Das erste Kapitel

[8] Simplex erzählet sein bäurisch Herkommen,

Was er vor Sitten hab an sich genommen.


Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubet, daß es die letzte sei) unter geringen Leuten eine Sucht, in deren die Patienten, wann sie daran krank liegen und so viel zusammengeraspelt und erschachert haben, daß sie neben ein paar Kellern im Beutel ein närrisches Kleid auf die neue Mode mit tausenderlei seidenen Bändern antragen können oder sonst etwan durch Glücksfall mannhaft und bekannt worden, gleich rittermäßige Herren und adlige Personen von uraltem Geschlecht sein wollen; da sich doch oft befindet und auf fleißiges Nachforschen nichts anders herauskommt, als daß ihre Voreltern Schornsteinfeger, Taglöhner, Karchelzieher und Lastträger, ihre Vettern Eseltreiber, Taschenspieler, Gaukler und Seiltänzer, ihre Brüder Büttel und Schergen, ihre Schwestern Nähterin, Wäscherin, Besenbinderinnen oder wohl gar Huren, ihre Mütter Kupplerinnen oder gar Hexen, und in Summa ihr ganzes Geschlecht von allen 32 Anichen her also besudelt und befleckt gewesen, als des Zuckerbastels Zunft zu Prag immer sein mögen; ja sie, diese neue Nobilisten, seind oft selbest so schwarz, als wann sie in Guinea geboren und erzogen wären worden.

Solchen närrischen Leuten nun mag ich mich nicht gleichstellen, obzwar, die Wahrheit zu bekennen, nicht ohn ist, daß ich mir oft eingebildet, ich müßte ohnfehlbar anch von einem großen Herrn oder wenigst einem gemeinen Edelmann meinen Ursprung haben, weil ich von Natur geneigt, das Junkernhandwerk zu treiben, wann ich nur den Verlag und den Werkzeug darzu hätte. Zwar ungescherzt, mein Herkommen und Auferziehung läßt sich noch wohl mit eines Fürsten vergleichen, wann man nur den großen Unterscheid nicht ansehen wollte. Was? Mein Knän (dann also nennet man die Bätter im Spessert) hatte einen eignen Palast, sowohl als ein andrer, ja so artlich, dergleichen ein jeder König, er mag auch mächtiger als der große Alexander selbst sein,[9] mit eignen Händen zu bauen nicht vermag, sondern solches in Ewigkeit wohl unterwegen lassen wird; er war mit Laimen gemalet, und anstatt des unfruchtbarn Schiefers, kalten Bleies und roten Kupfers mit Stroh bedeckt, darauf das edel Getraid wächst, und damit er, mein Knän, mit seinem hochgeachteten, und von Adam selbst herstammenden Adel und Reichtum recht prangen möchte, ließ er die Maur um sein Schloß nicht mit Maursteinen, die man am Weg findet oder an unfruchtbaren Orten aus der Erde gräbet, viel weniger mit liederlichen gebackenen Steinen, die in geringer Zeit verfertigt und gebrennt werden können, wie andere große Herren zu tun Pflegen, aufführen, sondern er nahm Eichenholz darzu, welcher nützliche edle Baum, als worauf Bratwürste und fette Schunken wachsen, bis zu seinem vollständigen Alter über 100 Jahre erfodert. Wo ist ein Monarch, der ihm dergleichen nachtut? Wo ist ein Potentat, der ein Gleiches ins Werk zu richten begehret? Seine Zimmer, Säl und Gemächer hatte er inwendig vom Rauch ganz erschwärzen lassen, nur darum, dieweil dies die beständigste Farbe von der Welt ist, und dergleichen Gemäld bis zu seiner Perfektion mehr Zeit brauchet, als ein kunstlicher Maler zu seinen trefflichsten Kunststücken erheischet. Die Tapezereien waren das zärteste Geweb auf dem ganzen Erdboden, dann diejenige machte uns solche, die sich vor alters vermaß, mit der Minerva selbst um die Wette zu spinnen. Seine Fenster waren keiner andern Ursach halber dem Sant Nitglas gewidmet, als darum, dieweil er wußte, daß ein solches, vom Hanf oder Flachssamen an zu rechnen, bis es zu seiner vollkommenen Verfertigung gelanget, weit mehrere Zeit und Arbeit kostet, als das beste und durchsichtigste Glas von Muran; dann sein Stand machte ihm ein Belieben zu glauben, daß alles dasjenige, was durch viel Mühe zuwege gebracht würde, auch eben darumb höchst schätzbar und desto köstlicher sei; was aber köstlich sei, das sei auch dem Adel am anständigsten und stimme mit demselben am allerbesten überein. Anstatt der Pagen, Lakaien und Stallknechte hatte er Schaf, Böcke und Säu, jedes fein ordentlich in seine natürliche Liberei gekleidet, welche mir auch oft auf der Weid aufgewartet, bis ich, ihres Dienstes ermüdet, sie von mir gejaget und heimgetrieben. Die Rüst- oder Harnischkammer war mit Pflügen, Kärsten, Äxten, Hauen, Schauflen, Mist- und Heugabeln genungsam und auf das beste und zierlichste versehen, mit welchen Waffen er sich täglich übete. Dann hacken und Reuten war seine disciplina militaris, wie bei den alten Römern zu Friedenszeiten; Ochsen anspannen war sein hauptmannschaftliches Kommando, Mist ausführen sein Fortifikationwesen, und Ackern[10] sein Feldzug, Holzhacken war sein tägliches exercitium corporis, wie auch das Stallausmisten seine adlige Kurzweile und Türniernspiel. Hiermit bestritte er die ganze Weltkugel, soweit er reichen konnte, und jagte ihr damit alle Ernden eine reiche Beute ab. Dieses alles setze ich hindan und überhebe mich dessen ganz nicht, damit niemand Ursache habe, mich mit andern meinesgleichen neuen Nobilisten auszulachen; dann ich schätze mich nicht besser, als mein Knän war, welcher diese seine Wohnung an einem sehr lustigen Ort, nämlich im Spessert (allwo die Wölfe einander Gute Nacht geben) liegen hatte. Daß ich aber nichts Ausführliches von meines Knäns Geschlecht, Stamm und Namen vor diesmal doziert, beschiehet um geliebter Kürze willen; vornehmlich weil es ohne das allhier um keine adelige Stiftung zu tun ist, da ich soll auf schwören; genug ist es, wann man weiß, daß ich im Spessert geboren bin.

Gleichwie nun aber meines Knäns Hauswesen in allen Stücken sehr adelig vermerkt wird, also kann ein jeder Verständiger auch leichtlich schließen, daß meine Auferziehung derselben gemäß und ähnlich gewesen, und wer solches darvorhält, findet sich auch nicht betrogen; dann in meinem zehenjährigen Alter hatte ich schon die principia in obgemeldten meines Knäns adeligen Exerzitien begriffen, aber der Studien halber konnte ich neben dem berühmten Amphistidi hin passieren, von welchem Suidas meldet, daß er nicht über fünf zählen konnte; dann mein Knän hatte vielleicht einen viel zu hohen Geist und folgete dahero dem gewöhnlichen Gebrauch jetziger Zeit, in welcher viel vornehme Leute mit Studieren oder, wie sie es nennen, mit Schulpossen sich nicht viel zu bekümmern pflegen, weil sie ihre Leute haben, der Plackscheißerei abzuwarten. Sonst war ich ein trefflicher Musikus auf der Sackpfeife, mit deren ich schöne Jalemigesänge machen konnte, auch darinnen dem vortrefflichen Orpheus nichts nachgab, also, daß wie dieser auf der Harpfe, so ich auf der Sackpfeife exzellierte. Aber die Theologiam anbelangend, lasse ich mich nicht bereden, daß einer meines Alters damals in der ganzen Christenwelt gewesen sei, der mir darinne hätte gleichen mögen; dann ich kannte weder Gott noch Menschen, weder Himmel noch Hölle, weder Engel noch Teufel und wußte weder Gutes noch Böses zu unterscheiden. Dahero unschwer zu gedenken, daß ich vermittelst solcher Theologiae, wie unsere erste Eltern im Paradies gelebet, die in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Sterben, weniger von der Auferstehung, nichts gewußt. O edels Leben! (du mögst wohl Eselsleben sagen) in welchem man sich auch nichts umb die Medizin bekümmert. Eben auf diesen Schlag kann man[11] meine vortreffliche Erfahrenheit in dem studio legum und allen anderen Künsten und Wissenschaften, soviel in der Welt sein, auch verstehen. Ja ich war so perfekt und vollkommen in der Unwissenheit, daß mir unmüglich war, zu wissen, daß ich so gar nichts wußte. Ich sage noch einmal: O edeles Leben, das ich damals führete! Aber mein Knän wollte mich solche Glückseligkeit nicht länger genießen lassen, sondern schätzte billig sein, daß ich meiner adeligen Geburt gemäß auch adelig tun und leben sollte; derowegen fieng er an, mich zu höhern Dingen anzuziehen und mir schwerere Lectiones aufzugeben.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 8-12.
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