In einer tödlichen Kranckheit

Ists möglich/ wie man sagt/ daß die gehäufften Schmertzen/

In die ich mich vertiefft/ noch iemand gehn zu Hertzen/[127]

Ists möglich/ daß man noch mit dem Mitleiden trägt/

Auf den der harte Blitz mit lichtem Feuer schlägt/

Den zwar die grause Noth/ die Kirch und Haus verzehret/

Und Städte weggesengt/ und Länder umgekehret/

Doch mehr das tolle Glück mit aller Donner Macht/

Und grimmer Winde Sturm und trüber Wetter Nacht/

Schier ieden Tag zusetzt. Was kan wol einer nennen

Aus aller Jammer Heer/ daß ich nicht werde kennen/

Das mich nicht hat verletzt. Als noch die liebe Schoß

Der Mutter mich ihr Pfand und letzte Lust beschloß/

Hat stracks/ ich weiß nicht was/ auf was noch nicht gebohren/

O unerhörter Grimm! O Laster! sich verschworen/

Und als ich kaum den Tag diß süsse Licht erblickt/

Durch unerkannte List und fremde Stück entrückt.

O hätt ich doch die Welt/ als sie mich erst gegrüsset/

Eh ich sie noch erkennt/ auffs letzt alsbald geküsset/

So schlieff ich sonder Pein! eh mich das vierdte Jahr

Der vierdte Winter fand/ lag dieser auf der Bahr

Den ich mich schuldig bin/ und diß mein müdes Leben;

Er fiel durch Gifft/ das ihm ein falscher Freund gegeben/

Der offt vor seinem Muth und hohen Geist erblast.

Mir leyder viel zu früh. Eh ich die rauhe Last

Und den Verlust empfand/ hat die so schwache Glieder

Des Febers Hitz entsteckt/ die Kranckheit warff mich nieder/

Der Todt schwärmt über mir; Doch weil ich ihn begehrt

Hat mir der Menschen Feind den Rücken zugekehrt/

Und nahm die Seele weg im Mittel ihrer Tage

Ja Frühling ihrer Zeit/ um die ich kläglich zage.

Wiewohl sie/ weil sich noch in mir ein' Ader regt

Und weil der warme Geist in beyden Brüste schlägt

Mir wird im Hertzen stehn. Die die mich hat gebohren/

Die lieber ihren Leib/ als mich ihr Kind verlohren.

Was hat mich/ da sie weg/ was hat mich nicht verletzt/

Welch Schmertzen/ welche Qual hat mir nicht zugesetzt?

Wer hat der Güter Rest nicht diebisch mir entzogen/

Und meinen Geist gekränckt/ und mich mit List betrogen?

Wen hab ich nicht/ der ie mein Elend recht beschaut

Mit höchstem Seelen Weh der schwartzen Grufft vertraut?[128]

Ich hab Asterien die Augen zugedrücket

Und deine keusche Leich Hippolite beschicket/

Hippolite vorhin mein Trost nun meine Pein/

Die ehmals mich ergötzt um die ich ietzund wein.

Dicæus den bey uns das gantze Land gehöret

Und den das gantze Land ans Fürsten Statt geehret/

Dicæus bot mir selbst als er die Welt verließ

Und in der Armen Band den werthen Geist ausbließ

Zum letzten seine Faust/ ich fiel in tausend Schmertzen

Mit seinem Athem hin; Der Sinn/ die Krafft des Hertzen

Die Seele selbst verschwand. Das kalte Blut bestund

Als ihn der Tod umfieng. Wie grimmig diese Wund/

Doch kan ich sie noch nicht mit dieser Angst vergleichen/

Die ietzt mich überfällt. Ach hätt ich deine Leichen/

Mein Bruder hätt ich doch die Leiche noch geküst/

Wenn ja der Parcen-Schluß nun eine kurtze Frist/

Ein Wort/ ein kurtz Ade mir nicht vergönnt zu hören;

Ach muß mich dieser Blitz der scharffe Pfeil versehren!

Weil ich so fern von dir ein unbekandtes Land

Und weites Volck beschau. Ach zeuchst du deine Hand

So plötzlich von mir ab! nun ieder mich verlassen

Und nichts als Ach und Angst und Schmertz und Weh umfassen

Und solche Noth die auch ein fremdes Hertz durchbricht/

Wenn man ein wenig nur von meinem Elend spricht

Das hier kaum iemand weiß. Was kan ich mehr begehren

Als daß mein Nahm und Land und Stand und heisse Zähren

Bleib allen unbekandt. Weil/ wenn ich diß betracht/

Mein Nahm und Land und Stand nur viel betrübte macht.

Fragt Livia fragt nicht warum ich euch beklaget/

Fragt nicht mehr wer ich sey/ wo richtig–- was ihr saget

Und euch der rauhe Sturm der mich noch ietzt anweht/

So tieff zu Hertzen geht/ so wünsch ich Schönste seht

Euch in so hoher Ruh als grimmig meine Wunden/

Und findet so viel Freud und angenehme Stunden

Und unverfälschte Lust als Jammer in der Welt

Und Weh und Pein und Angst mich täglich überfält.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 3, Tübingen 1963, S. 125-129.
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