10.

Excessus humanæ mentis ad Deum

[89] 1. Chor.


Welt Ade! mein Ziel ist kommen/

Nunmehr poch ich Fleisch vnd Tod.

Von Schmertz/ Hoffen! Ach vnd Noth/

Hab ich Abschied nun genommen!

Weg du Schatten kurtzer Zeit!

Mich küsst itzt die Ewigkeit.


1. Gegen Chor.


Leiden/ Vnmuth/ Drangsall/ Plagen/

Must ich in dem Blockhaus tragen/

Nun hat Gott mich angeblicket.

Vnd mit steter Lust erquicket.


2. Chor.


Ach! was spür ich hier vor Wonne!

Irr ich; Träumt mir! wie ist mir!

Bräutigam ach! ko i' ich zu dir!

Gläntz ich heller als die Sonne?

Tret ich nicht mit steiffem Fuß

Was die Hell' erschrecken muß


2. Gegen-Chor.


Kan/ weil Worte mir gebrechen/

Ich/ mein eigne Freud außsprechen

Was fühl ich vor neues Leben!

Welche Macht wird mir gegeben?


[89] 3. Chor.


Herr! den ich nun recht anschaue:

Von Gesichte zu Gesicht:

Der du ein selbwesend Licht/

Dem ich/ nicht mehr hoffend/ traue/

Der du mich so wehrt geschätzt

In/ mit vnd durch dich ergetzt!


3. Gegen-Chor.


Vor dir beug ich Knie vnd Hertze

Vnd bekenne daß mein Schmertze

Durchauß dieser Lust nicht gleiche/

Die ich vnverdient/ erreiche.


4. Chor.


Süsses Wohn-Haus höchster Ehre!

Platz der heiligen Libligkeit!

Da ich fern von Weh' vnd Streit!

Nichts als jautzend Lachen höre.

Hoffstadt ewig sichrer Ruh/

Liebstes Vaterland/ glück zu!


4. Gegen-Chor.


Reine Geister/ die entbrennet/

Von dem Licht daß ihr erkennet:

Rühmt mit mir/ den der vns Leben

Vnd vnsterblich Ehr kan geben.


Beyde Chor zusammen.


Wonne! Wonne über Wonne!

Gottes Lamb ist vnser Sonne;

Freude/ Freud' ohn alles Leiden!

Niemand kan von Gott vns scheiden.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 89-90.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon