Eticho war so reich und stolz, daß er einen güldenen Wagen im Schilde führte, und wollte sein Land weder von Kaiser noch König in Lehen nehmen lassen; verbot es auch Heinrich, seinem Sohne. Dieser aber, dessen Schwester Kaiser Ludwig vermählt war, ließ sich einmal von derselben bereden, daß er dem Kaiser ein Land abforderte und bat, ihm so viel zu verleihen, als er mit einem güldenen Wagen in einem Vormittag umfahren könnte in Bayern. Das geschah, Ludwig aber traute ihm nicht solchen Reichtum zu, daß er einen güldenen Wagen vermöchte. Da hatte Heinrich immer frische Pferde und umfuhr einen großen Fleck Lands und hatte einen güldenen Wagen im Schoß. Ward also des Kaisers Mann. Darum nahm sein Vater, im Zorn und aus Scham, sein edles Geschlecht so erniedrigt zu sehen, zwölf Edelleute zu sich, ging in einen Berg und blieb darinnen, vermachte das Loch, daß ihn niemand finden konnte. Das geschah bei dem Scherenzer1 Walde, darin verhärmte er sich mit den zwölf Edelleuten.

Fußnoten

1 Scerenzerewald ist die älteste und beste Lesart; andere haben Scherendewald.


Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 497.
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