4.

Deß Herren Jesus Gang über den Bach Kidron

[110] Auff die Melodie: Ach Gott vnd Herr/ etc.


1.

Nachdem der Held/ der aller Welt/

Schuld/ Angst/ vnd Fluch abwendet/

Das Oster-Mahl/ mit seiner Zahl

Durch Lob vnd Danck geendet.


2.

Ließ Er die Stadt/ die in dem Rath

Schon seinen Todt geschlossen/

Vnd wandt sich nach der schwartzen Bach

Die Kidrons-Thal durchflossen.


3.

Hier fängt Er an/ weil Er noch kan

Die liebsten Eilffe lehren:

Das diese Nacht der Hellen Macht

Sie fertig zuversehren.


4.

Eh als/ sprach er/ der Sternen Heer

Wird vor dem Tag erbleichen:

Wird eure Treu/ von mir voll Scheu/

Vnd Aergernüß abweichen.


5.

Wie denn der Geist/ zuvor geweist/

Durch heiliges Weissagen:

Daß man voll Rach/ ohn all Vrsach

Werd auff den Hirten schlagen.


6.

Da denn die Herd/ die Ihm so werth

Sich plötzlich darff zustreuen!

Doch trauret nicht: mein Gnadenlicht

Sol eure Furcht erfreuen.


7.

Wenn meine Hand/ das starcke Band

Deß Todes abgerissen;

Wil ich fürwar/ euch meine Schaar/

In Galilea grüssen.


8.

Sol's ja so seyn: fällt Petrus ein/

Daß keiner auß den allen/[111]

Außhalten mag bey diesem Schlag/

Wil ich doch ab nicht fallen.


9.

Mich sol von dir/ Herr glaube mir/

Kein Aergernüß abzwingen:

Ja wenn auch gleich/ der Hellen Reich

Mit Macht wolt auff mich dringen.


10.

Fürwar der Hahn/ fangt Christus an/

Wird diese Nacht nicht krehen;

Biß du dreymal/ ins Priesters Saal/

So bald man dich ersehen:


11.

Betheuret klar; daß gantz vnd gar

Ich frembd in deinen Ohren:

Ach Meister nein: eh wolt ich seyn

Spricht Petrus/ nie geboren.


12.

Eh sol die Pein: mir Marck vnd Bein

Vnd Leib/ vnd Geister tennen:

So wil' auch ich/ schrie drauff vor sich

Ein Jeder/ dich bekennen.


13.

Als man nun nah/ den Oelberg sah/

Erwehlt Er einen Garten/

In welcher Stätt Er im Gebet

Der Feinde wolt' erwarten.


14.

Denn wo wir all' durch Adams Fall'

Biß in den Tod verfluchet;

Da hat der Held/ das Lösegeld

Zum ersten auch gesuchet.


15.

Ich bitte dich; mein Herr laß mich

Deß sauren Gang's geniessen:

Vnd wenn ich geh' auß diesem weh/

Im Paradiß dich küssen.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 110-112.
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