Das XXVI. Kapitel.

Was die Leirerin weiters vor Possen angestellt, und wie sie endlich ihren Lohn bekommen habe.

[206] »Damit ich dann solches mein liebes Weibchen desto ehender wieder antreffen möchte, so gesellete ich mich zu allerhand Störern, Landläufern und solchen Leuten, bei welcher Gattung sie die meiste Zeit ihres Lebens zugebracht. Bei denselben fragte ich fleißig nach, konnte aber weder Stumpf noch Stiel von ihr erfahren. Endlich kam ich auch in diejenige Stadt, darinnen ich etwan hiebevor in die venezianische Kriegsdienste kommen. Daselbst gab ich mich meinem Wirt zu erkennen und erzählte ihm, wie mirs seithero in Kandia gangen, der mir dann als ein guter alter Teutscher und zeitungbegieriger Mann gar andächtig zuhörete; und als ich hingegen auch fragte, was sich seithero meiner Abwesenheit Guts bei ihnen zugetragen, kam er unter andern auch auf das Gespenst, das hiebevor die Äbtisse so visierlich geplagt und vexiert, welches aber nunmehr wieder allerdings aufgehört hätte, also daß man darvorhalte, dasselbe Gespenst sei ebendasjenige wunderbarliche Weibsbilde gewesen, deren Körper neulich ohnweit von hinnen verbrannt worden wäre. Weilen dann nur dies ebendasjenige war, was ich zu wissen verlangte, so spitzte ich nicht allein die Ohren, sondern bat auch, er wollte mir doch die Histori ohnschwer erzählen.

Darauf fuhre der Wirt in seiner Rede fort und sagte: ›Ebendamals, als die Äbtissin von dem Gespenst so gequält und allerdings in einen Argwohn gebracht wurde, als buhle sie mit ihrem Pistor, trugen sich andre dergleichen Possen mehr, beides, hier in der Stadt und auf dem Lande, zu, also daß teils Leute vermeinten, es wäre dem Teufel selbst verhänget worden, diese Gegend zu plagen. Teils kamen die Speisen vom Feur,[206] anderen ihre Geschirr voll Wein oder Bier, dem dritten sein Geld, dem vierten seine Kleider, ja so gar etlichen die Ringe von den Fingern hinweg, welche Sachen man hernach doch anderwärts in andern Häusern und auch bei andern Personen ohne ihr Wissen, daß sie es hätten, wieder mehrenteils gefunden, woraus jeder Verständiger leicht schlosse, daß der ehrlichen Äbtisse auch unrecht geschehen wäre. Dann das war folgenterzeit gar nichts Neues mehr, daß einer und der andern Person nächtlicherzeit die Kleider hinweggenommen und andere darvor hingelegt worden, ohne daß man wissen konnte, wie solches zugangen und geschehen wäre. Es hielte ohnlängst hernach ein Freiherr nicht weit von hinnen Beilager, worbei es, wo nit fürstlich, jedoch gräflich hergieng, bei welchem hochzeitlichen Ehrenfest der Braut ihr herrlicher Schmuck und Kleidung, damit sie denselben Tag gepranget hatte, samt dem Nachtzeug hinweggenommen und hingegen ein schlecht Weiberkleid voller Läuse, wie es die Soldatenweiber zu tragen pflegen, darvor hingeleget wurde, welches viel vor ein Zeichen hielten einer künftigen unglückseligen Ehe. Aber diese Wahrsager gaben damit nur ihre Unwissenheit zu erkennen.

Den nächst hierauf folgenden Maimonat spazierete ein Bäckenknecht auf einen Sonntag in einen etwan drei Meil von hier entlegenen Wald, des Willens, Vogelnester zu suchen und junge Vögel auszunehmen. Dieser war beides, von Angesicht und Leibesproportion, ein schöner ansehnlicher Jüngling und darneben fromm und gottsförchtig. Wie er nun an einem Wässerlein hinaufschliche und sich hin und wieder umschauete, wurde er eines Weibsbildes gewahr, die sich in demselbigen Wasser badet. Er vermeinte, es wäre irgendseine Dirn aus dem Flecken, darin er damals dienete; derowegen ließe er sich durch den Fürwitz bereden, daß er sich niedersetzte, zu verharren, bis sie sich anlegte, damit er sie an den Kleidern kennen und alsdann etwas an ihr, um daß er sie nackend gesehen, zu fexieren haben möchte. Es gieng, wie er gedachte, aber doch etwas anders; dann nachdem diese Dame aus dem Wasser gestiegen, legete sie keine Baurnjuppe an, sondern ein ganz silbern Stück mit guldenen Blumen; hernach satzte sie sich nieder, kämpelte und zöpfte ihre Haar, legte köstliche Perlein und andere Kleinodien um den Hals und zierete ihren Kopf dergestalt mit dergleichen Geschmuck, daß sie einer Fürstin gleichsahe. Der gute Bäckenknecht hatte ihr bishero mit Forcht und Verwunderung zugesehen, und weil er sich vor ihrer ansehenlichen Gestalt entsetzte, wollte er darvongehen und sich stellen, als wann er sie gar nicht gesehen[207] hätte. Weil er aber gar zu nahe bei ihr war, also daß sie ihn sehen mußte, schriee sie ihm zu und sagte: »Höret, junger Gesell, seid Ihr dann so grob und unhöflich, daß Ihr nicht zu einer Jungfrauen gehen dörft?« Der Bäck wandte sich um, zog seinen Hut ab und sagte: »Gnädiges Fräulein, ich gedachte, es gezieme sich nicht, daß ein unadeliger Mensch, wie ich bin, sich zu einem solchen ansehnlichen Frauenzimmer nähere.« –»Das müßt Ihr nicht sagen,« antwortet die Dame; »dann es ist ja ein Mensch des andern wert, und überdas hab ich schon etliche hundert Jahr allhier auf Euch gewartet. Sintemal es dann nun Gott einmal geschicket hat, daß wir diese langgewünschte Stunde erlebet haben, so bitte ich Euch um Gottes willen, Ihr wollet Euch zu mir niedersetzen und vernehmen, was ich mit Euch zu reden habe.«

Dem Bäckenknecht war anfangs bang, weil er sorgete, es wäre ein teufelischer Betrug, dardurch er zum Hexenhandwerk verführt werden sollt; als er sie aber Gott nennen hörete, setzte er sich ohne Scheu zu ihr nieder; sie aber fieng folgendergestalt an zu reden:

»Mein allerliebster und wertester Herzfreund! ja nach dem lieben Gott mein einiger Trost, mein einzige Hoffnung und mein einziger Zuversicht; Euer lieber Nam ist Jakob, und Euer Vatterland heißt Allendorf, ich aber bin Minolanda, der Melusinen Schwestertochter, die mich mit dem Ritter von Stauffenberg erzeugt und dergestalt verflucht hat, daß ich von meiner Geburt an bis an Jüngsten Tag in diesem Wald verbleiben muß, es seie dann Sach, daß Ihr mich zu Euer Herkunft zu Euerm Ehegemahl erwählen und dardurch von solcher Verfluchung erlösen werdet, doch mit diesem ausdrucklichen Vorbehalt und Geding, daß Ihr Euch wie bisher vor allen Dingen der Tugend und Gottesforcht befleißigen, aller anderer Weibsbilder müßig gehen und diesen unsern Heurat ein ganz Jahr lang verschwiegen halten sollet. Darum so sehet nun, was Euch zu tun ist. Werdet Ihr mich ehelichen und diese Dinge halten, so werde ich nicht allein erlöst, sondern wie ein ander Mensch auch Kinder zeugen und zu seiner Zeit seliglich aus dieser Welt abscheiden; Ihr aber werdet der reichst und glückseligst Mann auf Erden werden. Wann Ihr mich aber verschmähet, so muß ich, wie Ihr bereits gehöret habt, bis an Jüngsten Tag hier verbleiben und werde alsdann über Euere Unbarmherzigkeit ewiglich Rach schreien. Das Glück aber, so Ihr alsdann Euer Lebtag haben werdet, werden auch die Allerunglückseligste nicht mit Euch teilen wollen.«[208]

Der Bäckenknecht, der sowohl die Geschichte oder Fabul der Melusinä als des Ritters von Stauffenberg gelesen und noch viel mehr dergleichen Märlin von verfluchten Jungfrauen gehöret hatte, glaubte alles, was ihm gesagt worden; derohalben besonne er sich nicht lang, sondern gab das Jawort von sich und bestätiget solche Ehe mit oft wiederholtem Beischlaf. Sie aber gab ihm nach verrichter Arbeit etliche Dukaten und nahm ein güldenes Kreuzlein mit Diamanten besetzt und mit Heiligtum gefüllt, von ihrem Hals, das sie ihm gleichfalls zustellte, damit er nicht sorgen sollte, er hätte vielleicht mit einem Teufelsgespenst zu tun; und zum Beschluß wurde abgeredet, daß sie ihn fürderhin die meiste Nächte in seiner Schlafkammer besuchen wollte, worauf sie vor seinen Augen verschwunden.

Es waren kaum vier Wochen vergangen, als dem Bäckenknecht bei der Sach anfieng zu grausen; und indem ihm sein Gewissen sagte, es könnte mit dieser heimlichen und wunderbarlichen Ehe nicht recht hergehen, da ereignete sich eine Gelegenheit, mit deren er hieherkam und seinem Beichtvatter alle Geschichte außerhalb der Beicht vertraute. Als dieser verstunde, was diese Meerfein oder Minolandä, wie sie sich genennet, vor einen Habit anhatte, und sich darbei erinnerte, daß eben ein solcher einer vornehmen Fräulin bei ihrem Beilager entwendet worden, gedachte er der Sach ferner nach und begehret auch, das Kreuzlein zu sehen, so ihm seine Beischläferin verehrt hatte. Als er solches sahe, überredet er den Bäckenknecht, daß ers ihm nur ein einzige halbe Stund ließe, selbiges einem Jubilierer zu weisen, um zu vernehmen, ob das Gold auch just und die Steine auch gut wären. Er aber verfügte sich sogleich damit zu obengemeldter Frauen, die zu allem Glück hier war; und als sie solches vor das ihrig erkannte, wurde der Anschlag gemacht, wie diese Melusina beim Kopf bekommen werden möchte, worzu der geängstigte Bäckenknecht seinen Willen gab und alle mögliche Hülf zu tun versprach.

Diesem nach wurden den dritten Abend zwölf beherzte Männer mit Partisanen geschickt, die in des Bäcken Kammer um Mitternacht stürmten und Türen und Läden wohl in acht nahmen, damit, als solche eröffnet, niemand hinaus entrinnen könnte. Sobald solches geschahe und auch zugleich zween mit Fackeln in das Zimmer getretten waren, sagte der Bäcker zu ihnen: »Sie ist schon nit mehr da.« Er hatte aber das Maul kaum zugetan, da hatte er ein Messer mit einem silbern Heft in der Brust stecken; und ehe man solches recht wahrgenommen, da stak einem andern, der eine Fackel trug, eins im Herzen,[209] davon derselbige alsobald tod darnieder fiele. Einer von den Bewehrten ermaße, aus welcher Gegent diese Stich herkommen waren, sprang derowegen zuruck und führte einen solchen starken Streich gegen demselben Winkel zu, daß er damit der so unselig als unsichtbarn Melusinen die Brust bis auf den Nabel herunter aufspielte. Ja, dieser Streich war von solchen Kräften, daß man nit allein die vielgedachte Melusina selbst dort tot liegen, sondern ihr auch Lung und Leber samt dem Ingeweid in ihrem Leib und das Herz noch zappeln sehen konnte. Ihr Hals hieng voller Kleinodien, die Finger staken voll köstlicher Ring, und der Kopf war gleichsam in Gold und Perlen eingehüllet; sonst hatte sie nur ein Hemd, ein doppeltafften Unterrock und ein Paar seidene Strümpfe an; aber ihr silbern Stück, das sie auch verraten, lag unter dem Hauptküssen.

Der Bäcker lebte noch, bis er gebeicht und kommuniziert hatte; er starb aber hernach mit großer Reu und Leid und verwundert sich, daß so gar kein Geld bei seiner Schläferin gefunden worden, dessen sie doch ein Überfluß gehabt hätte. Sie ist ohngefähr aus ihrem Angesicht vor 20 Jahr alt geschätzt und ihr Körper als einer Zauberin verbrannt, der Bäck aber mit obgemeldten Fackelträger in ein Grab gelegt worden. Wie man noch vor seinem Abschied erfuhr, so hatte das Mensch beinahe eine österreichische Sprach gehabt.‹«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 206-210.
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